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MAINZ: IL PRIMO OMICIDIO OVERO CAIN Von Alessandro Scarlatti

20.06.2012 | KRITIKEN, Oper

Staatstheater Mainz: „Il primo omicidio overo Cain“ von Scarlatti (Vorstellung: 19. 6. 2012)


Christian Rathgeber als zorniger Adam nach der Vertreibung aus dem Paradies (Foto: Martina Pipprich)

Im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz kam die szenische Umsetzung eines Oratoriums von Alessandro Scarlatti als Koproduktion mit der Hochschule für Musik Mainz zur Aufführung: „Il primo omicidio overo Cain“ (in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln).  Das Werk, das aus der Zeit zwischen 1703 und 1708 stammt, wurde vom Komponisten Trattenimento Sacro per Musica bezeichnet und dürfte in privatem Rahmen in Rom uraufgeführt worden sein, waren doch damals durch den päpstlichen Erlass von 1698 durch Innozenz XII. Opern- und Theateraufführungen verboten. Den Text verfasste übrigens Antonio Ottoboni, der Vater des Kardinals Ottoboni, bei dem der Komponist als  Kapellmeister tätig war.

Alessandro Scarlatti (1660 – 1725) gilt als der herausragende Komponist des italienischen Hochbarock, in dessen Werken der kunstvollen Führung der Arien eine überragende Bedeutung zukommt. Von 1680 bis 1684 war er Kapellmeister der schwedischen Königin Christina in Rom, ehe 1684 Erster Hofkapellmeister in Neapel wurde. Im Jahr 1703 nahm er in Rom die Position eines Kapellmeisters an Santa Maria Maggiore an.

Der Inhalt der Handlung um den „ersten Mord“ in Kurzfassung: Adam und Eva, eben aus dem Paradies vertrieben, beklagen vor ihren Söhnen Kain und Abel den Sündenfall. Abel versucht, seine Eltern zu trösten und verspricht, Gott das schönste und reinste Lamm zur Versöhnung zu opfern. Kain fordert als Erstgeborener das Recht ein, den Opferritus mit Früchten seines Ackers vollziehen zu dürfen. Die Eltern stimmen ein, aber während Abels Flammen zum Himmel aufsteigen, will Kains Opfer nicht gelingen. In Kain keimen Mordgedanken gegenüber Abel auf. Als er die Stimme Luzifers vernimmt, ist der Brudermord für ihn beschlossen. Die Brüder gehen aufs Feld, wo Kain Abel erschlägt. Es kommt zu einer Auseinandersetzung mit Gott, der ihn des Brudermordes anklagt und ihm eine Strafe auferlegt: Mit dem Kainsmal gezeichnet, soll er durch die Welt irren und seine Tat bereuen. Kain nimmt die Strafe Gottes an. Zum versöhnlichen Schluss erklingt Abels Stimme, der seine Eltern zu trösten versucht. Er berichtet von himmlischen Freuden, die er nun genießen kann. Gottes Stimme verspricht Erlösung.

Die szenische Umsetzung des Werks hatte Tatjana Gürbaca übernommen, die seit dieser Spielzeit Operndirektorin am Staatstheater Mainz ist. Durch gute Personenführung arbeitete sie die konträren Positionen der drei Paare des Stücks – Kain und Abel, Adam und Eva, Luzifer und Gott – trefflich heraus. Im Theatermagazin „Spielzeit“ erläutert sie dies: „Dabei kommt es zu uns allen bekannten Situationen, die erschütternd oder komisch sein können, wir erleben die ersten Menschen, wie sie mit ihren Befürchtungen, ihrer Liebe, ihrem Neid, ihrer Trauer und ihrem Zweifel kämpfen. Und ausgerechnet Kain, der Brudermörder, wird dabei geradezu zu einem Sinnbild des suchenden, gezeichneten, ruhelos getriebenen Menschen. Obwohl er – oder vielleicht weil er – den falschen Weg beschreitet, erkennt er am Ende: Als Mensch ist er frei und für seine Taten verantwortlich.“

Leider ließ sich die Regisseurin gegen Ende des mehr als zweistündigen Werks, das ohne Pause gespielt wurde, von einer Idee leiten, die vielleicht witzig sein sollte, aber wie die Faust aufs Auge passte und bloß den Ablauf der Vorstellung störte. So holte Adam während seiner Trauerarie drei Journalisten (gespielt von den Darstellern des Kains, Luzifers und Gottes) auf die Bühne, die wie aufgescheuchte Hühner hin und her rannten, Eva und Adam fotografierten und zu interviewen versuchten. Und zum Schluss tauchten auch Kain und Abel bei ihren Eltern wieder auf, als ob das ganze Geschehen nur ein Traum gewesen wäre.

