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Magda Egressy: A LIFE ON THE RUN

27.01.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Magda Egressy:
A LIFE ON THE RUN
Aufgezeichnet von Ulrike Ladnar und Heinz Decker
Auch auf Deutsch erhältlich,
ins Englische übersetzt von Heinz Decker

Es gibt jüdische Schicksale, deren Tragik man kaum für möglich hält und deren Überleben im 20. Jahrhundert von einem einzigen treibenden Element gekennzeichnet war: der Flucht. Magda Egressy, die, allen Schwierigkeiten zum Trotz, ungeheurem Lebenswillen enrwickelte, war 98 Jahre alt, als sie in der jüdischen Budge-Foundation im Frankfurter Stadtteil Seckbach starb. Ihr letzter Wunsch wurde ihr erfüllt: Sie wollte ihr tragisch-turbulentes Leben aufzeichnen. Das Ehepaar Ulrike Ladnar und Heinz Decker hat ihr dabei geholfen.

Ihr Vater hieß Alexander Eisenbach, war ungarischer Jude und Kapellmeister. Er durfte oft vor Kaiser Franz Joseph spielen, der eine besondere Vorliebe für ihn hatte und ihn „Egressy“ nannte, was quasi ein ungarischer „Adelstitel“ war. Egressy heiratete Martha Schwarz, die in einer Budapester Damenkapelle spielte. Noch vor dem Ersten Weltkrieg gingen sie nach Hamburg. Die Flucht vor Pogromen brachte sie nach Ungarn zurück, wo Magda Egressy, später verheiratete Lorant, am 26. Mai 1920 geboren wurde. „Am liebsten werde ich Mazi genannt.“

Sie und ihre drei älteren Geschwister waren künstlerisch begabt, Mazi brachte es später zum Koloratursopran, die für ihre Königin der Nacht, Konstanze und Rosina so viel Lob erhielt wie ihr Tenor-Gatte Gyuri. Dieser trat in Deutschland unter den Künstlernamen Georg Lorant und reüssierte als Radames, immerhin unter Christoph von Dohnanyi…

Aber eine richtige, kontinuierliche Karriere war für Juden im 20. Jahrhundert so gut wie unmöglich. Man wird fast schwindlig vor der Unzahl von „Fluchten“, die das Leben Magda Egressy auferlegt hatte. Noch mit ihr als Baby flohen die Eltern in die Niederlande, nach Den Haag. Holländisch war Mazis erste Sprache. Der Vater eröffnete ein ungarisches Restaurant, ließ sich aus der alten Heimat Paprika, Salami und andere Spezialitäten schicken, und war sehr erfolgreich: Alexander Moissi zählte zu seinen Stammgästen. Und alle Egressy-Kinder standen schon in frühester Jugend auf der Bühne.

Nächste Station Berlin, weil ihre Schwester Rosi so krank wurde, dass nur die berühmte Charité ihr Leben sicherte. Eine zeitlang wohnte die Familie sogar im Hotel Adlon, der Vater fand eine Beschäftigung als Manager eines Theaterclubs. Mazi ging in die Schule, aber auch hier blieb man nicht lang. 1928 ging die Familie nach Wiesbaden, wo Vater Egressy Kinos leitete, Mazi im Kinderchor auftrat und auch in der „Puppenfee“ als kleiner Soldat erschien. Fünf Jahre blieb sie als Kind am Wiesbadener Theater – und dann kam Hitler.

An sich wusste niemand, dass die ungarische Familie jüdisch war, „ohne Konfession“ stand in ihren Pässen. Es war Mazi, die es unschuldsvoll ausplauderte – einem Mädchen, dessen Vater SS-Offizier war. Egressy verlor seine Stellung und brachte seine Familie so schnell wie möglich nach Paris, eine Stadt, die voll war von Flüchtlingen aus Deutschland, für die es alle keine Arbeitserlaubnis gab. Da erschien das heimatliche Ungarn eine bessere Lösung – die nächste Flucht.

Mazi war 15, als sie 1935 in Budapest ankamen. Sie sprach kein Wort Ungarisch – Deutsch war ihre Sprache gewesen. Mit einem Tournee-Ensemble war die Familie am Balkan unterwegs, in Sofia, in Athen und Saloniki, auch in Warschau, auch in Genf und Zürich, als Juden immer gefährdet. Unterwegs hatte sie den Tenor Gyuri Lorant kennen gelernt, die Liebe ihres Lebens, so dass sie ihn auch gegen den Widerstand der Eltern heiratete.

