Max Reinhardt – Helene Thimig
BRIEFE IM EXIL
560 Seiten, Residenz Verlag, 2023
1917 in Berlin. Da stehen sie sich in seinem Büro gegenüber. Der berühmteste 44 jährige Theaterdirektor der Stadt und die 28jährige Schauspielerin aus Wien, die zwar aus einer bekannten Theaterfamilie kommt, aber noch kein Star ist. (Sie wird in dem Sinn, wie man das Wort versteht, auch nie einer werden.) Beide sind verheiratet, sie seit dem Vorjahr mit dem Regisseur Paul Kalbeck, er seit 1910 mit der Schauspielerin Else Heims, mit der er zwei Söhne hat.
Max Reinhardt und Helene Thimig wurden ein Paar, sie ließ sich gleich darauf scheiden, Reinhardt verließ zwar 1919 für sie seine Familie, musste aber bis 1935 warten, bis er seine Scheidung durchsetzen und Helene heiraten konnte.
Nichtsdestoweniger war Helene Thimig bis zu seinem Tod die Frau an seiner Seite, wenn auch keinesfalls als glamouröse Erscheinung, sondern als „Schattenfrau“, die sich stets am Rande hielt. Und die sich von Reinhardts Besitz ergreifender Art und seiner Eifersucht quälen ließ – und seine Geliebten akzeptieren musste. Als er starb, war eine andere an seiner Seite…
Darum geht es in dem Buch, das nun zu Max Reinhardts 150. Geburtstag erschienen ist und die an sich reiche Literatur über ihn um Aspekte ergänzt, die man bisher nicht kannte. Denn als er und Helene (die keine Jüdin war, also nicht emigrieren musste) ins amerikanische Exil gingen, waren sie immer wieder lange Zeit von einander getrennt – er suchte in New York an seine Theatertriumphe anzuknüpfen, sie musste in Los Angeles bleiben, weil Reinhardt dort eine Schauspielschule („Workshop“) gegründet hatte, von der er sich bald zurückzog, worauf die ganze Arbeit an Helene hängen blieb. In Hollywood beim Film unterzukommen, gelang ihr im Gegensatz zu anderen deutschen Schauspielerinnen (etwa Marlene Dietrich) nur mit einigen kleinen Rollen.
Zwischen Reinhardt und Helene lag die meiste Zeit der ganze amerikanische Kontinent. Sie schrieben einander – sie meist lange Briefe, er neben Briefen auch eine Menge Telegramme mit Forderungen und Beschwerden. Es gibt viel mehr Briefe von ihr als von ihm, doch einige von Reinhardts Schreiben sind so lang, dass er – beide schrieben mit der Hand – stundenlang darüber gesessen haben muss. Telefoniert haben sie offenbar selten, das war quer über den Kontinent auch entsprechend teuer.
Die Briefe lagerten bis dato unbearbeitet teils in der Wien Bibliothek, teils in New York, jene von Reinhardt waren abgeschrieben, jene von Helene Thimig mussten erst transkribiert werden. Die Erlaubnis gab Michael Heltau, in dessen Haus Helene Thimig in ihren letzten Jahren ein liebendes Refugium gefunden hatte und der über die Rechte an ihrem Nachlaß verfügt. Helga Rabl-Stadler und Landeshauptmann Wilfried Haslauer unterstützten das aufwendige Unternehmen, das von Edda Fuhrich, die ihr wissenschaftliches Leben mit Arbeit an Max Reinhardt verbracht hat, und Reinhardt-Biographin Sibylle Zehle betreut wurde.
Man muss sich die Situation für beide vorstellen. Reinhardt war mit größten Hoffnungen in die USA gekommen, gedachte trotz seines Alters (er war Mitte 60) an seine einst glanzvolle Karriere in Europa (Berlin, Wien, Salzburg) anzuknüpfen. Man hatte ihm auch große Hoffnungen gemacht. Und dann rollte man ihm doch keinen roten Teppich aus – wie ernüchternd war das Erwachen für einen Mann, der sich einst wie ein König fühlte, sich als solcher gebärdete und von der Umwelt so behandelt wurde, der in einem Schloß residiert hatte… und der nun um Arbeit kämpfen und unter Geldnot leiden musste? Seine Stimmungen schwankten enorm, zwischen Depressionen und hochfliegenden Plänen von Theatergründungen und Häuser-Erwerbungen (nichts realisierte sich). Reinhardt musste sich nach „Brotarbeit“ umsehen (und etwa gemeinsam mit Erich Wolfgang Korngold aus der „Fledermaus“ eine Broadway-„Rosalinda“ machen).
Reinhardt, der sich stark in Emigrantenkreisen bewegte, ist es auch, der gelegentlich erschüttert darüber reflektierte, was er in den Zeitungen über die Zustände in Deutschland las. („Mein Herz ist schwer. (…) Dass dieses grauenhafte Unrecht in Deutschland weitergeht, immer böser wird, auf die Spitze getrieben wird, ohne zu brechen. Im Gegenteil.“)
Helene Thimig schrieb tapfere Briefe. Sie sind inhaltlich nicht übermäßig interessant, aber sie reflektieren einen Alltag, wo es Luxus ist, „ins Dampfbad“ zu gehen, wo man das Leben mit Kino- und Konzertbesuchen bereichert und sich dauernd um den Partner in der Ferne sorgt. In die Kreise der berühmten Emigranten, die sich in und um Los Angeles niedergelassen haben, mischt sie sich nicht, „nie“ ist sie bei Werfels…
Tragisch sind die ununterbrochenen Geldsorgen – man schickt einander, was man hat. Als Reinhardt einmal 100 Dollar sendet, ist sie „namenlos erlöst“. Später heißt es, sie habe gerade einmal 3 Dollar in der Tasche… Nur eine Frau, die mit jedem Cent rechnen muss, führt so genaue Aufzeichnungen über Ausgaben, wie man sie auf Seite 170 abgebildet findet.
Als Max Reinhardt am 9, September 1943 seinen 70. Geburtstag feiert, reist Helene zu ihm und sie verbringen noch elf Tage gemeinsam. Ihr letzter Brief ist vom 22. September und eine schmerzliche Klage über das Leben, das sie zu führen gezwungen ist und wo sie sich von ihrem eigenen Ich entfremdet fühlt – wobei sie besonders die Trennung beklagt. „Ich möchte mit Dir zusammen sein! Ich möchte mit Dir leben.“ Auch ohne Beruf, nur als Hausfrau. „Ich liebe Dich. Und kann es nicht sagen. Ich Arme.“
Sie konnte es ihm auch nicht sagen, als sie den Sterbenden wieder sah, denn man hatte Reinhardts Schlaganfälle lange verheimlicht, auch vor ihr. Sie musste den Zug nach New York nehmen, vier Tage lang, um dann seine Geliebte Eleonora von Mendelssohn vorzufinden, die in Reinhardts Appartement eingezogen war und ihn pflegte. „Die letzten Tage hatte sie ihn endlich wieder ganz für sich“, wie Herausgeberin Sibylle Zehle schreibt.
Für den Leser bedeutet es Trost zu wissen, dass Helene Thimig nach der wahren Tragödie, die sie in der Emigration erlitten hatte, nach ihrer Rückkehr in Österreich sowohl im Wiener Reinhardt-Seminar wie bei den „Jedermann“-Aufführungen der Salzburger Festspiele den ihr gebührenden Platz als Reinhardts Witwe – und als Lehrerin, Regisseurin und Schauspielerin – einnahm.
Renate Wagner