Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Marie-Theres Arnbom: DIE VILLEN VOM TRAUNSEE

18.06.2019 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Marie-Theres Arnbom:
DIE VILLEN VOM TRAUNSEE
Wenn Häuser Geschichten erzählen
254 Seiten, Amalthea Verlag, 2019

Damals, als er noch nicht „Urlaub“ hieß und Jumbo-Jets voll „Touristen“ in Richtung Malediven abhoben. Damals, als man noch „in die Sommerfrische“ fuhr. Damals entwickelte sich in Österreich eine regelrechte Kultur rund um diese Welt für sich. Natürlich nur, wenn man das nötige Kleingeld dafür hatte, aber dagegen ist nichts zu machen – Armut bringt keine Villen im Salzkammergut hervor. Und denen ist Autorin Marie-Theres Arnbom nun schon im dritten Buch, nach Bad Ischl und dem Attersee, auf der Spur.

Diesmal ist es der Traunsee, an dem sie fündig wird, rund um das legendäre Gmunden, in dessen Schloß Orth im See einst der exilierte Teil der Habsburger-Familie, die Toscana, lebten (bevor man Schloßhotel-Serien dort drehte…). Übrigens hat Herr Rudolf Slatin, ja, jener Slatin Pascha, der einen großen Teil der Welt kannte, einmal gesagt, einen so herrlichen Ort wie Gmunden habe er noch nirgends gefunden… auch er lebte hier, in Traunkirchen. Wo sich auch reiche Russinnen eine Villa bauen ließen, von Theophil Hansen immerhin, und man schätzte die Damen sehr – aber begraben wollte man sie hier nicht wissen, waren sie doch nicht katholisch…

Es ist Monarchie-Land, Ischl ist nicht weit, es gibt auch Monarchie-Skandale hier, der aus der Familie ausgeschiedene Johann Orth und seine Tänzerin Milli Stubel, und es wurde auch viel geklatscht, als der Freiherr von Prokesch-Osten die Schauspielerin Friederike Gossmann heiratete (wenn der reiche Herr Wisgrill sich eine Schauspielerin nahm, ging das eher an).

Es gibt ganz besonders viel Musik um den Traunsee: die Komponisten Erich Wolfgang Korngold (als Hausbesitzer) oder Arnold Schönberg (vom Mattsee von wilden Nazis vertrieben und hier als Untermieter), Johannes Brahms (für den es hier auch ein Museum gab), Hugo Wolf (Gast bei der Familie Köchert), der weltberühmte Geiger Joseph Joachim (dieser in besonders vielen Villen zu Gast) fanden sich hier ein. Und rund um die Löwenthals gab es eine berühmt-berüchtigte Geschichte um Beethovens Schädel… (es waren allerdings nur Fragmente, die wie eine Reliquie verehrt wurden). Als „Zugereiste“ haben sich auch die Berliner Mendelssohns im Sommer hier nieder gelassen.

Andere bekannte Einzelpersönlichkeiten schälen sich heraus, die Frauenrechtlerin Marie Lang, die Kunststickerin Henriette Mankiewicz, die Wittgenstein-Tochter Margarete Stoneborough, die Klimt so unvergleichlich gemalt hat, die Schriftstellerin Herminia Zur Mühlen, die Sängerin Paulina Lucca, die in ihrer Villa sogar einen kleinen „Opernsaal“ hatte – auch als es noch schwierig war, haben sich Frauen schon allein einen Namen gemacht. Übrigens hatte auch jene Mathilde Wesendonck, die für Richard Wagner eine so wichtige Rolle gespielt hat, in Altmünster am Traunsee eine Villa, aus der ihre jüdische Nachfolge-Besitzerin vertrieben wurde… Noch eine berühmte „Geliebte“ wohnte hier, in Traunkirchen: Sophie Löwenthal, die große Liebe von Nikolaus Lenau.

Die Geschichten der Traunsee-Villen (für so manche hat man hochrangige Ringstraßen-Architekten verpflichtet) sind wieder Familiengeschichten, vor allem die jüdische Oberschicht war vielfältig mit- und unter einander verwandt (und Sommerfrische-Sommer konnten auch manches Eheband knüpfen). Industrielle und Millionäre wandern durch das Buch, und manche, die als „Cohn“ geboren waren, haben ihre Namen geändert, um im Zuge der Assimilation ihr Judentum nicht in die Welt zu schreien… aber was nützte es, die Weltgeschichte griff ganz hart durch.

Was nicht mehr überraschen darf, sind die Ereignisse um 1938 – und vielfach nach 1945. Denn da hatten die enteigneten und vertriebenen Juden, wenn sie denn zurückgekehrt waren, alle Schwierigkeiten der Welt, ihre einstigen Besitztümer wieder zu erhalten. Ja, das Buch bringt Beispiele von unverschämten Ansinnen von Gemeinden, die Herrschaften mögen doch um der guten Nachrede willen auf ihre Häuser und Villen tunlichst verzichten. Das verdirbt einem dann manche Freude… so wie andere schreckliche Ereignisse, dass etwa Käthe Adler, eine von drei reichen jüdischen Töchtern, behauptete, gar nicht das Kind der Adlers, sondern arisch und angenommen zu sein – Verzweiflungstaten, um Leben und Häuser zu retten.

Besonders schön an dem Buch sind allerdings die Fotos, man kann sich die Villen, die oft Herrenhäusern glichen, gut vorstellen, es gibt auch gelegentlich Pläne oder Innenansichten, und Nachkommen der Besitzer haben für die Autorin ihr Familienalbum geöffnet und manche auch – im O-Ton – erzählt, was sie von ihren Vorfahren wussten. Es ist wieder einmal ein Stück österreichischer Geschichte, das man hier zwischen Buchdeckeln erleben darf.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken