Marie –Theres Arnbom
DIE VILLEN VON BADEN
Wenn Häuser Geschichten erzählen
216 Seiten, Amalthea Verlag, 2022
Österreichische Geschichte mit spezifisch jüdischem Einschlag, erzählt anhand von Orten – das ist die Spezialität von Marie-Theres Arnbom, mittlerweile auch Direktorin des Theatermuseums in Wien, in den letzten Jahren geworden. Sie hat Villen und ihren Besitzern nachgeforscht – in Bad Ischl, im Ausseerland, am Attersee, am Traunsee, in Pötzleinsdorf, . Ihr jüngster Band gilt den Villen in Baden bei Wien, dort, wo man sich gerne niederließ, kam doch auch die kaiserliche Familie hierher. Ihr „Kaiserhaus“ am Hauptplatz ist heute Ort von Ausstellungen. Derzeit geht es, kuratiert von der Autorin, um die Villen in Baden…
In der kleinen Stadt mit dem biedermeierlichen Gepräge gibt es Hunderte von Villen, die auch im Stil von Historismus und Jugendstil entstanden – und von denen sehr viele nicht mehr existierten. Tragisch endet manches Kapitel mit dem Hinweis, an der Stelle des einstigen Gebäudes stehe nun ein Wohnblock oder Garagen. Viele Nachkommen jüdischer Eigentümer, die den Besitz der vertriebenen oder ermordeten Vorfahren mit viel Mühe zurück bekommen haben, entschlossen sich zum Verkauf – und nicht nur Einzelpersonen, auch die Stadt Baden hat oft genug gegen die historische Substanz entschieden und gnadenlos weggerissen.
Es gibt viele Geschichten zu den Villen zu erzählen, oft stehen faszinierende Einzelpersonen und Familien hinter den Häusern, die teils im Auftrag sehr reicher Leute gebaut und oft immer wieder an neue Besitzer verkauft wurden. Marie Theres Arnbom konnte auch viel Bildmaterial zusammen tragen – es ist alt, es ist nicht gestochen scharf, aber es vermittelt sehr viel von dem Stil der Häuser und vom Luxus der Ausstattung.
Was in Baden heute noch zu sehen ist, kann mit Hilfe von Spaziergängen, die am Vorsatz des Buches eingezeichnet sind, nachgegangen werden. Freilich, dass man in die noch existierenden Häuser „hinein“ könnte, findet wohl nicht mehr statt – so wie damals, als es Dieter O. Holzinger 2005 gelang, in der Villa Hahn Schnitzlers „Das weite Land“ zu spielen und damit genau den Schauplatz des Stücks gefunden hatte: eine äußerst noble Villa in Baden.
Jene des Industriellen Samuel Ritter von Hahn wurde von niemand Geringerem als Otto Wagner entworfen, und wie bei vielen der Badener Villen stand ein enormes, in den meisten Fällen jüdisches Vermögen dahinter – das sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Weitsicht machen ließ, als die Wirtschaft explodierte, Fabriken, Eisenbahnlinien gebaut wurden, der Handel mit Waren aller Art Europa umspannte. Diese Vermögen paarten sich in vielen Fällen mit Geschmack, Kunstsinn, Kulturaffinität und auch viel Wohltätigkeit. Es sind hier großartige Geschichten zu erzählen, wo es mehr um die Bewohner der Häuser geht als um diese selbst.
Dabei kommen nicht nur Männer zum Zug – es gibt auch abenteuerliche Frauen-Geschichten. Man begegnet jener Mercedes, die dem Auto ihres Vaters den Namen gab (bis heute), man begegnet der über die Maßen erfolgreichen Soubrette Mizzi Zwerenz, die der Stadt bis zu ihrem Lebensende treu blieb, und auch der Bühnenstar Paula Menotti verdiente genug Geld, um sich eine Villa in Baden leisten zu können (was eine kostspielige Angelegenheit war). Man lernt Lukrezia Biedermann kennen, die den Mann ihrer verstorbenen Schwester heiratete und nach dessen Tod 1905 in ganz Baden durch ihr eigenwilliges Verhalten berüchtigt wurde, dass man ihre Villa nur „Verwunschenes Schloß“ nannte. Besonders abenteuerlich ist die Geschichte von Else von Ruttershelm, die in ihrer Villa ein illegales Spielcasino betrieb… Sie war übrigens die Mutter des später sehr bekannten Schauspielers Carl-Heinz Schroth, der in seinen Memoiren von ihr erzählt.
Große Familien mit zahlreichen Mitgliedern über Generationen hinweg (und vielfach untereinander verheiratet) tauchen auf, die Löwensteins, die Gutmanns („Kohle-Gutmanns“ genannt, weil sie damit ihr Vermögen machten), die Benbassat (die aus dem Osmanischen Reich kamen, wohin sie aus Spanien geflüchtet waren, aber wie viele sephardische Juden zog es sie dann nach Österreich), die Bienenfeld, die Rothberger, die Gallia, die Heller, die Böhm, die Kary, die Neumann – und viele andere mehr, und all diese Leben endeten 1938, bestensfalls überlebend in der Emigration, schlechtestenfalls ausgelöscht in Todeslagern.
Die Villen wurden entweder an Parteigenossen billig verkauft oder vom damaligen Staat ohnedies „eingezogen“. Als Beispiel eines solchen „Nutznießers“ erzählt die Autorin die Geschichte des Wienerlieder-Komponisten Heinrich Strecker, der sein Leben lang von keinerlei Einsicht in sein Handeln beschwert wurde.
Und man liest auch von wahren Abenteuergeschichten, die alle mit Badener Villen zusammen hingen, deren Besitzer in die Welt gingen – so wurde aus Harry Grobel ein Reginald LeBorg, der als Regisseur in Hollywood arbeitete, und aus Franz Kurt Levai ein gewisser Frank Lloyd, Besitzer der Marlborough Gallery, der Lucian Freud und Jackson Pollock vertrat und verdächtigt wurde, nach dem Tod von Mark Rothko zumindest nicht korrekt mit dessen Nachlass umgegangen zu sein… Man kommt als Leser weit herum, wenn man von den Badener Villen ausgeht.
Renate Wagner