Coswig Villa Teresa:
MICHAEL SANDERLING, EIN MUSIKALISCHES PORTRAIT MIT DEM NEUEN CHEFDIRIGENTEN DER DRESDNER PHILHARMONIE – 11.02. 2012
Michael Sanderling
Bisher hat er zwar nur 2 Opern dirigiert – die „kleinste“ und die „größte“, aber er ist einer der interessantesten jüngeren Dirigenten. 2009 leitete er im Schlosstheater Potsdam die Kammeroper „The Fall of the House of Usher“ (Der Untergang des Hauses Usher) nach Edgar Allan Poe, komponiert vom amerikanischen Komponisten Philip Glass, einem der bedeutendsten Vertreter der Minimal Music (Inszenierung Achim Freyer), und in Köln die Oper “Krieg und Frieden“ von Sergej Prokofjew. Dazwischen liegt noch ein weites Feld, wer weiß?
Hineingeboren in eine musikalische, Musik ausübende und musikliebende Familie, wo es täglich zwischen 6 und 24 Uhr immer um Musik, Partituren und Kontrabass ging, kam er auf „Umwegen“ zum Dirigieren. Sein Vater, Kurt Sanderling, war eine Dirigentenlegende, seine beiden Brüder, Thomas und Stefan, sind Dirigenten, und seine Mutter war Kontrabassistin im Berliner Sinfonieorchester, das sein Vater viele Jahre leitete. In geselliger Runde plauderte Michael Sanderling nun über sein Leben und seinen musikalischen Werdegang und stellte sich den Fragen André Sittners, eines freien Mitarbeiters des Mitteldeutschen Rundfunks.
Er empfand den Umgang mit Musik stets als selbstverständlich und völlig „normal“. Es bedeutete für ihn keine Last, denn er konnte und wollte sich dem nicht entziehen.
Aus der Not heraus wurde er ein gefragter und beim Publikum sehr beliebter Cellist. Da er bis zum kindlichen Alter von 4 Jahren immer noch nicht richtig sprechen konnte, machten sich seine Eltern große Sorgen. Ein wenig feinfühliger Arzt erklärte ihnen, dass sie sich keine Sorgen machen sollten, fürs Fließband würde es allemal reichen, aber die Eltern kamen zu dem Entschluss, dass er sich dann eben musikalisch ausdrücken sollte. Sie gingen zu einem Geigenbauer, um für ihren Sohn eine Kindergeige zu erwerben. Dort hing jedoch gerade ein kleines Cello, das eigentlich für Jan Vogler, dem jetzt weltweit gefragten Cellisten und Intendanten der Dresdner Musikfestspiele bestimmt war – welch ein Zufall! Da der Gegenbauer nicht rechtzeitig fertig geworden war, war es für den inzwischen größer gewordenen Jan zu klein. Michael Sanderling übte nun darauf fleißig und hatte bereits mit etwa 12 Jahren den Wunsch, die Musik zu seinem Beruf zu machen.
1986 spielte er – 19jährig – beim „Fest der Jungen Talente“ zum ersten Mal Cello im Leipziger Gewandhaus und sprang dann „todesmutig“ für einen erkrankten amerikanischen (oder kanadischen) Cellisten ein. Er hatte zwar schon einige Wettbewerbserfolge zu verzeichnen (ARD-Musikwettbewerb München, Bach-Wettbewerb Leipzig, Maria-Canals-Wettbewerb Barcelona), wunderte sich aber, warum gerade er gefragt wurde. Von dem zu spielenden Cellokonzert von Saint Saens hatte er nur den 1. Satz studiert und war am Schluss erleichtert, dass es – aus seiner Sicht – nicht zum Fiasko gekommen war. Schlecht kann es aber nicht gewesen sein, denn wenig später rief ihn Kurt Masur an, ob er zum Probespiel ins Gewandhaus kommen wolle, da gerade eine Solostelle vakant war. Damals galt (neben der Dresdner Staatskapelle) das Gewandhausorchester als „Olymp“ für einen Musiker und er „wagte“ den Schritt. Dort wurde er herzlich aufgenommen und „pädagogisch wertvoll erzogen“. Alles, was er für Orchesterspiel gelernt hat, hat er dort gelernt. Hinzu kam, dass sein Lehrer, Joseph Schwarz, kein trockener Theoretiker war, sondern ihm vor allem die Methodik des Cellospiels vermittelt hatte. Mitunter musste er im Gewandhausorchester Stücke ohne Probe spielen. Einmal hat sein Nachbar selbst kaum eine Note gespielt, weil er damit beschäftigt war, ihn oft am rechten Ärmel zu zupfen, wenn es „falsch“ zu werden „drohte“. Jetzt kann er seine „Jugendsünden“ erzählen.
Es war für ihn ein schwerer Entschluss, als Solocellist zum Rundfunk-Sinfonieorchester nach Berlin zu gehen, wo er 12 Jahre lang wirkte. An der Hochschule für Musik Berlin, wo er studiert hatte, erhielt er eine Professur für Cellospiel und konnte die von seinem Lehrer gelernte Methode weiter vermitteln. Jetzt lehrt er mit Enthusiasmus an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Frankfurt/Main und gilt als einer der gefragtesten Lehrer.
Darüber hinaus trat er bei bedeutenden Orchestern in Europa und den USA, wie den Sinfonieorchestern des Bayerischen Rundfunks und des Südwestrundfunks, dem Deutschen Symphonieorchester, dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, dem Orchestre de Paris, dem Orchester der Tonhalle Zürich, den Wiener Sinfonikern, dem Los Angeles Philharmonic und dem Boston Symphony Orchestra, als gefeierter Solist auf und widmete sich dem Kammermusikspiel, wo es – wie er betonte – sehr auf Flexibilität ankommt.
