Mannheim: „DIE FRAU OHNE SCHATTEN“ – 03.10.2019. Glanzvolle Wiederaufnahme – Premiere
Catherine Foster (Färberin), Miriam Clark (Kaiserin), Julia Faylenbogen (Amme). Foto: Hans-Jörg Michel.
Am 10. Oktober 1919 erlebte „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss in Wien ihre UA, genau eine Woche davor feierte nun das grandiose expressive Werk zur WA am Nationaltheater seinen 100. Geburtstag.
Zur szenischen Realisierung bedachte man am 17.03.2007 Gregor Horres, dessen Auslegung der Textur beim Publikum starke Kontroversen hervorrief. Gewiss fällt diese Produktion schon aus dem Rahmen, jedoch angesichts der davor und danach besuchten diversen Inszenierungen ordne ich sie bei gegenwärtiger Sichtweise geradezu als genial ein. Natürlich sind die skurrilen farbenfrohen Kostüme sowie die ewig rotierende Bühne (Sandra Meurer) nicht nach Jedermanns Geschmack (hoffentlich hält die Maschinerie noch bis zur Sanierung durch?), jedoch muten die Auf- und Ab-Konstruktionen als Teil einer Bewegungs-Dramaturgie an. Die Kaiserin im Barbie-Look, der Kaiser geht im Pyjama zur Jagd, Barak ein Schriftsteller mit Double, sein Weib als Parodie – das Färber-Paar ein ironisches Pedant zu Hofmannsthal – dem Komponisten sowie dessen resoluter Angetrauten Pauline ? Wie denn auch sei, ich sah (wie auch viele Opernfreunde) das Panoptikum heute mit anderen Augen, wirkte keineswegs mehr störend, man empfand das Euvre bar der illustren Lichtspiele (Bernhard Häusermann) zum perfekten Timing der Technik als optimales Kunstwerk aus Farbe und Licht und erlebte die Performance als Fest fürs Auge sowie als Sternstunde musikalischer Perfektion.
Es versteht sich von selbst, dass nach 12 Jahren alle Rollen (bis auf Barak) neu besetzt wurden, alle Sänger gaben ihr Rollendebüt und formierten sich zum Vokalensemble der Spitzenklasse. Um es vorweg salopp zu formulieren: es gab was auf die Ohren, man wohnte einem prädikativen „Festlichen Opernabend“ bei.
Die Kaiserin und Titelträgerin der Oper Miriam Clark berührte tief, denn sie war getragen von großer stimmlicher Wärme, klar mädchenhaft leicht kam ihr herrlich timbrierter Sopran daher. Clark begeisterte mit gleichwohl fokussierten Tönen, silberhellem Höhenstrahl, vorzüglicher Legato- und Phrasierungskunst, unglaublich vokaler Flexibilität, lyrischem Schmelz gleichermaßen prächtig vereint mit substanziellem dramatischem Kern. Großartig ihre Traumerzählung sowie die Szenen Am Wasser des Lebens im dritten Aufzugs mit den sonst gestrichenen rezitativischen Erweiterungen.
Die für mich weltweit beste Elektra Catherine Foster und international gefeierte Wagner-Interpretin gab nun ihr Debüt als Färberin am NTM. Von Akt zu Akt steigerte die grandiose Sängerin ihren in allen Lagen stets präsenten modulationsreichen Sopran in stratosphärische Höhen, vereinte weiche Farbgebung mit ausdauernd kraftvollen, jedoch stets runden vokalen Attacken. Spektakulär anmutend ihre phänomenale Fähigkeit mit ungebrochener Intensität große dramatische Bögen zu spannen, ohne jegliche technische Einbußen in gleichbleibendem Fokus des Wohlklang ihres ausdrucksstarken Sopran-Timbres.
