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Martin Kušej: HINTER MIR WEISS

24.05.2022 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Martin Kušej
HINTER MIR WEISS
192 Seiten, Verlag edition a, 2022 

Es war schon klar, dass ein Mann wie Martin Kušej zu seinem „Sechziger“ keine Theater-Memoiren der üblichen Art schreiben würde. Es gibt beispielsweise kaum Namen von Kollegen (man nehme Claus Peymann oder Christoph Schlingensief aus und sonst nur die nötigsten, meist Intendanten), kein einziger Schauspieler kommt vor. Es gibt auch kein Register, wo die Herrschaften sich selbst suchen könnten oder nachsehen, was vielleicht über Kollegen da steht. Kušej ist anders, das war er immer schon, das will er sein, das ist sein Markenzeichen.

Martin Kušej, geboren am 14. Mai 1961 in Wolfsberg in Kärnten, will auch mehr Grundsätzliches sagen als Persönliches. Immerhin erzählt er, wie er seine „slowenische Identität“ fand, von der seine Eltern nichts wissen wollten. „Den Hatschek in meinem Nachnamen trage ich seither mit Stolz“, schreibt er. Eine zeitlang machte er sich einen Spaß daraus, eine Visitenkarte nur mit dem Hatschek vorzuweisen. Nun legt er auch Wert darauf, dass man seinen Namen richtig ausspricht: Das „u“ zu Beginn kurz und betont, das „s“ mit Hatschek wird zu „sch“, und hinten ein klares e, gefolgt von j, nicht das übliche „ei“,  sondern wie bei He-y. Die Wiener werden es schon noch lernen, meint er.

In zehn Kapitel mit anspruchsvollen Titeln teilt Kušej seine Aufzeichnungen, „Tod“ kommt ebenso vor wie „Identität“, „Österreich“ ebenso wie „Freiheit“ oder „Gott“. Er plaudert nicht, er reflektiert.

Niemand wird es verwundern, dass sein erstes Kapitel „Provokation“ heißt und mit den Buh-Rufen gegen seine „Tosca“-Inszenierung im Theater an der Wien beginnt. Er lässt keinen Zweifel daran, dass er gerne Skandal macht, gerne Widerspruch fühlt, sich dann erst so richtig in dem bestätigt sieht, was er tut. Immer will er gegebene Erwartungen des Publikums an ein Werk unterlaufen, radikal neu denken, neu zeigen. Schon in seinen Anfängen galt, was er bis heute durchhält: „Wir hatten keine Angst davor, uns an den Klassikern zu vergehen.“

Diese Klassiker spielen in dem Buch eine große Rolle, die „Hermannsschlacht“, „Hamlet“, „Kabale und Liebe“, „Faust“, „Fidelio“, „Maria Stuart“ oder Fassbinders „Petra von Kant“ unterzieht er genauen Analysen, psychologisch, soziologisch. Und doch – das könnten Seminar-Arbeiten der Germanistik an der Uni sein. Warum er etwa die Königinnen in „Maria Stuart“ andauernd von einer Phalanx nackter Männer flankieren lässt, das erklärt Kušej nicht. Auch nicht, ob er den ihn so befriedigenden Hang zur Provokation je hinterfragt. Ob er an das Publikum je anders denkt als an Feinde, die man verstören, ja,  ins Gesicht schlagen muss…

Es gibt schaurige Kapitel wie jenes über den  Tod, wo er u.a. seine Begegnungen mit der britischen Autorin Sarah Kane schildert (die sich umgebracht hat) – mit vollem Verständnis für die absolut grauenvollen, zerstörerischen Visionen, die sie erdacht hat. Es gibt Satirisches – mit Wien und den Wienern kann er sich eigentlich nicht befreunden, dazu ist er vielleicht nicht so sehr Slowene als „Deutscher“, als der er sich in seinen vielen Jahren dort zu fühlen gelernt hat. Nur ein Bewusstsein als „Österreicher“ – das klappt nicht so recht.

Nicht immer kann man Kušejs Gedanken wirklich folgen, vor allem nicht dem Titel des Buches, den er im letzten Kapitel zu erklären sucht. „Hinter mir weiß“ soll bedeuten, keine Spuren (im Schnee) zu hinterlassen. Kann das wirklich die Absicht eines Mannes sein, der so sehr die Konfrontation mit der Gegenwart und ihren Menschen sucht? Will er wirklich keine Spuren hinterlassen?

Renate Wagner

 

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