Madrid/Teatro Real: Nina Stemme Wagner-Recital am 26. Mai 2024
Gedanken an eine große Karriere
Das Orchester und der Chor des Teatro Real mit dem Chordirektor José Luis Basso. Foto: Javier del Real
Nach der Dernière der neuen „Meistersinger von Nürnberg“ am Teatro Real schloss sich noch ein schon interessant klingender Konzertabend mit dem Wagner-Weltstar Nina Stemme und dem Orchestra Titular del Teatro Real an, das Hausorchester seit der Wiedereröffnung des Teatro Real 1997, unter der Leitung seines kommenden Musik-Direktors aus Valencia, Gustavo Gimeno. Das Programm ließ in der Tat aufhorchen, zumal man mit konzertanten und zwei vokalen Höhepunkten aus „Tristan und Isolde“ sowie „Götterdämmerung“ das sehr selten in einem live-concert zu hörende Frühwerk Wagners, „Das Liebesmahl der Apostel“ , WWV 69, aufführte. Dazu braucht es einen hochprofessionellen und stimmstarken Chor, den das Real sein eigen nennen kann, wie nicht zuletzt die „Meistersinger“ am Abend zuvor einmal mehr offenbarten. Es ist einer der Kantatenform vergleichbares Werk für Männerchor und Orchester und basiert auf einer biblischen Stezene der Apostelgeschichte. Das „Liebesmahl der Apostel“ war Wagners einziges geistliches Chorwerk. Nach seiner Übersiedelung nach Dresden, wo der Komponist 1843 bekanntlich Sächsischer Hofkapellmeister wurde, nahm er den Kompositionsauftrag für das halbstündige Werk an, im Zusammenhang mit einem Gesangsfest der Dresdner Liedertafel, in dem alle sächsischen Männerchöre mitmachen sollten. Er unterbrach dafür seine Arbeit am „Tannhäuser“. Am 6. Juli 1843 wurde das Werk in der Dresdner Frauenkirche mit 1.200 Sängern und 100 Orchestermitgliedern uraufgeführt. Wagner war davon nicht begeistert und ließ es selbst nicht mehr aufführen, widmete es aber der Witwe seines Lehrers Christian Theodor Weinlig. Nach guter Aufnahme der Uraufführung gehörte „Das Liebesmahl der Apostel“ lange zum Repertoire vieler deutscher Männergesangsvereine.
Wenn man das Werk nicht kennt, fällt zuerst auf, dass die Chöre fast die Hälfte der Zeit a capella singen, bevor das Orchester bei der Erscheinung des Heiligen Geistes einsetzt. Mit großer Intensität und Emotion singt der Coro Titular del Teatro Real den ersten Teil des Stücks mit bestechender Transparenz in den einzelnen Gruppen unter sehr engagierter Leitung von Gustavo Gimeno. Wenn dann das Orchester endlich einsetzt, man kann es kaum erwarten, wird die große Dynamik auch musikalisch fortgesetzt und endet in einem strahlenden Tutti, was mit dem größten Applaus des Abends gebührlich bedacht wurde. Ein großes Erlebnis, dieses so selten gespielte Werk einmal live zu hören.
José Luis Basso, Chordirektor des Teatro Real seit dem Vorjahr, war offenbar ein Glücksgriff für das Haus. Das ist aber kein allzu großes Wunder, wenn man seine spektakuläre Karriere liest. In Buenos Aires geboren, wo er Klavier und Chordirektion studierte, begann er am Teatro Argentino de la Plata, danach am Teatro Colón, dann als Assistent am Gran Teatre del Liceu Barcelona. Danach wurde er Chordirektor am Teatro di San Carlo di Napoli, beim Maggio Musicale von Florenz und am Liceu de Barcelona. 2014 übernahm er die Chordirektion an der Ópera nacional de Paris und ging 2021 wieder an das San Carlo di Napoli zurück, von wo er schließlich nach Madrid kam. Eine in der Tat bemerkenswerte Karriere für einen Chordirektor, die angesichts des hervorragend einstudierten Chores im „Liebesmahl der Apostel“ am Teatro Real einmal besonders hervorgehoben werden sollte.
Nina Stemme. Foto: Javier del Real
Dann aber kam KS Nina Stemme mit „Isoldes Liebestod“ aus „Tristan und Isolde“, und es war ein großer Moment, auch an gute alte Zeiten exzellenten Wagner-Gesangs erinnernd, als sie auf die Bühne trat in einem langen lila Abendkleid. Man merkte schon an ihrer Mimik, dass nun eine auf langjähriger großer Erfahrung und Intensität aufbauende Interpretation des Schlussgesangs der holden Irin kommen würde. Es war eindrucksvoll, wie Stemme mit bekannt großer Ausdruckskraft ihres immer noch stabilen dramatischen Soprans die Steigerung im „Liebestod“ langsam aufbaute, begleitet von einer gut dosierten Mimik. Ihre Mittellage verfügt auch heute noch über große Resonanz und Strahlkraft. Etwas mehr Kraft als früher bedurfte es der Präsentation der Topnoten, was eher in Brünnhildes Schlussgesang aus der „Götterdämmerung“ am Ende des 2. Teils des Konzerts zu hören war. Aber auch diesen gestaltete sie mit ihrem kraft- und klangvollen Sopran sehr bewegend. Immer wieder musste man bei diesem Auftritt der Stemme aber an ihre ganz große lange Zeit in Bayreuth, vermutlich seit ihrer Freia im Kupfer-„Ring“, und an anderen großen Bühnen der Welt denken und wie sie dort die großen Heroinen Wagners interpretierte. Man ist dankbar dafür!
Zuvor spielte das Orchester die „Morgendämmerung“, gefolgt von „Siegfrieds „Rheinfahrt“ und dem „Trauermarsch“, also die großen Orchesterstücke aus der „Götterdämmerung“. Das Ensemble brillierte mit hervorragenden Blech- und Holzbläsern – immer wieder war die einnehmende Performance der vier Wagner-Tuben zu hören – aber auch der exzellente Streicherklang unter der blutjungen Konzertmeisterin. Lediglich zu „Brünnhildes Schlussgesang“ fehlte die ganz große Epik und das emotionale Moment, insbesondere, wenn Gustavo Gimeno nach dem letzten „Götterdämmerung“-Motiv nicht absetzte sondern einfach durchspielen, was das finale Mutterliebe-Motiv der Sieglinde lediglich als Anhängsel erscheinen ließ. Insbesondere hier, aber auch an der einen oder anderen Stelle fehlt dem kommenden GMD des Teatro Real vielleicht noch etwas die richtige Hand für Wagner, die sein spanischer Kollege Pablo Heras-Casado schon zu haben scheint.
Nina Stemme, Gustavo Gimeno. Foto: Javier del Real
Klaus Billand