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MEININGEN: WAHNFRIED – BILDER EINER EHE von Reinhard Baumgart

02.02.2013 | KRITIKEN, Oper

Meiningen: WAHNFRIED – BILDER EINER EHE (Uraufführung) von Reinhard Baumgart

13.01. (Premiere) /30.01.2013 – (Werner Häußner)

 Im Foyer des ehemaligen herzoglichen Theaters liegt eine bleigraue Baumwolltasche zum Verkauf, darauf gedruckt ein Bild Richard Wagners und ein Zitat: „Es gibt viele Meinungen, aber nur ein Meiningen“. Wagner hat in der Tat dem Städtchen im südlichen Thüringen viel zu verdanken, unter anderem die vorzüglichen Musiker aus der Hofkapelle, die sein Orchester besetzten und damit die ersten Bayreuther Festspiele erst ermöglichten. Inzwischen heißt das Meininger Orchester wieder „Hofkapelle“ und ist stolz auf seine Tradition: Max Reger wirkte hier, und der junge Richard Strauss auch.

Heute gibt das Südthüringische Staatstheater auf seine Weise zurück, was es von Wagner empfangen hat: Die Aufführungen seiner Werke finden ihr Echo sogar in der internationalen Opernwelt – man denke nur an den Aufsehen erregenden „Ring“ von Christine Mielitz, 2001 an vier aufeinanderfolgenden Tagen gespielt. Schon nach der Wende, die Meiningen endlich für alle Westbürger zugänglich machte, importiere August Everding seinen Namen als Regisseur und geschickter Opern-Lobbyist mit einem statisch-erhabenen „Lohengrin“; später gab es auch Skandale wie 2003 die beiden ineinander gekrachten Porsches auf Christian Wiehles Bühne für Alexander von Pfeils „Tristan und Isolde“.

Für solche Provokationen ist Ansgar Haag, der amtierende Intendant, nicht der richtige Mann. Er bevorzugt gediegenes, manchmal auch ins Biedere abgleitendes Theater. Mit dem Programm für das Wagner-Jahr 2013 hat sich Meiningen jedoch wieder einmal in die obere Riege der deutschen Theaterlandschaft gespielt: Das Haus präsentiert mit der Jugendoper „Das Liebesverbot“ (Regie: Ansgar Haag) und dem philosophischen Pendant aus Wagners Spätzeit, „Tristan und Isolde“ (Regie: Gerd Heinz) zwei Werke, die Wagners lebenslange Beschäftigung mit dem Themenkomplex Liebe und Tod dokumentieren; und es hat ein umfangreiches ergänzendes Programm erdacht. In diesem Rahmen fand nun auch eine Uraufführung statt: „Wahnfried – Bilder einer Ehe“, ein Stück des Literaturkritikers Reinhard Baumgart (1929 bis 2003) und – gut spartenübergreifend gedacht – ein Beitrag des Schauspiels zum Wagner-Jahr.

Richard und Cosima: ein unerschöpfliches Thema, in mannigfaltigen Facetten beleuchtet, von Psychologen analysiert, von der Kulturgeschichte zum Beispiel einer patriarchalistischen Musterehe des 19. Jahrhunderts erklärt, skandalisiert, verklärt und verspottet, aber bis heute faszinierend, weil in dieser Beziehung Privates und Öffentliches nicht auseinanderzuhalten ist: Eine Ehe, von ihren Protagonisten medial geführt, von ihren Voyeuren medial ausgeschlachtet. Ein Dramen- und Komödienstoff, von dem Karl Marx meinte, er könne sich auch in einer Tetralogie darstellen lassen.

Baumgart, angeregt von der Veröffentlichung der Tagebücher Cosima Wagners 1979, hat fleißig und kunstsinnig die Ereignisse gesammelt, die zwischen dem Umzug der damaligen Frau von Bülow nach Tribschen 1869 bis zum Tod Wagners in Venedig 1883 diese Ehe geprägt haben. Sternstunden eines „hohen Paares“ und eifersüchtiges Gezänk, Dominanz und Unterwerfung, philosophische Verbrämung oder künstlerische Camouflage des Alltags, Wagners Liebschaften mit der französischen Journalistin Judith Gautier und der Sängerin Carrie Pringle. Der verklemmte, schüchterne Nietzsche kommt vor, und der alte Franz Liszt (Ingo Brosch) geistert – ganz aus Wagners Perspektive gesehen – als gespenstisch-komischer „running gag“ durch die Szene. Auch Wagners Neufundländer Ruß hat seine Rolle (Matthias Herold).

