Bei dem Gespräch in der Merker-Galerie / Foto: Barbara Zeininger
MAX EMANUEL CENCIC
Das Bunte macht die Dinge interessant
Max Emanuel Cencig, aus Kroatien stammend, lange Zeit in Wien ansässig, ist einer der führenden Countertenöre unserer Zeit, den die Musikkritiker und das Publikum auf Händen tragen. In einem Gespräch in der Merker-Galerie erzählte er von seiner Berufsauffassung, die nicht die spektakuläre Karriere, sondern die Liebe zur Musik und das Interesse an interessanten Projekten in den Mittelpunkt stellt.
Von Renate Wagner
Herr Cencic, ich hoffe, Sie sprechen gerne über Ihren Beruf?
Ja.
Das ist gut, denn ich denke, es gibt bei der Berufsbezeichnung „Countertenor“ immer noch Erklärungsbedarf. Wie kommt es, dass heute, in einer Zeit, wo kleine Jungen glücklicherweise nicht mehr kastriert werden, sich eine Männerstimme in Richtung „Countertenor“ entwickelt?
Die Stimme ist ein Muskel, die Gesangstechnik passt sich dem Körper an, und mit der Zeit, wenn die Stimme sich weiterentwickelt und man sie in dieser Richtung trainiert, kann man weiter singen wie vor dem Stimmbruch. Früher dachte man, es sei nicht möglich, aber es geht natürlich. Es gibt die englische Schule, die junge Sänger als Tenor und Bariton ausbilden und ihnen dann beibringen, im Falsett zu singen. Ich hingegen habe gar keine Bruststimme, ich singe nur mit Kopfstimme.
Manchmal werden Countertenöre auch als „Altus“ bezeichnet, ist das eigentlich dasselbe?
Der Countertenor ist sozusagen ein „Mann, der hoch singt“, und hier unterscheidet man dann auch Alt, Mezzo und Sopran, die drei unterschiedlichen Lagen wie bei den Damen. Ich bewege mich im Mezzobereich.
Wenn man als Zuschauer die Augen schließt, klingt eine „Counter“-Stimme oft tatsächlich wie eine Frau, man vermöchte es als ungeübter Zuhörer nicht zu unterscheiden.
Das mag sein, dazu gibt es eine lustige Geschichte. Ich hatte eine CD mit Rossini Opernarien aufgenommen, das war vor sechs oder acht Jahren. Damals erschien eine Rezension im „Rondo“- Magazin, wo Kritiker schreiben, ohne zu wissen, wer die ausführenden Künstler sind – quasi blind. Der Rezensent sprach über meine Rossini CD, als ob ich eine Mezzosopranistin wäre, lobte eine junge, tolle Stimme – und als er erfuhr, dass er einen Countertenor gehört hat, war er völlig von den Socken.
Das heißt, Sie singen auch Koloraturen, was ja für Männerstimmen nach dem Barock nicht mehr vorgesehen war?
Das stimmt nicht ganz. Das Zeitalter der Kastraten war ja nicht ausschließlich das 17. und 18 Jahrhundert, es gab sie auch noch im 19., sogar Anfang des 20. Jahrhunderts, wenn auch nicht mehr sehr viele. Für Giambattista Velluti, den man den „Letzten der Kastraten“ nannte, hat Rossini etwa noch 1813 den Arsace in „Aureliano in Palmira“ komponiert. Er sang die Rolle in Mailand, in Neapel war es dann Giuditta Pasta, weil es zunehmend weniger Kastraten gab und die Rollen dann oft an Frauen gingen. Cecilia Bartoli, die auch immer neugierig auf neue Werke ist, hat mir neulich eine Oper von Niccolò Zingarelli zugeschanzt, die 1810 in Neapel ein Riesenerfolg war und in der es noch zwei Kastraten-Rollen gibt.
Es ist ja auch heute noch üblich, etwa in Händel-Opern die Kastraten-Partien mit Mezzosopranen zu besetzen.
Und das ist auch legitim, denn die italienische Oper setzt keine strengen Regeln, sie hat gewissermaßen ein fließendes Geschlechterbild. Verkleidung ist ein Teil der Tradition, ist nichts Ungewöhnliches, und im Grunde genommen, ist es egal, ob ein Mann oder eine Frau die Rolle singt – wenn es funktioniert, ist es okey,
Ich erinnere mich an eine Zeit, wo Jochen Kowalski der einzige Countertenor weit und breit war, den man kannte, und der wurde gewissermaßen ein wenig misstrauisch als Kuriosität beäugt. Heute hat sich das gewaltig geändert, Sie stehen im Kreis einer Handvoll hochkarätiger Kollegen, die inzwischen wie Sie in diesem Genre zum Weltruhm gekommen sind. Hat diese Veränderung mit einer Wiederentdeckung der Werke von Händel zu tun?
Die Zeiten ändern sich, wenn ein Publikum immer dasselbe Opernrepertoire vorgesetzt bekommt, will es einmal etwas Neues. Und die zeitgenössischen Opern schaffen es – bis auf ein Hardcore-Publikum, das Modernes liebt – im allgemeinen nicht, auf breiter Basis zu gefallen. Da musste Neues kommen, auch wenn es Altes war wie eben Händel. Allerdings gab es beim Erobern des Barocks das Problem der Orchester. Es gab große Kämpfe zwischen den Vertreten des traditionellen klassisch-romantischen Klanges und denen des Originalklangs – Harnonocourt war da unter den Ersten.
