Michael Ransburg, Shahar Lavi, (c) Jörg Michel
Mannheim: Phantome der Oper von Stölzl/Dvorak 29.2.2020 Premiere
‚Phantome der Oper‘ ist kein Musical, sondern bietet eine Revue aus über 400 Jahren Operngeschichte. Das steht gleich oben auf dem Besetzungszettel, damit es zu keinen Mißverständnissen kommt. Die Idee dazu hatte der Film- und Opernregisseur Philipp Stölzl, die Ausführung oblag dem Komponisten & Autor Jan Dvorak, zuletzt Chefdramaturg am Nationaltheater, der auch die Regie übernahm. Für die Bühne ist Heike Vollmer zuständig, und für die Kostüme zeichnet Kathi Maurer. Zusammen bilden die Vier das Theaterkollektiv Fantomas, die schon mehrere Stücke herausgebracht haben wie ‚Andersens Erzählungen‘, Der Phantast‘ & ‚Frankenstein‘. Mit ‚Phantome der Oper‘ treten sie aber erstmals als Fantomas auf.
Idee ist also, die Operngeschichte seit 1598 bis ins 20.Jahrhundert zu präsentieren, aber ähnlich wie Loriot beim Ring des Nibelungen gleichzeitig eine witzig pointierte Zusammenfassung durch einen Moderatoren zu bieten. Dieser tritt in Person des italienischen Grafen Giovanni Bardi auf, der natürlich die italienische Sicht der Opernentwicklung favorisiert und durch sein witzig vorgetragenes Italienisch-deutsch die Zuschauer oft zum Lachen bringt. Er tritt als ‚Nachtpförtner‘ aus dem eisernen Vorhang heraus und erklärt dem Publikum, daß die Oper 1598 zufällig gegründet wurde, da die Florentiner Camerata, darunter auch Bardi, die Idee hatten, die Sprechtexte des antiken Theaters in ‚Rezitativen‘ (cantare recitando) zu singen. Als Beispiel wird nach partieller Öffnung des Eisernen „Tu dormi“ aus Dafne von Jacopo Peri von der Sopranistin vorgetragen. Im 17. Jahrhundert entwickelt dann Claudio Monteverdi die Arie aus einem Ritornell von Strophen, dazu wird die Szene aus Orfeo „Possente spirto“/1607 gegeben. Im Barocktheater spielen natürlich schon irre Verkleidungen und die Bühne mit vielen sich verjüngenden Gassen sowie gemalte Kulissen eine Rolle, die eine ‚unendliche‘ Perspektive vermitteln soll. Heike Vollmer und Kathi Maurer legen sich diesbezüglich bei den angegebenen Werken/Ausschnitten ins Zeug. Ende des Jahrhunderts beginnt die Opera buffa ihren Siegeslauf (Beispiel: aus der meistgespielten 17.Jahrh.-Oper Giasone/Jason von F.Cavalli: „Dell’antro magico“), danach zur geht’s zur 1. Auseinandersetzung mit der französischen Oper im sog. Buffonistenstreit. Graf Bardi vertritt hier natürlich die Italiener gegen großes Orchester und viel Tanz eines Lulli am Pariser Hof. Im Hochbarock mit Händel geht es um die Kastraten, Händels Oratorium („Halleluja“ des Chors aus Messiah, „Ombra mai fu“ aus Serse) und Händels ‚Opernindustrie‘, die er in London aufbauen wollte. Die Buffo-Oper erlebt dann zweimal ihren finalen Höhepunkt bei Mozarts Nozze di Figaro und Rossinis Barbiere di Siviglia, beide zusammenhängende Stoffe, der 2.Teil wurde aber zuerst (von Mozart) komponiert. Dazu werden die Szene/Arie der Gräfin „Porgi d’amor“ mit einem barocken Fauteuill, auf dem die Gräfin hingegossen liegt, und „Largo al factotum della città“ aus dem Barbiere gegeben. Danach kommt noch eine