Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

MANNHEIM/ Nationaltheater: SIEGFRIED

05.07.2013 | KRITIKEN, Oper

Mannheim: SIEGFRIED am 4.7.2013

 Der Mannheimer Siegfried vom ‚Allrounder‘ Achim Freyer ist wieder ein Augenschmaus erster Güte. Die Einfallskraft, Bilder zu kreieren und zu assoziieren erscheint unbegrenzt und ist gepaart mit einer exorbitanten Phantasie. Noch dazu hat Achim Freyer aber auch Vorbilder, bei ‚Siegfried‘

handelt es sich dabei um John Cage und Francis Bacon, die ihn zu derartiger Bildkraft und der Faszination der sich sich zutiefst eingrabenden Chiffren und Bilder inspirieren.

 Bei solch einer sich immer auch in grellsten Farben ausdrückenden Bildhaftigkeit könnte man etwa auf den Gedanken kommen, dass die Siegfried-Musik, die ja als scherzohaft zurückgenommen gedeutet wird, in den Hintergrund gerate. Das ist aber am Mannheimer Nationaltheater keineswegs der Fall. Sie jauchzt und schluchzt in allen Phasen und schäumt quasi unter Dan Ettingers wuchtiger Leitung über den Graben herauf auf die gesamte Bühne. Heikle Stellen, die rasante Schwertschmiede-Musik, aber auch bei rhythmisch prononcierten Gestalten wie Wanderers Abstieg zu Erda, die erst in den 1860er Jahren wieder aufgenommen wurde, oder die so sensitive ‚Erweckungsmusik‘ erscheinen exzellent geprobt und gespielt.

Wagners Tiefensphäre mit Tuben und Baßposaunen wie auch das näselnd sonore Holzblaselement kommen immer beglückend plastisch zur Geltung.

 Was Achim Freyers Interpretation anbelangt, so gibt ihm der 1.Siegfried-Akt die steilste Vorlage. Auf der weiß gehaltenen, im Prinzip leeren Bühne steht zentral ein großes Krankenbett für Siegfried. Ziehvater Mime ist sein Krankenwärter, aber mit weißem, hinten knöpfbaren Krankenhemd eigentlich auch ‚krank‘, wenn nicht debil gezeichnet. In Riesengaloschen schlurft er immer manisch herum, um alle möglichen Gerätschaften aus dem weitgefassten Klempnermilieu hin- und herzutragen. Der Clou ist eine gelbe Riesenspritze, mit der Siegfried über ein langes elastisches Rohr ruhiggestellt wird, bevor er immer mit Gurten auf sein Bett fixiert wurde. Ein Spiel wird auch mit einem über die Mitte der Bühne reichenden weißen Brecht-Vorhang gespielt, der von Mime immer wieder zugezogen, vom schon versteckt anwesenden Wanderer aber jeweils aufgezogen wird, bzw. sich automatisch öffnet. Auch in der Wettszene wird heftig mit Klempnerschläuchen hantiert. Danach generiert der nun gesund gewordene Siegfried im Clownsdress ein ausziehbares ‚Taschenschwert‘, und Mime kocht in einem Riesentopf ein Gebräu, das er dann auf fahrbarem Untersatz mit zu Fafners Nest nimmt. Der 2.Akt zeichnet sich besonders durch die Verdoppelung der Handlung durch Puppenspiel hinter einem nun schwarzen Brechtvorhang aus. Der Alberich zieht dort seine manischen Kreise immer um den Vorhang herum, noch manischer als Bruder Mime, quasi im Stechschritt.

Die Fafnerszene wird im Puppenspiel als echter Drachenkampf gezeigt, bühnenreal ist es aber eine ‚Ferntötung‘ durch das rot angelaufene Magieschwert an dem wieder sein eigenes Puppen- oder ‚Schneckenhaus‘ mit sich herumtragenden Fafners. Die Erweckung Brünnhildes stellt Freyer, wohl vom Märchen von der Prinzessin auf der Erbse inspiriert, mit einer aus dem Boden in Riesengröße wachsenden Brünnhilde mit langen nach unten wallenden Kleidern dar, die Siegfried irgendwann abreißt und sie so auf Normalmaß ohne göttliches Wissen reduziert.

 Der Wanderer Thomas Jesatko hat wieder einen geschmeidigen sicheren Auftritt. Den Fafner singt ganz unverstärkt Sung-Heon Ha mit schönem Baßmaterial. Karsten Mewes vermag zu seinem ausgefuchsten Spiel als Alberich auch baßbaritonal zu überzeugen. Die beste Leistung brachte Uwe Eikötter bisher als Mime. Sein stählern grundierter Tenor ist auch immer bestens prononciert eingesetzt, und die manische Spielastik scheint ihn gerade zu motivieren. Katharina Göres zwitschert den Waldvogel mit höhensicheren Sopranmaterial und ist von Freyer tatsächlich wie ein etwas schräger Vogel ‚umgestilet‘. Brünnhilde Judith Nemeth kann bis zum Höhenregister punkten, aber die von Wagner eingestreuten Spitzentöne gelingen ihr leider gar nicht, da sie sie mit viel zu viel Druck produziert. Daran müsste die junge auch gutaussehende Ungarin noch arbeiten. Flexibilität und Phlegma für eine jugendlich Dramatische sind im Timbre echt vorhanden. Für den Siegfried Jürgen Müller ergibt sich das erfreuliche Bild eines Heldentenors mit schön-voluminösem Stimmumfang, dabei auch sehr angenehm timbriert. Die Kopfstimme erscheint manchmal nicht so gut eingebunden. Ansonsten agiert auch er sehr geschmeidig in dieser oftmals fast androgynen Interpretation des Siegfried.

Friedeon Rosén

 

 

Diese Seite drucken