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MANNHEIM: ELEKTRA

21.03.2014 | KRITIKEN, Oper

MANNHEIM: ELEKTRA am 20.3.2014  (Werner Häußner)

 Bald 34 Jahre alt ist die „Elektra“-Inszenierung von Ruth Berghaus am Nationaltheater Mannheim – und noch immer hat sie nichts von ihrer bezwingenden Kraft verloren. Noch immer erinnert Marie-Luise Strandts Halbrund aus klobigen Klötzen in schimmligem Weißgrün an die monumentalen Steinsetzungen des alten Mykene. Und nach wie vor ist der sparsame Umgang mit szenischen Zeichen zwingender als überbordende regieliche Erklärungswut.

Mannheim hat einige Inszenierungen im Repertoire, die über ihre Zeit hinausgewachsen sind: Hans Schülers „Parsifal“, Friedrich Meyer-Oertels „Fledermaus“, und eben auch diese „Elektra“ – eine der wenigen noch live zu erlebenden Zeugnisse von Ruth Berghaus‘ konsequenter Kunst, auf der Bühne zu erzählen und zu verdichten. „La Traviata“ in Stuttgart ist eine andere, auf die man ungern verzichten möchte, oder „Tristan“ in Hamburg.

Man kann es nicht deutlich genug sagen: Ohne das immer wieder als altmodisch und zu teuer diffamierte deutsche Repertoire-System wäre es nicht möglich, solche Denkmäler der Regiekunst über Jahrzehnte hin zu zeigen und zu pflegen. Es ist höchst sinnvoll, das zu tun: Nicht im Sinne eines Konservierens, das einfach nur herausragende Beispiele vergangener Theaterkunst in einem Opernmuseum erhalten möchte. Und schon gar nicht aus einer falsch aufgefassten alten Staatstheater-Herrlichkeit heraus, die ihr Publikum mit den genussreichen Freuden des Immer-Wieder-Erlebens verwöhnen will.

Sondern weil maßstäbliche Arbeiten wie die Mannheimer „Elektra“ über die Zeit hinweg ihre Kraft und ihre Brisanz behalten haben. Weil sie aus dem gelassenen Abstand zu vergangenen und heutigen Regietrends das Theater selbst in seiner Verhaftung in der Zeit kritisch befragen. Weil sie, manchen modischen Trend überholend, in ihrem Anachronismus den Keim tragen für einen ästhetischen und inhaltlichen Diskurs, der immer wieder neu geführt werden soll und muss.

Um diese Diskussion wach zu halten, ist Theater da. Die immer wieder neu zum Bühnenleben erweckten Manifeste szenischen Empfindens einer anderen Generation mischen sich dabei ein, tragen dazu bei und wirken nicht selten als heilsame Kritik von Ästhetiken, deren Halbwertszeit tatsächlich nur drei Spielzeiten beträgt. Und warum ein Repertoire-Theater wie Mannheim nicht auch die Liebe zu Produktionen respektieren sollte, in denen sich die Fortüne der Macher mit der Empfänglichkeit des Publikums trifft, muss erst noch triftig begründet werden. Noch einmal zur Präzisierung: Es geht nicht darum, Überlebtes zu konservieren, weil es wohlig vertraut ist. Sondern das am Leben zu halten, was sich immer wieder als vital und kraftvoll erweist.

Die Berghaus-„Elektra“ in Mannheim gehört in einen solchen „Kanon“, zumal wenn sie so glänzend besetzt ist wie in der aktuellen Aufführungsserie. Catherine Foster singt die Titelrolle so jubelnd frei – mit unangestrengtem Glanz, druckloser Höhe, sattem Zentrum und strahlenden Farben – wie heute kaum eine andere Sängerin; mir fällt in dieser stimmlichen Kategorie nur noch Ruth Staffa in der Inszenierung Tilman Knabes 2012 in Mainz ein. Nichts von vibratogesättigten Gurglern und dem Material abgetrotzten Spitzentönen, nichts von der Schrei-Dramatik, mit der sich Evelyn Herlitzius in Dresden aus Thielemanns Brandung zu retten versuchte, nichts von forcierter und gestoßener Gewalt, mit der „Hochdramatische“, die sich besser im lyrischen Fach bewähren würden, die Partie zu meistern versuchen. Foster setzt ihre überragenden stimmlichen Mittel zudem ein, um zu färben und den Text zu durchdringen. Allein im ersten Monolog der Elektra sind als Beleg Stellen zu nennen wie das sehnsuchtsvoll-verzweifelte „…zeig dich deinem Kind“ oder das entrückt-fiebrige Pathos der Agamemnon-Rufe.

Mannheim kann aus dem Ensemble alle tragenden Rollen adäquat besetzen: Edna Prochnik singt eine Klytämnestra am Rand des Zerbrechens, die sich aufbäumt gegen ihre bösen Träume und nichts sehnender sucht als eine Spur von sanfter Linderung ihres lähmenden inneren Grauens. So ist Prochnik nicht nur die grässliche Mörderin, sondern auch ein Mensch, der – wenn man die Geschichte der Atriden kennt – von seinem Schicksal traumatisiert ist. Für das einzige Wesen in diesem Gespinst der Rache, des Blutes und des Todes, das den Drang zum Leben verkörpert, bringt Ludmila Slepneva einen leuchtenden, sicher positionierten Sopran mit: Sie hebt die Gestalt der Chrysothemis über jede Naivität hinaus, gibt ihr die Züge einer jungen Frau, die sich in die Hoffnung verbissen hat, weil sie sonst in dieser Wüste nicht existieren könnte, in der Elektra wie ein Tier nach dem Beil der Rache scharrt.

Karsten Mewes steht mit markigem Bariton für den Rächer Orest: Kantig bewegt er sich wie eine Maschine zu den Taten, für die ihn die Erynien verfolgen werden. Michail Agafonov gibt einen schmierigen Ägisth, der das Verhängnis weder erfasst noch ihm etwas entgegenzusetzen hat. Ohne Ausfälle tragen die kleineren Rollen zu einem brillanten Strauss-Abend bei. Dan Ettinger kann sich auf das Orchester des Nationaltheaters verlassen, muss nicht jedes Detail kommandieren, um die Partitur eher in ein rund-klangvolles als in ein grell-schmetterndes Reich der Töne zu öffnen. Da Ettinger klug die Mezzoforte-Bereiche zu nutzen versteht, hält er Reserven für die großen Ausbrüche vor; da die Musiker sich als Meister der verhaltenen Töne offenbaren, haben die Strauss’schen Orchesterfarben ihre Kraft im fahlen Glimmen wie im lodernden Aufbrechen. Und bei aller Intensität des Klangs an den entscheidenden Stellen lässt Ettinger auch die beinahe impressionistische Subtilität der leisen Momente hören. – Einer der Abende, der als groß und glücklich in Erinnerung bleiben wird.

Werner Häußner

 

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