MARI ERIKSMOEN
„Ich frage immer zuerst meine Stimme“
Am Tag nach der Premiere von „Hoffmanns Erzählungen“ in der Oper von Oslo, die ihr einen großen persönlichen Erfolg beschert hat, trifft uns Mari Eriksmoen im großzügigen Foyer des sensationell schönen Opernhauses. Auf der Bühne als Olympia eine pompöse Blondine im Monroe-Look, trägt sie privat Zöpfe und ist das einfache norwegische Mädchen schlechthin. Baby und Kindermädchen warten im Hintergrund auf die Mama.
Das Gespräch führte Renate Wagner
Frau Eriksmoen, zuerst Gratulation zu ihrer sensationellen, wagemutigen Olympia-Darstellung. Wie haben Sie sich eigentlich gefühlt, als Ihnen klar wurde, dass Regisseur Calixto Bieito aus ihrer Arie einen Sex-Akt machen würde?
Ich hatte schlicht und einfach Angst. Andererseits war es natürlich eine Herausforderung. Die Olympia mit ihren Koloraturen ist meine Rolle, keine Frage, und es ist so einfach, sie einfach süß und kokett und puppenhaft zu spielen. Ich habe die Rolle bereits zweimal verkörpert, davon einmal in Wien, und immer war es „die Puppe“. Was Bieito wollte, war quasi eine Art Porno-Film, darauf kann man sich einlassen oder nicht. Ich bin nicht dumm und absolut nicht der Typ, der zu allem ja sagt – nackt auf der Bühne? Dazu sollte man ja sagen? Ich überlege immer sehr genau, wozu ich mich entschließe. Aber wenn man es tut und wenn es funktionieren soll, dann muss es so extrem sein wie nur möglich. Natürlich musste ich zuerst meine Stimme fragen – das kommt immer zuerst – , ob ich bei diesen Aktionen auch noch singen kann. Aber als das entschieden war, haben wir bei den Proben die Szene immer noch härter und extremer gemacht, es war dann auch meine Idee, dass Olympia sich mit dem Messer überall am Körper verletzt und sich schließlich selbst vernichtet. Calixto Bieito ist ein Regisseur, der mit Ideen kommt, aber dann vom Sänger auch etwas erwartet, sonst wird ihm langweilig. Also haben wir die Olympia bis zum Äußersten getrieben.
Wie sind Ihre Erinnerungen an Ihre Wiener Olympia im März 2012 im Theater an der Wien?
Die bekam leider schlechte Kritiken, ich meine, die Produktion. Ich weiß noch, dass ich damals erwartet habe, Filmregisseur William Friedkin, der ja immerhin den „Exorzist“-Film gedreht hat, würde etwas ganz Besonderes aus mir machen, aber ich war die übliche Puppe. Davor hatte ich die Rolle einmal in Dänemark gesungen, aber die Version hier in Oslo ist sicher die wichtigste und interessanteste für mich.
Was wäre nun geschehen, wenn Sie gesagt hätten: Sorry, diese Interpretation als „Porno“ will ich nicht machen?
Tatsächlich ist das in dieser Produktion passiert: Die ursprünglich vorgesehene Sängerin der Antonia hat die Rolle zurückgelegt, als ihr klar wurde, dass sie da mit gespreizten Beinen auf der Bühne liegen muss und der Bariton ihr dazwischen kriecht… Ich finde, das war eigentlich noch viel ärger als das, was ich da tun musste, ich konnte zumindest aktiv sein. Ich weiß, dass man in der Oper in Oslo sehr nett war und die Kollegin aus dem Vertrag entlassen hat. Und einen Ersatz finden musste, der tut, was der Regisseur sich vorstellt…
Nun gibt es Sängerinnen – nicht viele, aber bedeutende wie derzeit Diana Damrau – , die alle drei Rollen in „Hoffmanns Erzählungen“ singen. Käme Ihnen das auch in den Sinn?
