Salieris weltliche Kantate „Der Tyroler Landsturm“ aktueller denn je
Martino Hammerle-Bortolotti
Beim Klassikkonzert des traditionellen Babylonfests im mährischen Brünn sang der österreichische Bariton Martino Hammerle-Bortolotti eine unbekannte Arie aus dem „Tyroler Landsturm“ von Antonio Salieri. Der Erfolg war mehr als nur bemerkenswert. Hanna Zakhari, die Vorsitzende des Deutschen Kulturverbands, bat den Sänger zum Gespräch.
Herr Hammerle-Bortolotti, wie sind Sie bei der Auswahl Ihres Konzertprogramms auf Salieri gestoßen?
Seit jeher ist es mein Bestreben, in meine Konzertprogramme nicht nur allbekannte Kompositionen aufzunehmen, sondern auch musikalische Raritäten aufzuspüren und diese dem Publikum vorzustellen. Ich bin also ständig auf der Suche nach etwas Neuem. Da bin ich auf die weltliche Kantate „Der Tyroler Landsturm“ von Antonio Salieri gestoßen und schon der Titel allein hat mich sehr neugierig gemacht.
Sie kommen aus Innsbruck in Tirol, daher scheint dieses Interesse ja ganz klar zu sein, oder?
Genau! Aber es war dann überhaupt nicht einfach. Nach längerer Nachforschung musste ich feststellen, dass es weder von dieser Kantate noch von deren Baritonarie brauchbares Notenmaterial gibt. Es gibt nur das handschriftliche Autograph der Orchesterpartitur, die in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt wird. Darüber hinaus verfasste Salieri einen eigenhändigen Klavierauszug. Und letztens gibt es von diesem Klavierauszug eine zeitgenössische, für den modernen Gebrauch nur sehr eingeschränkt taugliche Druckversion.
Und was haben Sie dann des Weiteren unternommen?
Ich habe mich mit Frau Dr.in Andrea Harrandt, einer Mitarbeiterin der Musiksammlung, in Wien persönlich getroffen. Das war Ende Januar 2022, mitten in der Covid-19-Zeit. Da ich ihr Büro nicht betreten durfte, wurde ich von Frau Harrandt im großen Eingangsfoyer empfangen und wir saßen einander masketragend mit dem gebotenen Sicherheitsabstand gegenüber. Das war ein doch sehr seltsames Erlebnis, das mir zeitlebens in Erinnerung bleiben wird. Frau Harrandt erzählte mir viel über Antonio Salieri in Wien und dessen Landsturm-Kantate und hat mir tags darauf den Link zum Herunterladen der gescannten Originalpartitur geschickt. Und ich habe dann beschlossen, mich diesem Werk anzunehmen und komplett neues Orchestermaterial für den modernen Gebrauch zu erstellen mit der Absicht, daraus wenigstens die Baritonarie zur Aufführung zu bringen.
Wie kam es, dass Salieri, der als Hofkapellmeister und Leiter der Hofsängerkapelle in Wien hohes Ansehen genoss, sich musikalisch mit dem Tiroler Landsturm befasste?
Salieri komponierte den „Tyroler Landsturm“ 1799 als ein Gelegenheitswerk anlässlich des Eindringens napoleonischer Heere in Tirol. Der Text stammt vom Schriftsteller und Hofsekretär Josef Franz Ratschky. Die Titelseite des gedruckten Klavierauszugs enthält die Worte: „… samt dem, aus dem Verkauf dieses Werkes ergebenden Nutzen, ZUM VORTHEIL der durch feindliche Verheerungen verunglückten Tyroler und Vorarlberger Landeseinwohner“. Die Uraufführung war am 23. Mai 1799 im Wiener k.k. Redoutensaal. Alle Mitwirkenden hatten offenbar auf ihre Honorare verzichtet. Salieri steuerte neben der Komposition selbst auch noch 80 Gulden aus seinem eigenen Vermögen bei, damit zusätzlich anfallende Kosten wie etwa für Kopistendienste finanziert werden konnten. Es war also eine Art Benefizveranstaltung. In Innsbruck wurde das Werk zum Namensfest des Kaisers am 4. Oktober 1799 aufgeführt.
Und beim Klassikkonzert im Rahmen des Brünner Babylonfests haben Sie dann daraus eine Arie gesungen?