Sehr kreativ war die Bühnengestaltung: Zwischen Publikum und Orchester, das im Hintergrund platziert war, lief die Handlung auf einem kreisrunden Podest ab, das sich langsam, aber stetig gegen den Uhrzeigersinn drehte. Als Gegenpol war an der Decke ein gleich großes, rundes Element angebracht, das den Himmel verkörperte und in dem sich meist Wolken, aber auch der Schatten des Dirigenten und die Mordszene widerspiegelten. Die Gewänder der sechs Darsteller entsprachen der heutigen Zeit (Bühne und Kostüme: Stefan Heyne). Für die vorzüglichen Lichteffekte war Peter Meier zuständig.

Die Interpreten der einzelnen Rollen, die mit einer Ausnahme Mitglieder des Jungen Ensembles am Staatstheater Mainz sind, faszinierten sowohl stimmlich wie auch schauspielerisch. Der Tenor Christian Rathgeber bot als Adam mit seiner lyrischen Stimme und seiner väterlich-männlichen Darstellung eine eindrucksvolle Leistung. Als Eva überzeugte die Sopranistin Saem You durch ihre wandlungsvolle Stimme und ihr erotisches Spiel, das beim Publikum des Öfteren für Heiterkeit sorgte. Einen in Haltung und Gestus eleganten Gott stellte Alin Deleanu auf die Bühne, wobei auch seine feine Altus-Stimme gut zur Geltung kam. Seinen Widerpart Luzifer gab Richard Logiewa, der seine Rolle mit warm tönendem Bass eher listig als satanisch anlegte.

Interessant verlief das Rollenspiel der Brüder Kain und Abel, der von der zarten Sopranistin Radoslava Vorgic fast wie ein Mädchen dargestellt wurde. Als jüngerer Bruder sekkierte und ärgerte er Kain bis zur Weißglut, was die junge Sängerin mit enormer Spielfreude auszuleben schien. In der Titelrolle bot als Gast Christian Rohrbach eine Glanzleistung. Seine exzellent geführte Altus-Stimme und sein mimisch ausdrucksstarkes Spiel waren so überzeugend, dass man versucht war, ihm den Mord zu verzeihen.

Das Orchester, das aus der Continuo-Gruppe und einer starken Streicher-Gruppe des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz mit der Konzertmeisterin und Sologeigerin Swantje Hoffmann bestand, wurde vom Barockspezialisten Ralf Otto geleitet. Er dirigierte mit großem Einfühlungsvermögen und brachte so die farbenreiche und reizvolle Partitur des Komponisten exzellent zum Klingen.

Zur musikalischen Charakterisierung des Werks ein Zitat des Dirigenten aus einem im Programmheft abgedruckten Beitrag: „Die Ökonomie der Instrumentierung, die Scarlatti gewählt hat, ist außerordentlich faszinierend! Er benutzt neben der farbigen Continuo-Gruppe mit Fagott, Violoncelli, Kontrabass, Cembalo, Orgel und Tiorba nur den Streicherapparat. Welche klangfarbliche Vielfalt Scarlatti aus dieser Gruppe herausfiltert, ist sensationell: Er kreiert zehn verschiedene Klangkörper durch unterschiedliche Instrumentalkombinationen – Soloviolinen mit Streichertutti, oder ein Tutti, aber ohne die Bratschen, und so könnte man dies fortsetzen. Das habe ich SO noch nie erlebt!“

Das Publikum im fast ausverkauften Haus drückte seine Begeisterung über die Aufführung mit nicht enden wollendem Beifall aus, wobei die Sängerinnen und Sänger immer wieder mit Bravo-Rufen bedacht wurden. Auch die Regisseurin, vom Dirigenten auf die Bühne geholt,
konnte so am Erfolg der letzten Vorstellung dieser Produktion teilhaben.

Udo Pacolt. Wien – München

 

 

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