Marie-Luise Wolff:
DIE UNBEIRRBARE
DAS ABENTEUERLICHE LEBEN DER MADAME CLIQUOT
352 Seiten, Verlag Edition W, 2022
Es gibt Begriffe, die stehen dermaßen für sich selbst, dass man die echten Menschen vergisst, die sie geschaffen haben. „Veuve Clicquot“, das ist eine der edelsten Champagnermarken Frankreichs. Dass dahinter auch wirklich eine „Witwe“ (Veuve) stand, eine verehelichte Madame Clicquot, die auch noch ihren Mädchennamen Ponsardin daran gehängt hat (der heute der Bequemlichkeit wegen meist weggelassen wird) – allgemein bekannt ist das nicht. Welche Frau hinter diesem Imperium steckte, kann man nun in der Romanbiographie von Marie-Luise Wolff nachlesen.
Die Autorin ist nicht nur als Schriftstellerin, sondern auch selbst als hochrangige Geschäftsfrau in „leitender Funktion in vielen bedeutenden Unternehmen“ tätig. Dass sie eine Geschäftsfrau der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ins Licht rücken will, versteht sich, und es gelingt auch. Allerdings wünschte man, sie hätte die Form einer (nüchternen) Biographie gewählt, statt die Geschichte der Nicole Clicquot, geborene Ponsardin, immer wieder mit romanhaften Dialogen zu versehen, die Wissen transportieren, das man auch weniger gefällig hätte anbringen können.
Und das vor allem, weil die Autorin auch spürbare und kompetente historische Interessen hat. Nicole Clicquot war zwölf Jahre alt, als die Französische Revolution ausbrach, und das nächste Vierteljahrhundert stand für Frankreich, für Europa und also auch für sie ganz unter dem Schatten Napoleons. Dessen Geschichte wird parallel und detailreich, dabei hoch interessant erzählt, wenn auch unter dem negativen Blick von Nicole Clicquot, die – im Gegensatz zu ihrem Vater, einem leidenschaftlichen Napoleon-Bewunderer – geradezu eine Napoleon-Hasserin war, weil sie dessen rücksichtslose Machtgier durchschaute.
Marie-Luise Wolff erzählt die Geschichte von Nicole und Napoleon quasi parallel, ist aber dermaßen von letzterem abhängig, dass sie das Buch quasi beendet, als er in der Versenkung verschwindet. Das war 1815. Tatsächlich lebte Nicole Clicquot noch bis 1866 (!), aber die Jahre bis dahin sind der Autorin gerade noch ein paar Seiten wert.
Immerhin schält sich aus der „Romanhandlung“, die auf Fakten beruht (mit vielen konkreten Daten), das Schicksal einer absolut ungewöhnlichen Frau heraus. In eine wohlhabende Familie in Reims hinein geboren – Vater Philippe Ponsardin handelte erfolgreich mit Textilien –, wurde sie durch das politische Auf und Ab ihrer Epoche zu einer klugen, kritischen Beobachterin. Nicht weit entfernt lebte ebenso wohlhabend die Familie Clicquot mit ihrem Wein- und Kolonialwarenhandel, und obwohl die Eltern bei einer Verbindung ihrer Kinder an Geschäftliches dachten, haben Nicole und François Clicquot, den sie 1798 heirate, einander wirklich geliebt.
Francois war ein aufgeschlossener Mann, der die interessierte Nicole zu seinen Geschäften heranzog, die sich bald nur noch mit der Herstellung und dem Verkauf von Champagner befassten. Die glückliche Ehe dauerte nur sieben Jahre (Tochter Clementine, geboren 1799, blieb ihr einziges Kind), dann starb François Clicquot 1805 an Fleckfieber. Obwohl Napoleon sich so fortschrittlich gab, hatte er für die Stellung der Frau nicht viel übrig – und doch sah das Gesetz vor, dass Witwen ungleich mehr Möglichkeiten hatten als Ehefrauen. Das nützte Nicole, als sie die Firmen von Eltern und Schwiegereltern zusammen legte. Sie hatte dabei auch eine glückliche Hand mit ihren Mitarbeitern, die ihr loyal und helfend zur Seite standen. Dennoch – es war ihr kämpferischer Charakter, der immer und immer durchhielt und stets neue Strategien zur Erhaltung der Firma erdachte.
Von nun an erzählt das Buch vor allem von – Geschäften, denn Madame Cliquot hatte nichts anderes im Kopf und im Sinn. In einem Zeitalter der Kriege war der Handel in Europa meist empfindlich gestört, dennoch gelang es ihr immer wieder mit Hilfe von fähigen Agenten, ihren Champagner überall hin zu verkaufen – bis Russland.
Napoleons Russlandfeldzug brachte das, was man heute als „Sanktionen“ bezeichnen würde, nämlich das Verbot, französischen Wein und Champagner in Russland einzuführen. Aber als Nicole Clicquot bei erster Gelegenheit kühn die Geschäfte mit Russland wieder aufnahm, wurde sie dafür geradezu berühmt. Sie galt damals als „Königin von Reims“. Für ihre Tochter vermittelte sie die Ehe mit einem verarmten Aristokraten und hielt das junge Paar aus, in die Geschäfte bezog sie sie nie ein. Die behielt sie mit ihren Getreuen fest in der Hand.
Wie Nicole Clicquot die Schwierigkeiten eines durch Napoleon unendlich unruhigen Vierteljahrhunderts bewältigte, oft am Rande der Existenz, und dabei nie aufgegeben hat, ist bewundernswert. Das ist ein Blick in die wilden Napoleonischen Jahre und eine Wirtschaftsbiographie, von der man sich wünschen würde, sie brächte nicht unnötig „Romanhaftes“ ein. Immerhin – die Geschichte bleibt spannend genug.
Renate Wagner