Man hat sich als Opernbesucher beim Hören schwer getan und man fragte sich, warum Mozart plötzlich so schroff, rau und hart klingen sollte. Aber es war ein Gewöhnungsprozeß – zumindest in der barocken Szene hat sich der Originalklang auch beim Publikum „in den Ohren“ gänzlich durchgesetzt.
Ja, und wir sprechen ja nicht nur von Händel, sondern auch von Hasse, von Porpora, von Vinci, wobei jeder von ihnen Dutzende und Aberdutzende Opern komponiert hat. Das ist ein Repertoire, das gar nicht zur Gänze vorliegt, das teilweise noch erarbeitet werden muss.
Es heißt, Sie hätten den „Ataserse“ des Leonardo Vinci entdeckt?
Ich habe schon sehr früh, um mich außerhalb des etablierten Opernsystems aufzuhalten, 2002 das Label von Parnassus Arts Productions gegründet. Das ist ebenso eine Agentur wie ein Produktionsunternehmen, da arbeite ich mit fünf Leuten zusammen, wir vertreten 18 Künstler und finden uns immer wieder zu Projekten zusammen. Hier kann ich die Dinge machen, die mir Spaß machen – „Ataserse“ war da etwas Besonderes, weil ich so interessant fand, dass in Rom – im Gegensatz zu anderen Opernhäusern – Opern noch im 18. Jahrhundert im Dunstkreis des Vatikans nur mit Männern besetzt wurden. Und ich wollte als Beispiel dafür den „Ataserse“ aufleben und wie damals nur mit Männern besetzen – also mit einigen meiner Counter-Kollegen, etwa Philippe Jaroussky Franco Fagioli, um nur zwei zu nennen.
Wir haben das Glück, Sie mit Ihren Produktionen relativ oft im Theater an der Wien zu hören?
Ja, derzeit reisen wir mit „Siroe“ von Hasse, im Herbst mit „Catone in Utica“, wiederum von Vinci, wiederum ausschließlich mit Männern besetzt, eine gewaltige Ballung von Countertenören. Solche Produktionen sind dann mit einer Tournee verbunden, wobei wir meist auch ins Theater an der Wien eingeladen werden und zwischen den USA und Australien wirklich weltweit unterwegs sind. Es gibt eine CD, und wir bemühen uns auch um eine szenische Aufführung, die ich gerne selbst inszeniere. Und das mache ich dann so „exotisch“ wie möglich, ich finde, das gehört zum Barocken, da suche ich die größtmögliche Vielfalt. Es ist doch das Bunte, das die Dinge interessant macht.
Wenn Sie also Ihr künstlerisches Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten, bleibt wenig Platz für den etablierten Betrieb?
Ja, ich mache es nicht zu oft – etwa „Tamerlano“ mit Placido Domingo 2011 in Barcelona, mit einem ganz „normalen“ Orchester, und das ist dann nicht so meines. Meine Projekte haben auf jeden Fall Vorrang, darum ist Dominique Meyer auch böse auf mich, denn er wollte mich für eine Rolle im „Tempest“ von Adès, aber für diese Zeit werde ich mit meiner Truppe „Alessandro“ von Händel in Halle machen, und ich werde diese Menschen, die mit mir zusammen arbeiten, keinesfalls enttäuschen.
Wie lange brauchen Sie, um eine neue große Rolle zu erlernen?
Ungefähr einen Monat. Ich arbeite dann mit Korrepetitoren, die allerdings ziemlich an mir verzweifeln, weil ich meine ganz eigenen Vorstellungen habe.
Haben Sie unter der Fülle der Komponisten, die Sie im Repertoire haben, eigentlich einen Liebling, den Sie besonders gern singen?
Nein, eigentlich nicht, ich mag Musik generell, da habe ich keine Präferenzen. Ich habe ja auch keine Lieblingsfarbe oder Lieblingsessen. Das Leben ist voll von Überraschungen, und wenn man sich festlegt, engt man sich ein, ist nicht mehr offen für die Welt, offen für neue Eindrücke.
Es wird immer wieder die Frage gestellt, was Musik uns heute bedeutet?
Ich denke, man braucht die Kunst, um das Leben zu erfahren. Wir lernen so vieles, aber woran es vielen Menschen mangelt, ist meiner Meinung nach die emotionale Intelligenz. Und ich denke, man könnte da vieles beheben, indem man Kindern einfach von früher Jugend an Musikunterricht geben würde…
Denken Sie an die Zukunft, Herr Cencic?
Nur insofern, dass man natürlich zu planen hat, wenn man als „Unternehmer“ Verträge unterschreiben muss. Aber im Grunde ist mir immer nur wichtig, was ich momentan mache, und was in Zukunft kommt oder nicht – wer weiß? Ich hatte letztes Jahr keine Ahnung, dass ich dieses Jahr in Paris leben werde! Allzu viel vorzuplanen, ist nicht mein Ding!
Im Gespräch mit Renate Wagner / Foto: Barbara Zeininger