Marie-Janine Calic
GESCHICHTE DES BALKANS
VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUR GEGENWART
128 Seiten, Verlag C.H.Beck, Beck’sche Reihe, Taschenbuch, 2023
Der Balkan ragt als dreiecksförmige riesige Halbinsel in das Mittelmeer und ist eine Region, die nicht zuletzt durch ihre verkehrspolitische Bedeutung von ihren Anfängen bis heute von wilden Entwicklungen gezeichnet war. Im Westen die Adria, im Südosten die Ägäis, im Nordosten das Schwarze Meer, im Norden die slowenischen Alpen – und innerhalb dessen zahlreiche Völker, historische Entwicklungen, machtpolitische Verwerfungen – kurz „eine von verschiedenen Rassen hoffnungslos durchmischte Region“, wie es ein Diplomat einmal formuliert hat.
Titos Versuch, Teile der Vielfalt der Ethnien, Sprachen, Religionen in „Jugoslawien“ zusammen zu schmelzen (was letztlich ein Gewaltakt war) und der nach dem Zerbrechen folgende „Balkan-Krieg“ sind älteren Leuten noch in Erinnerung.
Marie-Janine Calic, Professorin für ost- und südosteuropäische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hat nur den beschränkten Rahmen eines Taschenbuchs der Beck’schen Reihe zur Verfügung, um die Geschichte der Region zu schildern. Als Fixum seit der Antike bis heute liegt im Süden Griechenland, einst die Wiege der europäischen Kultur. Vom Balkan zog Alexander der Große aus, den Osten zu erobern. Dieser kam später in Gestalt des Osmanischen Reiches zurück. Den Namen „Balkan“ gab es damals noch nicht, die Türken sprachen von «Rumelien», dem «römischen Land», da sie es von dem geschwächten Byzanz erobert hatten. Von hier aus wollten die Türken im Lauf der Jahrhunderte die Eroberung Zentraleuropas unternehmen, sind aber bekanntlich zweimal an der Belagerung von Wien gescheitert.
Im Mittelalter trafen am Balkan, der Durchzugsroute der Kreuzritter, Christentum und der Islam unversöhnlich zusammen, und die geostrategische Position zwischen Europa und Asien machte den Einfluß auf den Balkan für die Weltmächte begehrenswert. Im 19. Jahrhundert wurde der Balkan durch verschiedene Unabhängigkeitsbestrebungen zum Pulverfass, das ja mit dem Attentat von Sarajevo tatsächlich zum Ersten Weltkrieg hin „explodierte“.
Die Autorin bringt auch viele aktuelle Aspekte ein – tatsächlich hat der Balkan neben der Türkei die ersten Gastarbeiter nach Mitteleuropa gebracht, jeder vierte Bürger aus den Westbalkanstaaten lebt heute in der EU, insgesamt etwa 4,6 Millionen Menschen.
Die „Balkan-Route“ der heutigen Flüchtlingsbewegung zählt ebenso zu den Problemen der Region wie der noch immer negative Beigeschmack, den der Begriff „Balkanisierung“ (Rückständigkeit, Irrationalität und Ethnogewalt) in sich birgt. Auch darum wollen jene Völker, die es noch nicht in die EU geschafft haben (wie Griechenland, Kroatien und Slowenien), so dringend „nach Europa“.
Renate Wagner