Meiningen: „LOHENGRIN“. Besuchte Vorstellung am 13.05.2022
Copyright: Michel Reichl
Da sage einer, Freitag der 13. sei ein Unglückstag? Weit gefehlt zur Aufführung von „Lohengrin“ von Richard Wagner beschied Idise die germanische die Göttin des Schicksals dem Staatstheater Meiningen einen wahren Glückstag. Gastierte das Ensemble am Abend zuvor mit einer grandiosen authentischen „Tannhäuser“-Aufführung auf der Wartburg zu Eisenach (Frau Dr. Sieglinde Pfabigan war extra aus Wien angereist und wird berichten) erlebte man am Folge-Abend ein weiteres Highlight des renommierten traditionsreichen Opernhauses.
Wie schön und vor allem wie modernes Musiktheater begeistern kann war Ansgar Haag und seinem vortrefflichen Team Dieter Richter und Kerstin Jacobssen zu danken. In genialer Personenregie und insbesondere einer wohl durchdachten „Massen“-Führung erzählte der erfahrende Theatermann Haag, ohne jegliche störenden Mätzchen authentisch die Textur, verlegte die Handlung in die Ära des Aufbruchs der Gründerzeit. Dieter Richter ließ dazu pompöse Bühnendekorationen wie prachtvolle Gebäude und ebenso herrliche Wandbilder des Brautgemaches sowie das imposante Finalbild á la Caspar David Friedrich erstehen. Erlesene wunderschöne Kostüme dieser Epoche rundeten die ästhetische Optik auf unübertreffliche Weise ab und erfreute das Auge. Wie bereits anfangs erwähnt: so schön kann „moderne“ Opernregie begeistern, nein regelrecht beglücken, sind nur die absolut richtigen geistvollen Könner am Werk!
Nun gehöre ich zur Gilde der oft mitleidig belächelten Schar der Musikfreunde an welche Werke nicht nur dutzendfach nein hundertfach (Tage – Monde) erlebten und sich immer wieder für interessante Deutungen und vortrefflich musikalische Interpretationen aufs Neue begeistern können. Ich kann mich nicht erinnern eine Lohengrin-Aufführung der letzten Jahrzehnte so intensiv nachhaltig im Gesamtkonzept erlebt zu haben und es fiele mir heute unheimlich schwer einer Einzelleistung die Krone des Abends zu gewähren. Beginne ich meinen Bericht in galanter Weise mit den Damen.
Von der Regie zunächst als naives junges Mädchen im Bewusstsein der Erretteten demütig zu Lohengrins Füßen, sich allmählich steigernd zur emanzipiert wissend-fordernden Frau angelegt, vermochte Lena Kutzner eine in tiefer Liebe entbrannte Elsa, deren Wunsch alles über den unbekannten Geliebten zu erfahren weit größer erschien als alles zu verlieren anmutig darzustellen und verstand es zudem jene Regungen auch vokal höchst souverän umzusetzen. Der Klang ihres jugendlich-lyrischen attraktiven Soprans, die Feinheiten ihrer Phrasierungen, die Sinnhaftigkeit des Ausdrucks und ihr immenses klangvolles Höhenpotenzial ließ sie zur idealen Rollenvertreterin avancieren. In bester Manier verstand es die exzellente Sängerin ihren voluminösen Sopran mit dem warmen Timbre in glücklicher Konstellation ebenso mit betörenden Piani und herrlichem Legato zu be(ver)zaubern.
Sabine Hogrefe war mir bereits als Isolde, Färberin und ebenso als „wilde Seherin“ Ortrud in bester Erinnerung. Obwohl ich mir für diese Partie einen Mezzosopran wünsche, zog mich die vielseitige Künstlerin erneut in ihren Bann und meisterte die Partie mit Bravour und beeindruckte als dämonische, darstellerisch intensive, intrigante Darstellerin von hohem Rang. Zum Spiel provokanter Attacke jonglierte ihr modulationsreicher Sopran mit dunklen Couleurs und gefährlich-gewaltigen Höhenausbrüchen. Vortreffliche Zwischentöne mischte die Sängerin intelligent während der einschmeichelnden Warnungen an Elsa mit fulminant-gleißenden Tönen.
