LYON/ OPÉRA: ORFEO UND EURIDICE von Christoph Willibald Gluck am 25.4.2015
Copyright: Opéra de Lyon
Die Irritation beginnt schon während der Ouvertüre, als sich plötzlich banales Schreibmaschinengeklapper in die göttliche Gluck’sche Musik einmischt. Erste Unmutsäußerungen. Wenn sich der Vorhang dann hebt, sehen wir ein im Sand versunkenes, entweder unfertiges oder ausgebranntes Landhaus(Bühnenbild: Christian Friedländer), eine lange, schön gedeckte Essenstafel und rechter Hand ein kleines Tischchen, an dem ein schlohweißer alter Mann geräuschvoll einen Text in dieses altmodische Gerät tippt. Der geschriebene Text wird gleichzeitig auf einen Prospekt hinter dem Haus projiziert, er handelt von der Vergangenheit,vom Altern und vom Sterben („Ich weiß nicht mehr, wann ich gestorben bin“) und stammt, wie man dem Programmheft entnehmen kann, aus der Kurzgeschichte „Le Calmant“ von Samuel Beckett. Der alte Mann ist natürlich der Witwer Orfeo, der auf sein Leben – ganz in der Tradition anderer Beckettscher Greise wie z.B. Krapp in „Krapps letztes Band“ – in einer Mischung aus Bedauern, Erinnerung und Traum zurückblickt.
Nun mag man diesen Ansatz des in Budapest geborenen deutschen Regisseurs David Marton für äußerst fragwürdig halten, aber der Bass Victor von Halem spielt diesen sterbenden Dichter und Schriftsteller (es wirkt so, als ob er an seinem letzten Erdentag die Schlüsselszene seines Scheiterns und somit seines Unglücks immer und immer wieder durchleben würde) mit einer solchen körperlichen wie stimmlichen Präsenz und Wucht, dass man nicht umhin kann, als von ihm vom ersten Augenblick an tief beeindruckt und bewegt zu sein.
Nach seiner Anfangsarie kommt es noch einmal fast zum Publikumsaufstand, als der ohrenbetäubende Lärm eines durchrasenden Zuges die Gluck’sche Musik kurz überlagert und zerstört. Durch den Auftritt des „jungen Orfeo“ in der Gestalt des jungen britischen Countertenors Christopher Ainslie(sehr lyrisch, sehr diskret und emotionell) und später dann durch das Erscheinen der anmutigen Euridice von Elena Galitskaya(elegant und sensibel, mit hellem Timbre, Schöngesang und Wahrhaftigkeit des Ausdrucks in sich vereinend) beruhigen sich die Gemüter allerdings alsbald.
Copyright: Opéra de Lyon
Amor wird von sechs exzellenten Knaben(allesamt Schüler der Lyoner Opernschule) dargestellt. Und nach der vorläufigen Rückkehr Euridices in die Unterwelt buhlen nicht weniger als dreizehn nahezu idente Euridices – natürlich vergebens – um den untröstlichen Orfeo.
Enrico Onofris Dirigat ist vielleicht etwas zu barockisierend, aber ansonsten mustergültig, poetisch und meditativ zugleich.
Nach dem Happy-End verwandeln sich die sechs Knaben in die Kinder des nunmehr glücklichen Ehepaars O&E. Während sie alle an der langen Tafel zu Mittag essen, verröchelt der alte Orpheus im Sand. Dann wird das Orchester aus dem Graben hochgefahren und feiert gemeinsam mit dem Chor den Triumph des Lebens, der Liebe – und der MUSIK !
Das anfänglich schwerst skeptische Publikum ließ sich im Laufe der Aufführung von dieser „Lyoner Fassung“(wenn es eine Wiener und Pariser gibt, warum nicht auch eine Lyoner ?) überzeugen und applaudierte am Ende allen Beteiligten herzlichst.
Robert Quitta, Lyon