MAINZ: FATINITZA von Franz von Suppé. Premiere am 2.11. 2012 (Werner Häußner)
Es hätte so schön sein können! Da kommt, 16 Jahre nach Bremen und sechs nach Bad Ischl, endlich jemand auf die Idee, wieder einmal „Fatinitza“ auszuprobieren. Aber Lydia Steier versenkt am Staatstheater Mainz Franz von Suppés pikanten Travestiespaß so zielsicher, dass man sich gewünscht hätte, das Regietheater-Geschoss hätte eine der zahllosen „lustigen Witwen“ getroffen statt ausgerechnet Suppés respektlose Persiflage auf Geschlecht und Generäle.
Die Erörterung nationaler Stereotypen und globaler Bedrohungsszenarien, über die Steier im Programmheft philosophiert, wächst sich auf der Bühne aus zu einem Trash, dem gegenüber die stupiden alten Operettenklischees mühelos ihren Anspruch auf lustig behaupten könnten. Was die amerikanische Jungregisseurin über die Mainzer Bühne hampeln lässt, ist die längst zu Essig gewordene Humorwürze vergangener Zeiten in den bemühten Jetztzeit-Verpackungen der verzottelten, traurig über ihren Witz nachsinnenden Kostümen von Ursula Kudrna.
Das ist, um Thalias Willen, kein Ruf nach verflossener Operetten-Seligkeit. Die Gattung braucht frische Ideen, um zwischen Tele-Trivialität und pseudointellektueller Relevanz-Zuschreibung ihr Eigentliches bewahren zu können: anspielungsreichen Hintersinn, Jonglieren mit Klischees, freches Aufmucken und hemmungslos zelebriertes Sentiment. Und im Falle der „Fatinitza“ noch das prickelnde Spiel mit der doppelten Travestie: Eine Frau spielt einen Mann, der eine Frau spielt. Und ein General verliebt sich in ein Mädchen, das ein Leutnant ist.
Daraus den Witz zu zünden, hätte die Regisseurin herausfordern müssen. Stattdessen schwadroniert das Programm über die Projektion von Bildern auf andere Gruppen oder Kulturen. Das ist – im Falle von Russen und Türken in diesem Stück – aber selbst nur kalkuliert eingesetztes Klischee, das eine Kulisse, aber nicht den Kern der Geschichte bildet. Das amüsant zwielichtige Spiel mit den sexuellen Identitäten reduziert Steier aber auf betont feminine Uniformträger (getroffen) oder den kaum im Zaum zu haltenden Penis der Fatinitza, alias Leutnant Wladimir, im Harem (daneben).
Das Problem ist: Lydia Steier ist nicht irgendeine Regie-Studiengang-Absolventin, die glaubt, der Theaterwelt mal zeigen zu müssen, wie richtige Operette „geht“. Sie hat an anderen Häusern beachtete und gelobte Inszenierungen erarbeitet, zum Beispiel in Oldenburg einen für den Theaterpreis „Faust“ nominierten „Saul“ von Händel. Aber an der Gattung Operette in einem Exemplar, das keine Inszenierungs-Tradition mehr hat, ist sie merklich gescheitert. Das reicht vom exaltiert geführten Chor im ersten Akt bis hin zum meenzerisch babbelnden Izzet Pascha (Alexander Spemann) und dem überzogen chargierenden, dabei aber als Charakter nicht durchgestalteten General Kantschukoff (Hans-Otto Weiß). Nur peinlich: der sabbernde Greis im Rollstuhl (Admiral Swertikoff, Darsteller nicht genannt) an der Rampe im dritten Akt. Auch Jürgen Rust mit seinem running gag, dem Huhn Olga, reduziert sich als trotteliger Sergeant Steipann auf klamaukige Kalauer aus der Sphäre des Blauen-Bock-Schenkelklopfhumors.
Eher funktioniert die auf zeitgemäße russische Reichtums-Protzerei gestylte Lydia (Vida Mikneviciute), das Zielobjekt der Leutnants-Liebe, und der Reporter Julian von Golz (Thorsten Büttner), mit dem die Librettisten Suppés, Friedrich Zell und Richard Genée, schon anno 1876 ein höchst aktuelles Thema ansprachen: die Macht der medialen Öffentlichkeit und ihre Anfälligkeit für Manipulation. Hier passt die Übertragung in den „embedded journalism“ von heute, wiewohl der Medienschaffende alles andere als ideologische Freund-Feind-Bilder bestätigt. Er macht schlichtweg sein eigenes Ding mit Blick auf Quote und Profit. Dieses Thema konsequent durchgespielt, hätte die Inszenierung retten können. Aber vor der Kulisse eines ziemlich naturalistisch nachgebauten Wellblech-Militärpostens und in der gediegenen Geschmacklosigkeit des falschen Goldglanzes in des Paschas Palast (Bühne: Katharina Schlipf) funktioniert dann doch nur das bekannte Hin und Her mäßiger Stadttheater-Operettenroutine.
Wenigstens musikalisch konnte das Mainzer Ensemble mit der Szenerie versöhnen. Florian Csizmadia verhinderte zwar Schärfen im Blech und flüchtige Phrasierungen nicht immer, führte das Philharmonische Staatsorchester aber mit Gespür für die unverkennbaren Spuren Rossinis und Donizettis, mit Sinn für die Wiener Eleganz und einem Händchen für offenbachisch angehauchte Couplets durch Suppés ansprechende, melodiös zündende Partitur. Die Sänger boten Solides: Patricia Roach hatte für den „Leutnant Wladimir“ den markanten Kern in der Stimme – und für die Wandlung zu „Fatinitza“ die schmeichelnd weiblichen Farben. Hans Otto Weiß, der ausgetrickste General, konnte seinen dumpfen Bass nicht immer zum geschmeidigen Spiel mit Worten inspirieren; der rüde Kommandoton klang aber auch nicht selbstverständlich genug.
Klar, grade und verständlich: Thorsten Büttner als mit allen Wassern medialer Täuschungsmechanismen gewaschener Fernsehmann. Alexander Spemann als Izzet Pascha mit gemäßigten Macho-Anklang ist zuzustimmen: „ee bissle uffrische“ sollte man die Operette schon. Die Mainzer „Fatinitza“ hat allerdings in der Regietheater-Steppe die Richtung verfehlt und nur trockenen Staub aufgewirbelt. Und leider wohl nebenbei die Chance eines gut gemachten Stücks auf eine erneute Aufführung in nächster Zeit gründlich vernebelt.