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MARCO D’AVIANO UND INNOZENZ XI.

28.04.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Giuliana Vittoria Fantuz / Venanzio Renier
MARCO D’AVIANO UND INNOZENZ XI.
Bewahrer des christlichen Europa
288 Seiten / Verlag Der Apfel

Jeder Wiener kennt Marco d’Aviano, auch wenn er es vielleicht gar nicht weiß: Aber wer immer sich in der Inneren Stadt bewegt, hat wohl schon einmal seine einprägsame Statue vor der Kapuzinergruft wahrgenommen. Woraus sich logisch ergibt, dass der fromme Mann ein Kapuziner war. Das Kreuz vor sich her zu tragen, war gewissermaßen sein Markenzeichen, wenn er zu den Massen sprach, und das tat er in seinem 17. Jahrhundert so erfolgreich wie wenige.

Was es sonst noch über ihn zu wissen gibt, findet man in dem Buch „Marco d’Aviano und Innozenz XI.“, das als Übersetzung aus dem italienischen Original im Verlag „Der Apfel“ erschienen ist und immerhin Wiens Kardinal für das Vorwort gewinnen konnte. Auch der einstige Papst Benedikt XVI. hat Worte zu den beiden Persönlichkeiten gefunden, und man gedenkt auch des Papstes Johannes Paul II., der 1983, zur 300-Jahr-Feier der Türkenbelagerung, nach Wien gekommen war, wo einst mit Hilfe der Polen das christliche Abendland gerettet wurde. 2003 hat Johannes Paul II. Marco d’Aviano selig gesprochen, ein Status, den er mit Papst Innozenz XI. gemeinsam hat.

Und was führt die beiden Männer in einem Buch zusammen? Sie haben entscheidende Beiträge dazu geleistet, dass Wien damals nicht vor den Türken kapitulierte – und sie sind, wie aus dem Buch zweifelsfrei hervorgeht, vorbildliche Gestalten des Christentums. Der in Como in eine reiche Kaufmannsfamilie hinein geborene Benedetto Odescalchi (1611-1689) interessierte sich nicht für Geld und Geschäfte, wurde von den Jesuiten erzogen und machte als Mann der Kirche eher widerstrebend „Karriere“: Als er zum kirchlichen Steuereintreiber ernannt wurde, zahlte er oft aus eigener Tasche für die armen Leute. Er war 65 Jahre alt, als man ihn, den Bischof von Novara, 1676 zum Papst wählte und er sich den Namen Innozenz XVI. gab. Sein dringlichstes Anliegen waren die Reform der Kirche und der Kampf gegen die Türken.

Das ganze 17. Jahrhundert lang – den Menschen steckte das Bewusstsein der Belagerung Wiens 1529 auch nach eineinhalb Jahrhunderten noch in den Knochen – war Europa von den steten Expansionsbestrebungen des Osmanischen Reichs bedroht. Es war Innozenz XVI., der dem nicht immer „flüssigen“ Habsburger-Kaiser Leopold I. mit kräftigen Unterstützungen half, den Kampf zu finanzieren. So war der Entsatz des eingeschlossenen Wien nach der Schlacht am Kahlenberg am 12. September 1683 auch eine Art persönlicher Triumph für den Papst, der daraufhin tagelang unaufhörlich die Glocken Roms läuten ließ, von einer Kirche zur anderen…

Dass die Schlacht von dem deutsch-polnischen Heer gegen eine drückende Übermacht gewonnen werden konnte, haben auch viele der Wortgewalt des großen Predigers Marco d’Aviano zugeschrieben. Geboren als Carlo Domenico Cristofori (1631-1699) in Aviano im Friaul, auch er (in Görz) von den Jesuiten erzogen, kannte er keinen anderen Wunsch als den einer geistlichen Berufung – allerdings wäre er lieber stiller Märtyrer gewesen als das, was das Schicksal ihm auferlegte, nämlich als gewaltiger „Wanderprediger“ im Dienst der katholischen Kirche zu wirken Als er 17jährig ins Kapuzinerkloster eintrat, gab er sich den neuen Namen Marco d’Aviano, wurde Wanderprediger, wider seinen Willen Abt, und als sich in seinem Umfeld unerklärliche „Wunder“ ereigneten, kam er in der katholischen Welt zu beachtlichem Ruhm und zog predigend und hoch bewundert durch halb Europa.