Unbedingt! Tatsächlich hoffe ich, dass ich das in ein paar Jahren tun kann und werde. Es macht ja eigentlich Sinn, dass Hoffmann in den verschiedenen Frauen immer ein- und dieselbe sucht und findet. Ja, wenn meine Stimme mitmacht, möchte ich das sehr gerne.
Apropos Diana Damrau: Für die sind Sie ja im Oktober 2010 im Theater an der Wien als Zerbinetta in der Harry-Kupfer-Inszenierung der „Ariadne auf Naxos“ eingesprungen?
Ja, und das war eigentlich der Beginn meiner internationalen Karriere, diese ist eng mit Wien verbunden, davor war ich aus Skandinavien nicht herausgekommen. Ich habe auch im Theater an der Wien an sich für die Najade vorgesungen und war ganz glücklich, als das irgendwie gut ging. Wenig später erhielt ich den Anruf, ob ich nicht noch einmal kommen wollte, für die Zerbinetta vorzusingen. Also wieder ins Flugzeug, zu Bertrand de Billy, der mich offenbar mochte und sagte: „Sie haben die Rolle.“ Du liebe Güte! Diana Damrau ersetzen, die eines meiner großen Idole war! Und dann gab es in Wien auch noch so liebenswürdige Leute, die meinten: „Sie wissen schon, dass die letzte Zerbinetta in Wien Edita Gruberova war!“ – noch eines meiner Idole, ein Beispiel dafür, wie lang man mit einer hervorragenden Technik singen kann. Ich war damals 26, und diese Arbeit war für mich eine ganz große Chance. Bei Harry Kupfer habe ich gelernt, dass alles, absolut alles, was man auf der Bühne tut, eine Bedeutung haben muss. Es gibt wunderbare Sängerinnen, die alle hohen Töne haben – aber wenn man nur singt, ist es nicht interessant, das habe ich gelernt. Kupfer hat mir einen ganz neuen Weg gezeigt.
In diesem Theater an der Wien, das für Ihre Karriere so wichtig war, haben Sie nun ein Riesenprojekt vor – drei große Mozart-Rollen unter Nikolaus Harnoncourt im März 2014.
Ja, wobei das auch überlegt werden musste. Nicht die Zerlina, die habe ich schon gesungen, und nicht die Susanna, die ich sehr liebe. Aber bei der Fiordiligi hatte ich Zweifel, die wird oft mit größeren Stimmen besetzt. Aber ich habe Herrn Harnoncourt getroffen und die Rolle für ihn gesungen, er hat sie ja auch vor langer Zeit mit der Gruberova gemacht, er möchte sie so leicht besetzen, auch die Dorabella der Katija Dragojevic ist keine schwere Stimme, und er versicherte, „I will not push you“, also nehme ich das Risiko auf mich. Ich habe mittlerweile gehört, dass die Aufführungen nicht rein konzertant, sondern halb-szenisch sein werden, mit Kostümen, und darauf freue ich mich natürlich sehr.
Die Frage ist unvermeidlich, wie man als Mädchen aus Bergen, einer nicht sehr großen Stadt im hohen Norden, Opernsängerin wird?
Indem man immer schon gesungen hat – allerdings nicht Oper, das kam später. Aber als ich 17, 18 war, mit großer Begeisterung Jazz und Pop. Und dann habe ich einmal Solveig Kringlebotn vorgesungen, die bei uns in Norwegen eine sehr berühmte Opernsängerin ist, und die entdeckte meine hohen Töne. Ich hatte das gar nicht gewusst, aber sie meinte: „Du hast etwas ganz Besonderes“, gab mir ein paar Opernarien zu lernen – und ich habe mich vollkommen verliebt, vor allem in die Königin der Nacht, die ich jetzt noch nicht auf der Bühne singe, aber ich hoffe doch, in absehbarer Zeit. Ich kam dann in Kopenhagen ins Junge Ensemble der Oper, habe die kleinen Rollen gesungen, Barbarina, Frasquita, Eva Wagner holte mich nach Aix – aber 2010 kam dann die Wiener Zerbinetta. Plötzlich Wien, eines der musikalischen Zentren der Welt!