Wenn es für Mazi als Künstlerin – Tänzerin, Sängerin – keine Arbeit gab, scheute sie sich nie, etwas anderes zu tun, um ihr unsicheres Leben zu finanzieren. So war sie während des Krieges in Budapest auch Kindermädchen. „Leben und überleben war für uns Juden schier unerträglich hart“, erinnert sie sich. Es war nur eine Frage der Zeit, bis man sie finden, gefangen nehmen und deportieren würde. Allerdings gab es so genannte „Swiss Houses“, Häuser, die von Ländern wie der Schweiz, Schweden oder Dänemark eingerichtet wurden, um ihre Landsleute und auch gefährdete Juden zu schützen. Dennoch sollte Mazi nach Auschwitz deportiert werden. Schier unfaßlich die Geschichte ihrer Flucht, wieder Gefangennahme, wieder Flucht. Damals zeigte sich auch, wer wirklich ein Freund war. Angst hatte man später übrigens auch vor den russischen Befreiern…

Mazi hatte Glück: Zu Kriegsende fand sie ihren Mann wieder, Russen lieben Musik, der Tenor erfreute sie mit russischen Liedern, so kam man über die Runden. Einzelne Mitglieder der zerrissenen Familie tauchten wieder auf. Und nach dem Krieg konnten Mazi und Gyuri auf die Bühne zurück kehren und das wieder aufnehmen, was noch nie so richtig als „Karriere“ geklappt hatte, wobei bei Mazi im September 1946 noch die Geburt ihres einzigen Kindes, des Sohnes „Toma“ gewissermaßen dazwischen kam, der ein so unruhiges Leben führen sollte wie die Eltern.

Wieder gingen sie auf Tournee, gastierten an vielen ungarischen Häusern, Mazi als Koloratursopran. Als solcher wurde sie – nächste Station – in Dessau engagiert, während Mann und Sohn in Ungarn blieben. Erst als Gyuri ein Engagement in Dresden erhielt, rückten sie einander wieder näher. Der Ungarn-Aufstand 1956 machte jede Rückkehr unmöglich.

Sie waren im „Goldenen Westen“, fanden mit Hilfe von Kollegen Theo Adam einen Agenten, sangen in Frankfurt und an vielen Orten, nicht immer in den Opernhäusern. Sie kamen nach Zürich, Mazi nahm – wieder getrennt von der Familie – ein Engagement in Lübeck an. Das Lob für ihre Rosina war stürmisch. Guyri ging nach Oldenburg, dann nach Freiburg, und als man Mazi ein Engagement in Kiel anbot, hatte sie endgültig genug: Sie wollte nicht immer von ihrer Familie getrennt sein.

Was konnte sie? Singen, spielen, tanzen. Aber sie war entschlossen, alles zu lernen, und wurde Sekretärin, bekam immer bessere Jobs. Guyri zog sich 1965, da war er 50, von der Bühne zurück. Immerhin trat er noch hier und dort auf. Das Ehepaar nahm nun eine Möglichkeit wahr, die sich früher nicht geboten hatte: freiwillig die Welt zu bereisen, nicht auf der Flucht, sondern Freunde und Familie (viele waren in Australien gelandet) zu besuchen. Sohn Tom wechselte Gattinnen und Schauplätze seines Lebens, aber Mazi war glücklich, auch weil er ihr Enkel bescherte – bis Guyri 2004 starb, und mit ihm „eine Hälfte von mir“, wie sie sagte.

Bis sie im hohen Alter in Frankfurt zur Ruhe kam, immer noch lebhafter Mittelpunkt eines Kreises von Menschen, die nicht genug davon bekommen konnten, ihre „Abenteuer“ zu hören, verging einige Zeit. Gegen Ende, im jüdischen Heim, fand sie das, was es in ihrem Leben nie gegeben hatte: das Judentum, jüdischen Glauben, jüdische Bräuche. Sie mochte das, wie sich Ulrike Ladnar erinnert, die mit Heinz Decker Mazis Erinnerungen aufzeichnete und oft bei ihr saß. Bei einer letzten Begegnung erklärte sie den beiden ganz stolz, was „Purim“ sei. „Hättet Ihr das gewusst?“ fragte sie. Bis zu ihrer letzten Minute war sie bereit für Neues.

Renate Wagner

 

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