Ja, genau. Manch einer meinte, dass nach Salieri und seinen verstaubten Archivalien kein Hahn mehr krähe. Ich ließ mich dadurch jedoch nicht beirren, erstellte das Notenmaterial mithilfe eines Computerprogramms, studierte anschließend die Baritonarie mit ein paar Musikern der Brünner Philharmoniker ein und sang dieselbe dann im Konzert. Der Text der Arie lautet: „Übermütige Verächter heiliger Verträge brecht immerhin mit Hohngelächter Eidespflicht und Völkerrecht“. Mit dem derzeitigen Angriff durch die russische Armee auf die Ukraine gewannen diese Worte eine ganz neue Dimension der Sichtweise. Bei Aufnahme meiner notensetzerischen Arbeit konnte ich die Entwicklung in der Ukraine nicht im Geringsten vorhersehen. Durch die traurigen Ereignisse dort ist also die Aussage Salieris Landsturm-Kantate mit einem Schlag aktueller als denn je geworden.
Ihr Auftritt in Brünn war ein großer persönlicher Erfolg für Sie. Gibt es für Musikliebhaber auch einmal die Möglichkeit, die ganze Kantate im Konzert zu hören?
Die Landsturm-Kantate ist für eine große Besetzung geschrieben: für vier Solisten, Doppelchor, Orchester und einen Sprecher. Ich bin gerade mit verschiedenen Institutionen in Wien, Brünn und Innsbruck in Verhandlung, diese Kantate im Jahre 2025, also zum 200. Todestag von Antonio Salieri, zur Aufführung zu bringen. Das digitalisierte Orchestermaterial ist bereits fertiggestellt. Ich möchte mich an dieser Stelle insbesondere bei Herrn Dr. Timo Jouko Herrmann, dem international führenden Salieri-Spezialisten in Walldorf bei Heidelberg, für seine zahlreichen und unschätzbaren Ratschläge bedanken. Viele Zweifelsfälle und Ungenauigkeiten in der handschriftlichen Partitur konnte ich mit ihm anhand der Zusendung von Fotos per Whatsapp in gemeinsamer Diskussion rasch und zufriedenstellend lösen.
Was sind nun Ihre nächsten Konzertprojekte?
Derzeit bereite ich mich auf die nächsten Auftritte in der Advents- und Weihnachtszeit vor. In diesem Jahr erwarten mich einige Konzerte mit verschiedenen Konzertchören, aber auch mit dem Kinderchor des Österreichischen Gymnasiums in Prag. Auf die Zusammenarbeit mit diesen Kindern freue ich mich schon jetzt ganz besonders.
Vielen Dank für Ihr Gespräch und weiterhin alles Gute!
Auch ich bedanke mich für die Möglichkeit zu diesem Gespräch.
Hanna Zakhari
Martino Hammerle-Bortolotti (* 25. Juli 1969 in Innsbruck) ist ein österreichischer Opern- und Konzertsänger der Stimmlage Bariton, Arrangeur, Musikforscher und Übersetzer. Er lebt seit 1995 in Brünn und abwechselnd auch in Wien und Florenz. Er trat mit Soloabenden in verschiedenen Städten in Deutschland, Italien, Österreich, Polen, Tschechien und der Slowakei auf. Aus Anlass der 300. Wiederkehr des Geburtstages von Kaiserin Maria Theresia im Jahr 2017 arrangierte er den ersten Teil des Maria-Theresianischen Gesangsbuchs für Bariton und Bläserquintett. Die 24 Lieder wurden bei einem Gedenkkonzert im Rahmen der Napoleonischen Tage 2017 auf Schloss Austerlitz sowie bei den Festtagen „Audienz bei Kaiser Karl I“ in Brandeis an der Elbe aufgeführt. Weiters bearbeitete er das Notenmaterial für Teile der vergessenen Oper Die Templer in Mähren von Karel Šebor, die dem Publikum 2018 bei einem Konzert in der Schlossreithalle in Valtice vorgestellt wurden. 2019 verfasste er für die tschechische Theateragentur Dilia neues Orchestermaterial der Oper Hedy von Zdeněk Fibich. Im Jahre 2022 erstellte er komplett neues und digitalisiertes Notenmaterial der weltlichen Kantate „Der Tyroler Landsturm“ von Antonio Salieri.