Bardi-Theorie. Er meint,daß die Operngeschichte ganz anders verlaufen wäre, wenn Mozart nicht so früh gestorben wäre. Seine Zauberflöte sieht er nach der erfolgreichen Zusammenarbeit mit Lorenzo da Ponte als eine Abirrung ins deutsche Singspiel an, bei der sogar die Vorstadtschauspieler Hauptrollen singen können wie Schikaneder den Papageno. Mozart hätte, wenn er 70 geworden wäre, nur noch Singspiele (etwa 30) dieser Art komponiert. Einem ähnlichen Verdikt verfällt auch Beethovens einzige Oper Fidelio (3 Szenen dazu unter dem Bonmot ‚Im Kerker mit Beethoven‘). Während aber die Italiener den Belcanto mit Donizetti (L’elisir d’amore) und Bellini in ungeahnte Höhen führen, begann mit Verdi & Wagner ein „Wettrüsten im Orchestergraben“. Beispiel ist hier aber der Nonnenchor aus Verdis Trovatore, bei Wagner Fliegender Holländer mit Intro und Hojotoho-Chor und „Wie aus der Ferne“ (Monolog des Holländers). In der nächsten Szene ‚Kampf der Giganten‘ werden Wagner, Bellini „Guerra, guerra“ aus Norma), Bizet/Carmen gespielt und z.T auch auf der Bühne ineinander verflochten, was tollen Effekt mit großer Treppe macht. Die letzte Szene ist mit ‚Schöner Sterben mit Puccini & Berg‘ (Finale aus Tosca & Wozzeck) überschrieben.
Leider kommt die russische Oper nicht vor, das wäre zu verschmerzen, ist sie doch heute im Repertoire präsent. Daß aber die französische Grand Opera, Hauptvertreter Giacomo Meyerbeer, völlig fehlt, ist zu kritisieren, hat sie doch ins heutige Repertoire, im Unterschied zu fast allen anderen gespielten Opern, fast keinen Eingang mehr gefunden. Auch die wichtigen Komponisten des frühen 20.Jahrhundert, Zemlinky, Schreker, Korngold, die verbannt wurden, auch alle Juden wie Meyerbeer, kommen nicht vor.
Dafür ist eine Passage noch witzig und erwähnenswert. Giovanni Bardi will eine Affäre mit der Sopranistin anbahnen, um damit die herkömmliche Paarbindung Sopran – Tenor zu unterminieren. Indem er selber kleine Baritonrollen übernimmt und dann auch backstage vor dem Eisernen ihr seine Verliebtheit gesteht. Die Sopranistin scheint angetan, dann wird der Strang aber nicht weiter verfolgt.
Das Nationaltheater-Orchester, bestens instruiert von seinem scheidenden Dirigenten Marc Rohde, erweist sich in allen Opernstilen als kompetent und klangstark. Der Chor, als solcher erkenntlich mit Chor-Aufdrucken auf schwarzen T-shirts, gibt seine Parts zuverässig und wohleinstudiert (Dani Juris).
Als der Baß ist Sung Ha gewohnt zuverlässig in allen Rollen, der Bariton Joachim Goltz gibt einen Vorgeschmack auf seinen Holländer in ganz spanisch weißem Renaissance-Dress., als Wozzeck im gelblauer Uniform & Schiffchen. Den Tenor gibt Joshua Whitener und legt dabei gleich einen tollen Jungen Seemann aus Tristan & Isolde hin, was aber beim Italiener nicht ankommt, da keine ‚Melodie‘ herauszuhören. Mezzosopran Shahar Lavi ist besonders stark als Serse mit weitem knielangem Kleid, Stiefeln und Ludwig- XIV.-Schwarzperücke und Schnurrbart. Sopran Martina Welschenbach gibt eine kämpferische Leonore, Tosca & Salome. Giovanni Bardi wird hinreißend von Michael Ransburg gegeben.
Friedeon Rosén