MADAME D’ORA
TAGEBÜCHER AUS DEM EXIL
Herausgegeben von Eva Geber
254 Seiten, Mandelbaum Verlag, 2022
Sie war zu ihren Lebzeiten eine Berühmtheit, und auch ihr Nachruhm lässt nicht zu wünschen übrig. Erst vor dreieinhalb Jahren hat das Leopold Museum der Fotografin Madame D’Ora – ,mit bürgerlichem Namen Dora Kallmus (1881-1963) eine .spektakuläre Ausstellung gewidmet. Dabei ist man auch auf ihr „zweites“ Leben in der Emigration eingegangen, das im allgemeinen Bewusstsein nicht so stark verankert ist. Man kennt Dora Kallmus ja vor allem als die Fotografin, die die Berühmtheiten ihrer Zeit am spektakulärsten porträtiert hat – so dass diese meist in ihren Fotografien auf die Nachwelt gekommen sind.
Nun widmet sich der Mandelbaum Verlag in einer Publikation dem Schicksal von Dora Kallmus in der Emigration. Unter dem Titel „Tagebücher aus dem Exil“ hat Autorin Eva Geber, die auf eine lange Publikations-Liste österreichischer Frauenliteratur zurück blickt (u.a. über Rosa Mayreder), den Nachlass von Dora Kallmus zusammen getragen. Wieso dieser teilweise in Norwegen (Preus Museum, Horten bei Oslo) und Deutschland (Museums für Kunst und Gewerbe, Hamburg) gelandet ist, wird allerdings nicht ausreichend geklärt,
Immerhin hat die Autorin nun eine große Anzahl von Briefen, Tagebuch-Notizen und essayistischen Aufzeichnungen geborgen, transkribiert und publiziert. Den Roman, den Dora Kallmus auch geschrieben hat, bekommt man allerdings nicht zu lesen, und die schmerzliche Liebesgeschichte, die sie erlebt und erlitten hat, wird diskret und ohne Namen nur am Rande erwähnt.
Die Wiener Erfolge der jüdischen Großbürgertochter Dora Kallmus als Fotografin waren bedeutend, wer auf sich hielt, wollte von ihr konterfeit werden. Dennoch zog es sie schon bald nach dem Ersten Weltkrieg nach Paris, wo sie ein weiteres Atelier eröffnete und ähnlich erfolgreich war. Dennoch „pendelte“ sie immer wieder zurück nach Österreich, wo ihre geliebte, um drei Jahre ältere Schwester Anna Kallmus in einem Haus im steirischen Frohleiten lebte. Die Möglichkeit, nach Wien und Österreich zurück zu kehren, erledigte sich mit dem Einmarsch der Nationalsozialisten, und der Versuch, für beide Schwestern ein Visum für Spanien und dann die USA zu erhalten, scheiterte. Anna Kallmus wurde deportiert, und Dora hat nie Genaues über das Schicksal und den Tod der Schwester erfahren.
Sie musste nach der Besetzung Frankreichs ihr Atelier in Paris verkaufen, konnte allerdings eine zeitlang dort arbeiten, bevor sie sich im Juli 1942 auf die Flucht machte, die dreieinhalb Jahre währen sollte. Im Süden Frankreichs, der unbesetzten Zone, kam sie schließlich in dem Bergdorf Lalouvesc bei einer Bauernfamilie unter, aber definitive Sicherheit bedeutete das auch nicht. Aber Überleben – immerhin. Hier kann sie sich, wie sie einmal schreibt, „von der Vergangenheit erholen und für die Zukunft stärken“.
Man liest also in diesem Buch, eingebettet in einen verbindenden Essay der Herausgeberin, zuerst vor allem die Briefe der Schwestern, dann die teils verzweifelten Tagebuchaufzeichnungen von Dora im Exil, die sich offenbar durch permanentes Schreiben aufrecht hielt. Nun ist das, was man liest, nicht das Produkt einer Literatin, es sind Aufzeichnungen aus dem Alltag, es sind die Kümmernisse und Nöte einer Frau, die in permanenter Unsicherheit lebte, Antisemitismus gab es überall.
Gelegentlich äußerte sie sich „essayistisch“: In „Braucht Photographie Talent?“ blickt sie auf ihre eigene Karriere zurück und kommt zu dem Schluß, man brauche dafür „Culture, Coeur und Courage“, Talent sei dafür nicht nötig…War sie gänzlich deprimiert, tröstete sie sich selbst mit kleinen Gedichten:
„Denn ihr wisst, was Goethe immer beschworen,
Wer den Mut verliert, hat alles verloren.“
Die Dora Kallmus, die nach Ende des Krieges im Dezember 1945 nach Paris zurück kehrte, war eine veränderte Frau, fotografierte Prominente nur noch des Geldes wegen, trat einen erschütternden Gang durch die Schlachthäuser an, wo sie das Sterben der Tiere und deren Kadaver festhielt. Wieder in Österreich, richtete sich ihr Blick auf Flüchtlinge. Schwere letzte Jahre bis zu ihrem Tod verbrachte sie zwischen Paris und Frohleiten, wo sie starb. Da greift die Herausgeberin dann auf Briefe und Schilderungen ihrer Umwelt zurück, um das tragische Lebensbild zu vollenden.
Interessant ist, dass das Buch auch in der Bebilderung die „glanzvolle“ Wiener Zeit des Salons D’Ora weitgehend ausblendet, außer dem großartigen Foto der alten Tina Blau ist hier nichts zu finden. Das Buch selbst bietet Einblick in die Originale (und man erhält eine Ahnung von der Mühe der Transskription). Gelegentlich hat die Autorin auch Dokumente hinzugefügt – unheimlich ist die „Deportationsliste“ aus dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, wo der Name von Anna Kallmus zu finden ist. Auch die „Prominentenfotos“ der Pariser Nachkriegszeit (ein „schlafender“ Maurice Chevalier, Colette) sind nur schmal vorhanden, in aller Ausführlichkeit hingegen ihre tragischen Bilder von Flüchtlingen. Von den wirklich erschreckenden Fotos aus den Pariser Schlachthäusern gibt es nur kleine Kontaktabzüge.
So breit man sich auf den Text konzentriert und so schmal man die Fotos gehalten hat, so sind sie es doch, die am radikalsten klar machen, was die Emigration in einem Menschen anrichten, was sie in ihm verändern konnte.
Renate Wagner