Papst Innozenz XI., der ihn sehr schätzte, erteilte ihm ein unschätzbares Privileg: Er erlaubte Marco d’Aviano auch vollständigen Ablaß für Verstorbene zu erteilen, was viele arme Menschen vor dem Zwang bewahrte, immer wieder teure Messen für ihre toten Verwandten lesen zu lassen. Sein vorbildliches Christentum bewies er auch im toleranten Umgang mit Protestanten – und damit, dass er während der Türkenkriege zahlreichen türkischen Gefangenen, die getötet werden sollten, durch seinen Einspruch das Leben rettete.

Als die Türken vor Wien lagen, wurde Marco d’Aviano – vom Papst geschickt – erst zu Kaiser Leopold I. gerufen, der sich die Sache von Tulln aus ansah und die Kriegshandlungen seinen Generälen, voran Karl von Lothringen (auch ihn soll Marco d’Aviano durch ein „Wunder“ geheilt haben) überließ – und dem zur Rettung herbei geeilten Polenkönig Johann Sobieski III.. Marco d’Aviano, dem man nach sagte, „voll Eifer, voll Feuer und voll Geistlichkeit“ zu predigen, motivierte die christlichen Soldaten ausreichend, dass sie, wie man sagt, so gestärkt zum Sieg schritten: Es war eine Welt, in welcher der Glaube noch eine reale Macht darstellte.

Der Kaiser hatte ihn nach dem Sieg in Wien halten wollen, aber Marco d’Aviano reiste unermüdlich weiter durch ein von den Türkenkriegen geschütteltes Europa, nun vor allem im Osten, um weiter zu predigen und eindrucksvolle Akte des Glaubens zu setzen: Als er mit einer Marienstatue von Ungarn nach Wien pilgerte (die Marienverehrung hatte er mit Johannes Paul II. gemeinsam), siegte Prinz Eugen wenig später bei Zenta. Die kaiserliche Familie fragte ihn um Rat, und Marco d’Aviano war es, der sich bei der Brautwahl von Erzherzog Joseph (dem späteren Kaiser Joseph I.) für eine katholische Prinzessin aussprach und eine glückliche Ehe stiftete.

1699 hatte ihn der Vatikan (nun schon der nächste Papst) in diplomatischer Mission nach Wien geschickt, um entstandene Schwierigkeiten auszuräumen. Marco d’Aviano starb bei diesem Aufenthalt, als der Kaiser und die Kaiserin ihn gerade an seinem Krankenbett besuchten. Es spricht für die Einstellung des Barocks zum Tode, dass Leopold I. später in einem Brief schrieb: „Ich hatte das Glück, mit der Kaiserin bei seinem Tod zugegen zu sein…“ Marco d’Aviano war mit dem Kreuz in der Hand gestorben.

Die beiden Autoren – Giuliana V. Fantuz, für Biographien zu christlichen Themen bekannt, Venanzio Renier, seinerseits Kapuziner, der die Seligsprechung Marco d’Avianos unermüdlich betrieben hatte – , begnügen sich allerdings nicht mit den Lebensbildern der beiden Männer aus Italien, die für Österreich so wichtig wurden, sondern malen ausführlich die Epoche, die Türkenkriege und ihre Protagonisten (ein spannendes Porträt ist auch Großwesir Kara Mustafa Pascha gewidmet). So hat man es nicht mit einem katholischen Erbauungswerk, sondern einen Stück Geschichte zu tun.

Renate Wagner

 

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