Als weiblicher Mephisto hüftschwingend, sexy und mit komischen Aspekten versehen präsentierte Julia Faylenbogen die Amme und verlieh dieser verbindlichen Schlüsselfigur dämonische aber auch warmherzige Züge. Nach ihrer sensationellen Azucena begeisterte die Mezzosopranistin mit perfekt positioniertem Stimmsitz die ausufernden Stimmlagen dieser anspruchsvollen Partie. In souveräner Manier präsentierte Fayenbogen gleichwohl schönstimmig ihre dunklen wie obertonreichen Vokal-Attribute und die sympathische Künstlerin konnte mit dieser gelungenen Rollengestaltung einen ganz persönlichen Erfolg verbuchen.
Soviel Frauenpower Paroli zu bieten oblag nun den Sängern der tragenden männlichen Partien, die Herren nahmen die Herausforderungen an und bewältigten sie auf vorzügliche Weise. Nach seinem erfolgreichen, jungen, agilen Herodes während der letzten Spielzeit beeindruckte nun Andreas Hermann mit gelungenem Rollenportrait. Viril, tenoral glanzvoll, lyrisch und dramatischen Farben, herb männlich in der Mittellage, strahlend leuchtend im Höhenbereich interpretierte Hermann den von Jagd-Leidenschaft besessenen Kaiser. Vortrefflich differenzierte der Tenor, ließ das schöne Timbre bestens phrasiert fließen und absolvierte zweifellos seine bisher beste Leistung am Hause.
Ausdrucksstark setzte Ks. Thomas Jesatko seinen kernigen und dennoch warm strömenden Bariton ein und schenkte dem Barak die weiche, einfühlsame und ausdrucksstarke Charakteristik in gewohnter Souveränität bis zu den finalen Jubeltönen.
Schönstimmig präsentierten sich Ilya Lapich, Marcel Brunner, Benedikt Nawrath als Baraks Brüder-Trio. In kräftiger Bass-Dominanz umriss Joachim Goltz den bedrohlichen Geisterboten. Sopranhell zwitscherte Natalija Cantrak den Falken, mit Nachdruck sang Estelle Kruger die Aufforderungen vom Hüter der Schwelle. Die drei Damen vereinten sich ebenso als Dienerinnen. Seinen hellen Tenor schenkte Juraj Holly dem Jüngling, mit sonorem Alt bat Susanne Scheffel nach oben. Ausgezeichnet fügten sich der Kinderchor (Anke-Christine Kober) sowie der Chor des NTM (Dani Juris) in die Turbulenzen des Geschehens.
Unter der umsichtigen Stabführung von GMD Alexander Soddy musizierte das Orchester des NTM geradezu umwerfend. Gleichwohl im Strukturieren der Analyse dieser monströsen Partitur oder im Auffächern der klanglichen Retrospektive lyrischer Magnetismen, Soddy hielt stets die Balance im Auge, war seinen Solisten ein zuverlässiger Partner. Elegisch traumhaft erklangen die Celli- und Violin-Soli im Kosmos der zu Herzen gehenden Melodik, in elementarer Wucht präsentierte der Maestro die spektakulären Orchesterausbrüche des vorzüglich disponierten Klangkörpers zu den „Übermächten“. In Ausgewogenheit demonstrierte das Instrumentarium überzeugend musikalisches Profil selbst während heftigster Eruptionen. Apart abgetönt präsentierten sich die Holzbläser neben verzüglichem Seidenglanz der Streicher und das profunde Blech (abgesehen von kleinen nervösen Wacklern) verband sich zum leuchtenden, idiomatischen Strauss-Ton, dass es einem schier den Atem verschlug. Eindringlich erklangen die zeitentrückten Soli der Celli zur Szene am Falknerhaus oder das Violin-Gebet im dritten Aufzug, das waren musikalisch himmlische Momente von emphatischer Eindringlichkeit und gingen unter die Haut. Bravo Maestro!
Das aufmerksame Publikum im leider nicht vollen Haus feierte alle Beteiligten in lautstarker Begeisterung und huldigte ganz besonders Clark, Foster und Soddy mit zehn Minuten Ovationen.
Opernfreunde welche eine der nächsten Aufführungen am 13.10./01.+17.11./01.12. sowie 12.01.2020 versäumen, bestraft das Leben.
Gerhard Hoffmann