Herausgekommen ist ein (1986 hochkarätig verfilmtes) Szenen-Kaleidoskop, das nun in einer Regie von Jan Steinbach erstmals auf die Bühne kommt: in Meiningen ein symmetrischer Bau von Frank Albert, ein strenges, aufdringlich rotes Gebilde aus Treppen, Podesten, und Öffnungen, bei dem man die Anregungen aus der Architektur der Villa Wahnfried und des Bayreuther Festspielhauses höchstens in Grundzügen erahnt. Ein Spielort aber, der sich für intime Momente genauso eignet wie für die Selbststilisierung Wagners, der hin und wieder wie ein lebendes Denkmal deklamierend die Szenerie dominiert.

Das Konzept Baumgarts schwankt zwischen Dokumentartheater, spätbürgerlichem Familienstück und gleichnishaftem Mysterienspiel – in Meiningen betont durch den Auftritt von Masken und venezianischen Commedia dell’Arte-Figuren (Kostüme: Lisa Däßler). Das hat seinen Reiz, denn es fängt in seinen formalen Elementen Leitmotive Wagner‘scher Lebensideologie ein: die ständige Transzendierung hin auf das Originalgenie etwa, die Stilisierung zum Großkünstler und Welterklärer. Es passt auch zur Person Cosima Wagners, die als Opfer und Täterin zugleich gezeichnet wird: Büßerin für ihre Sünden, die durch „Richards Werk“ entsühnt wird; Dienerin der Größe Wagners, die durch ihre unbedingte Hingabe an das „Werk“ herrscht: ein Opfer, das sich berechtigt fühlt, von allen Opfer zu verlangen.

Die Verdoppelung der Figur kommt dem ständigen Changieren zwischen unmittelbarem Erzählen, Reflektieren und Resümieren zu Gute: Cosima eins ist die angespannt und robust ihre Worte schleudernde Chris Pichler; die gealterte Cosima zwei als Walterin des Erbes gestaltet die überlegen-resignierte Ulrike Barthruff mit schöner Gelassenheit. Andere Protagonisten aus Wagners Lebensschauspiel kommen eher als Fußnoten vor, wie der schüchtern-verklemmte Friedrich Nietzsche in einer treffenden Studie Florian Beyers oder Harald Schröpfers geknickter Hans von Bülow. Lukas Benjamin Engel als Siegfried überdreht und verhaltensgestört durch die Szene hampeln zu lassen, wird dieser Vater-Sohn-Beziehung nicht gerecht. Anja Lenßen (Judith Gautier) und Anne Rieckhof (Carrie Pringle) lässt Regisseur Steinbach so eng klischiert agieren, dass weder die Faszination Wagners auf die Damen, noch der beiden Frauen Rolle für den Tonschöpfer über das Maß einer Kotzebue’schen Komödie hinaus deutlich wird.

Und so fragt man sich, nach einer straff formulierten, geschickt mit Komödiantischem spielenden Exposition im Lauf des Stücks, worauf Steinbach eigentlich hinaus will. Als Wagner um 21.43 Uhr erklärt, er werde vor der Abfahrt in die Grube noch den Parsifal schreiben, weiß man es immer noch nicht. Denn Steinbach reißt die Linien an, zieht sie aber nicht weiter: Familienstück, Künstlerschicksalsdrama, allegorisches Spiel? Oder wenigstens leises Lächeln zeugende bürgerliche Komödie? Das Meininger Wagner-Stück ist das alles, aber nur irgendwie.

Mag sein, dass der Hauptdarsteller die Zuspitzung verhindert hat. Denn Peter Bernhardt näselt sich als Wagner mit zum stetigen Quäken gezwungener Stimme durch den Zitatedschungel, bleibt ein gemütlicher Schwadroneur, der die Egomanie Wagners zwar darstellt, aber in den spießigen Egozentrismus einer Komödiengestalt herunterbricht. Über das Schwanken zwischen Lustgreis und Stammtisch-Philosoph wächst er nicht hinaus; von der rätselhaften, genialischen Faszination Richard Wagners kann er wenig vermitteln. Dieser Wagner könnte von Carl Sternheim stammen: auch eine Facette des Bayreuther „Meisters“, aber nicht unbedingt die wichtigste für uns.

Werner Häußner

 

 

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