Von da an ging es bergauf?
O ja, und der Kalender füllt sich immer mehr mit Orten und Rollen. Ich werde ziemlich viel nach dem Blondchen gefragt, das auch 2015 in Glyndebourne kommt, aber schon vorher werde ich 2014 in Zürich meine erste Pamina singen, ich liebe Mozart so sehr. In Oslo habe ich die Adele in der „Fledermaus“ gesungen, Rosina (allerdings im Paisiello-„Barbier“) und Oscar stehen bevor. Und eine Rolle, die ich unbedingt singen will, ist die Sophie im „Rosenkavalier“, das muss einfach klappen. Und irgendwann, noch in der Ferne, die Lucia di Lammermoor, eines Tages vielleicht die Traviata.
Mari und Alma (Foto: Heiner Wesemann)
Bei so vielen Plänen haben Sie doch noch eine Tochter ins Programm „eingeschoben“. Sagen Sie uns, warum sie Alma heißt – das ist doch in Norwegen kein gängiger Name?
Nein, aber als ich in der Garderobe meines Mannes Eivind Gullberg Jensen in Hannover den Schwangerschaftstest machte, ging er hinaus und dirigierte Mahler – und so wurde eine „Alma“ daraus. Sie ist jetzt sechs Monate alt und zwei Wochen nach der Geburt habe ich an der Mailänder Scala debutiert – aber nur, weil es bloß der „Waldvogel“ im „Siegfried“ war, eine größere Rolle wäre wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Ich bin sehr glücklich mit meiner Tochter, es ist gut, wenn das Leben noch einen anderen Fokus hat als die Karriere. Und wenn ich mich verändert habe, dann in gutem Sinn – ein Kind schadet der Stimme wirklich nicht. Und irgendwie bin ich heute, obwohl ein Kleinkind natürlich eine enorme Aufgabe ist, weniger gestresst als früher. Ich bekomme auch Hilfe: Mein Vater wird beispielsweise mit mir nach Wien kommen, wenn die drei Mozart-Rollen anstehen, und auf Alma aufpassen, während ich probe oder auf der Bühne stehe.
Noch eine Ehe zwischen einer Sängerin und einem Dirigenten: Wie ist das zu managen?
Mein Mann ist derzeit Chefdirigent der NDR Radiophilharmonie in Hannover, ich lebe, wenn ich nicht anderswo arbeite, in Bergen, und wir reisen viel. Wer ein paar Tage frei hat, versucht, zum anderen zu kommen. Aber wir haben vollstes Verständnis für die Arbeit des anderen, weil wir die gleiche Leidenschaft für die Musik teilen. Ich könnte mir nicht vorstellen, mit jemandem zusammen zu sein, der zuhause sitzt und auf mich wartet. Es ist natürlich besonders schön, wenn wir zusammen arbeiten – im Mai 2014 sind gemeinsame Konzerte vorgesehen, und irgendwann werden wir sicher auch eine Oper zusammen machen.
Werden Sie nach Kirsten Flagstad die nächste große norwegische Sängerin sein, die die Bühnen der Welt erobert?
Das wäre ungerecht, andere zu vergessen – Ingrid Bjoner war Norwegerin, Solveig Kringlebotn oder Elizabeth Norberg-Schulz haben auch große Karrieren gemacht. Und Wagner wie die große Flagstad werde ich wohl nie singen, höchstens einmal eine kleine Walküre. Aber wenn man wie Gruberova die großen Belcanto-Rollen singen könnte, die Anna Bolena etwa, die ich an der Met auch von der Netrebko gehört habe und vor Begeisterung ganz weg war – das wäre natürlich großartig. Und ich halte es mit einem Wort von Natalie Dessay, die einmal sagte: Es gibt viele gute Sänger, aber man wird daran gemessen, was man riskiert. Das ist ganz meine Meinung, und darum habe ich in diese Olympia eingewilligt. Man muss versuchen, etwas Besonderes zu leisten.