Viele Musikfreunde kennen ihn noch als hervorragenden Cellisten, und man möchte bedauern, dass er das Cello nur noch zu Hause „zum Leidwesen seiner Frau“ und vor seinen Studenten spielt, um ihnen, wie er scherzhaft sagte, zu zeigen, „wie es klingt, wenn man keine Zeit zum Üben hat“, womit er immer einen „großen pädagogischen Erfolg“ erzielt.
Mit 23 Jahren dachte er daran, dass das noch nicht alles gewesen sein kann. Eigentlich wollte er zwar nicht unbedingt Dirigent werden, da es schon drei Dirigenten in der Familie gab und er wenigstens der einzige Musiker sein wollte, aber schließlich packte ihn doch der „Virus“ der Familie und er fand „auf Umwegen“ zum Dirigieren, denn – wie er sagte – ist „beim Solisten die „Einsamkeit“ noch größer als beim Dirigenten“, da es nur 1 Probe mit dem Orchester, 1 Generalprobe und das Konzert gibt – und Schluss.
Im Jahre 2000 sollte er für den schwer erkrankten Boris Pergamenschtschikow Tschaikowskys „Karneval“ als Solocellist übernehmen und gleichzeitig das Orchester auch leiten – keine leichte Aufgabe. Da das Dirigieren für ihn neu war, wollte er sich seinen Namen als Cellist nicht „kaputt“ machen, sondern lieber den als Dirigent, da er da noch keinen hatte.
Weihnachten 2005 stand er zum ersten Mal als Dirigent vor einem Orchester. Sein Vater meinte danach, dass er fürchtet, das noch öfter zu erleben.
2006 bis 2010 war Michael Sanderling künstlerischer Leiter und Chefdirigent der Kammerakademie Potsdam, einem Orchester mit Ausrichtung auf Alte Musik, aber auch neue, mit dem er internationale Erfolge verzeichnen konnte.
2010 gründete er zusammen mit seiner Frau in Frankfurt/Main die „Skyline Symphony“ aus den besten Musikern führender europäischer Orchester, um jungen Leuten und vor allem den zahlreichen Studenten der Goethe-Universität Musik in unkonventioneller Weise anzubieten, aber es ist trotzdem schwer, den Konzertsaal dort zu füllen.
Als künstlerischer Leiter der Deutschen Streicherphilharmonie widmet er sich sehr aktiv der Förderung des Nachwuchses. Dieses Orchester bleibt nur über eine Saison zusammen und arbeitet an nur einem Werk. Die jungen Mitglieder können jedoch mehrere Jahre dabei sein. Das Repertoire ist eingeschränkt, da die Qualität entscheidend ist.
Mit dem Dirigenten Heinz Rögner verband ihn eine enge Freundschaft. Durch ihn hat er den Mut gewonnen, mit allen Sinnen dem Musikerberuf nachzugehen und Eindrücke und Empfindungen in Tönen nachzuzeichnen.
In den letzten Jahren dirigierte er bereits als Gast namhafte Orchester, darunter Tonhalle-Orchester Zürich, Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Sächsische Staatskapelle Dresden, Konzerthausorchester Berlin, Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, Berner Symphonieorchester, Orchestre Philharmonique de Strasbourg und Nederlands Philharmonisch Orkest.
Seit der Saison 2011/12 widmet er sich intensiv seinen vielfältigen Aufgaben als Chefdirigent der Dresdner Philharmonie, denn er tut alles, was er sich vornimmt, mit großem Engagement, und diesem Orchester stehen jetzt – durch den Umbau seiner Wirkungsstätte – (mindestens) 3 schwere Jahre bevor.
An der Dresdner Philharmonie schätzt er vor allem den runden, warmen, fülligen, klangvollen Ton und den ehrlichen Willen, Musik zu machen, was jetzt bei manchem Orchester nicht mehr selbstverständlich ist. Diesen traditioneller Klang, der für bestimmtes Repertoire besonders gut geeignet ist, möchte er bewahren, aber auch zu einem gelungenen „Mix“ erweitern und bereichern, da die Orchester jetzt angehalten sind, möglichst viele verschiedene Klangbilder vorzuweisen. Er möchte, dass es auch in 20 Jahren noch ein Publikum gibt, das sich an der Musik „erlaben“ will und berührt wird, denn „Musik erleichtert das Leben“. Er möchte aber auch sehr unterschiedliche Programme für verschiedene Zielgruppen anbieten. Was ihn selbst nicht in irgendeiner Weise berührt, was er nicht wirklich versteht, möchte er auch dem Publikum nicht anbieten, und er möchte auch das Niveau über die bevorstehenden schwierigen Jahre erhalten. „Man sollte nicht vergessen, wofür ein Orchester auf der Bühne sitzt, und immer mit dem höchsten Respekt vor dem Gegenüber musizieren.“
Den Namen seines Vaters empfand er nie als Last. Er stand auch schon als Solist zusammen mit ihm auf der Bühne. Als Dirigenten gehören beide zwei völlig unterschiedlichen Generationen an. Die Zeit der autoritären oder gar tyrannischen Despoten des Taktstocks (zu denen sein Vater nicht gehörte) ist vorbei. Jetzt gilt ein Miteinander mit den Orchestermitgliedern. Sanderling ist ein „Wir-Mensch“ und lernt auch von den Orchestermitgliedern, was er gern zugibt. Er fühlt sich weniger von Top-Orchestern beeindruckt, die im Rahmen ihrer Voraussetzungen routinemäßig erstklassige Leistungen bieten, sondern viel mehr von den Orchestern, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten über sich hinauswachsen und Großartiges leisten. Dort möchte er die Reserven herauslocken.
Ingrid Gerk