Schönstimmig formierten sich die Edelknaben Katharina Fulda, Dana Hinz, Jisun Oh, Soomin Yu zur Ankunft Elsas.
Geradezu als sensationell durfte man das Debüt von Harish Shankar als Lohengrin-Dirigent bezeichnen, welcher als Einspringer ohne Proben dem Auditorium Wagner-Wonnen pur offerierte. Umsichtig waltete der malayische passionierte Dirigent am Pult der prächtig disponierten Meininger Hofkapelle und legte eine sehr eindringliche Lesart der Partitur vor. Die getragenen Tempi welche er besonders im Lyrischen favorisierte gaben diesem Lohengrin etwas Mystisches, die elegischen Streicher-Pastelle zur Einleitung verhießen bereits lukullisch-akustische Genüsse, steigerten sich allmählich von Holz- und Blechbläsern assistiert zum glamourös latentem Gesamtklang. Auf wunderbare Weise brachte Shankar Wagners Poesie und Prosa natürlich auch Dank des exzellent aufspielenden Orchesters in wunderbarer Formation zum Leuchten ohne jedoch die äußerst dramatischen Aspekte zu obsolessieren und so verstanden es u.a. die prächtig disponierten Blechfraktionen die Partitur-Effekte stilvoll ausbalanciert zu präsentieren.
Bevor ich jedoch die Vorzüge der männlichen Solisten erwähne, möchte ich den Damen und Herren des Chors, Zusatz- und Extrachors des Staatstheaters Meiningen höchstes Lob zollen. Wann zuvor durfte man die Tableaus (wie am Vorabend unter weniger idealen akustischen Bedingungen) in derart präziser Formation erleben? Zur intensiven Vorbereitung von Manuel Bethe präsentierten sich die Stimmgruppen konzentriert in klangvoll-transparenter Ausgewogenheit und zudem in höchst agiler Gewandtheit während der Aufmärsche am Münster sowie im dritten Aufzug in allerbester Positionierung.
Zwei Rollenvertreter hat das Haus zu bieten wie ebenso in Kürze den Gasttenor Marco Jentzsch, heute Abend jedoch beeindruckte Magnus Vigilius als Lohengrin. Der hochgewachsene schlanke Tenor präsentierte sein lyrisches, feinstimmiges, schön timbriertes Material bestens differenziert kombiniert zu kernigen maskulinen Qualitäten. Versiert, schier ohne konditionelle Einbußen sang Vigilius die Partie technisch eindrucksvoll disponiert, widmete der Gralserzählung eindrucksvolle Legatokultur und silbern hell strahlende Leuchtkraft.
Als imposant prägnanter Telramund stellte sich Shin Tanigucchi vor, verlieh der Figur devote Charakterzüge, verstand es in bester Artikulation (wie alle Solist*innen einschl. der Chöre) mit seinem in allen Lagen prächtigen und bestens fokussierten Bariton zu ausgefeilten Phrasierungen, der Partie ausdrucksstarke, markante Präsentation zu schenken.
Mit fein-dunkel fundiertem schönem Timbre, nachtschwarzen Schattierungen, bestens dargebotenen Nuancierungen punktete Selcuk Hakan Tirasoglu als König Heinrich ohne vokale Einbußen wie bereits am Vorabend als Landgraf.
Wie auch gestern als grandioser Wolfram im Einsatz präsentierte heute Johannes Mooser in müheloser schönstimmiger baritonaler Intonation den hervorragend disponierten markanten Heerrufer.
Ohne Fehl und Tadel fügten sich die Stimmen der vier Brabantischen Edlen Horst Arnold, Matthias Richter, Axel-Michael Thoennes, Sang-Seon Won ins vortreffliche Ensemble.
Ein ungewöhnlich, sehr undiszipliniertes, geräuschvoll unruhiges Publikum (in den hinteren Parkettreihen) feierte alle Beteiligten lautstark mit großer Begeisterung.
Die Vorstellung von musikalisch und optisch sehr hohem Niveau, schwerlich zu toppen wird mir noch lange in Erinnerung bleiben und sei jedem Opern- und Wagner-Enthusiasten empfohlen.
Gerhard Hoffmann