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LYON: PARSIFAL – Neuinszenierung

18.03.2012 | KRITIKEN, Oper

LYON: PARSIFAL – NI am 11.3.2012


Foto: Jean LuisFernandez

 Schon im letzten Jahr hat es unter dem exzellenten Dirigat von Kirill Petrenko eine bemerkenswerte Neuinszenierung von Alex Ollé an der Opéra de Lyon von Wagners „Tristan und Isolde“ gegeben (Merker 7/2011). Dem seit 2003 am Haus tätigen Generaldirektor Serge Dorny, der in den vergangenen 10 Jahren die Lyoner Oper zu einem integralen Bestandteil des lokalen Stadtlebens gemacht und ihr seit langem ein weitgefächertes Saisonprogramm gibt, setzt zu allererst auf Qualität. Dieser Anspruch wurde nach dem „Tristan“ im Vorjahr nun mit dem „Parsifal“ in der Regie von Francois Girard und seinem Dramaturgen Serge Lamothe eingelöst, der in Koproduktion mit der Met in New York und der Canadian Opera Company in Toronto entsteht. Girard inszeniert Wagners Abschiedswerk als schwarzes Drama, und das passt bestens in die Schwärze des Zuschauerraums, der nach der umfassenden Neugestaltung der Oper im Jahre 1993 an eine Black Box erinnert.

 Während des Vorspiels verschwimmt die Spiegelung des Parkett-Publikums auf dem glänzenden schwarzen Bühnen-Paravent langsam mit der immer sichtbarer werdenden Ritterschaft auf der rampenartig nach hinten ansteigenden Bühne, die durch das ganze Stück von Michael Levine düster depressiv gestaltet wird. Diese Ästhetik wird durch die darauf optimal abgestimmte Lichtregie von David Finn noch intensiviert. Man gelangt in dieser allgemeinen Dunkelheit so ganz unmerklich selbst in das Geschehen. Wenn sich der Paravent zu Beginn des 1. Aufzugs hebt, sieht man die gesamte Ritterschaft, die bis zum Schluss des Aufzugs und auch im dritten auf der Bühne bleiben wird – ein nicht leichtes szenisches Unterfangen. Aber es macht bei Girard dramaturgisch Sinn. Während sich die schwer depressiven Ritter unter den dunkel dräuenden Wolkenbildungen der effektvollen Videos von Peter Flaherty in einem Rund um den später aus ihrer Mitte hervor tretenden Amfortas scharen, sieht man auf der linken Bühnenhälfte eine Gruppe orientalisch schwarz verschleierter Frauen. Das Grundthema der Inszenierung, die Polarität zwischen männlichem und weiblichem Prinzip, wird sofort offenbar und durch einen feurig schimmernden schmalen Graben in der Bühnenmitte optisch fixiert. Hier brodelt es unter der Erde, hier herrscht Spannung bis zum Bersten, und es muss zu einer Entladung kommen. Folgerichtig wird der Schrein mit dem Gral zu seiner Enthüllung durch Amfortas mit Kundrys Hilfe von den Frauen in die Männerwelt hinüber gebracht und gelangt danach auch wieder auf die Seite der Frauen zurück, ebenso wie zuvor der verwundete Schwan von einem jungen Mädchen – das alles unter den scharf beobachtenden Augen Parsifals. Die modernen, von Thibault Vancraenenbroeck gestalteten Kostüme der Ritter – weiße Hemden und dunkle Anzugshosen, also praktisch ein Büro-Outfit – verbinden den Mythos mit der Aktualität ebenso wie die modernen Plastikstühle der Ritter. Man bekommt das Gefühl, dass ein uns unmittelbar betreffendes Problem mit emotional aufgeladenen mythischen Bildern angesprochen wird. Wenn auch teilweise etwas zu statisch, gelingen dem Regieteam hier intensive Momente des Leidens und Sehnens. Insbesondere durch die intensive Darstellung des Amfortas durch Gerd Grochowski in blutbeflecktem Hemd, der einen ausdrucksstarken und exzellent artikulierenden Bassbariton hören lässt und das Letzte seines stimmlichen Potenzials mobilisiert. Kurt Gysen singt einen klangvollen Titurel aus dem Off. Im Hintergrund wird durch fantasievolle Video-Optik immer wieder der Eindruck einer vollkommen unversehrten Körperhaut suggeriert, wohl um den Kontrast zur sich nicht schließenden Wunde zu verstärken. Imposant ist auch die Erscheinung eines Planeten, der die Verwandlung zur Gralsszene metaphysisch überhöht und in wunderbarem Gleichklang mit dem Crescendo der Musik größer wird. Georg Zeppenfeld ist ein Gurnemanz der Extraklasse. Seinen prägnant und klar geführten Bass phrasiert er mit enormem dramaturgischem Feingefühl und bester Diktion. Die langen Bögen der Gurnemanz-Erzählungen und jene in der Weiheszene im 3. Aufzug gelingen mühelos. Dabei ist sein Bass-Timbre ganz anders als jenes der immer noch großen Gurnemanz-Vertreter der jüngeren Vergangenheit, die mit mehr Schwärze und markigem Volumen prunken. Zeppenfelds Bass ist heller und – wenn man so will – dramaturgisch flexibler und agiler. Die Nebenrollen sind auch allesamt ansprechend besetzt. Hervorzuheben ist hier Ulrike Helzel als Stimme aus der Höhe und eines der Zaubermädchen. Statt Parsifal wie gewohnt aus dem Gralsbezirk zu jagen, endet der 1. Aufzug bedeutungsschwer und verheißungsvoll: Der feurige Graben weitet sich, die Erdschollen driften auseinander, und Parsifal schickt sich an, ihn zu seiner Odyssee zu überschreiten…


2. Aufzug, die Blumenmädchen. Foto: Jean Luis Fernandez

 Diese wartet mit einem wahrlich todesschwangeren Ziel auf ihn. Klingsor hat sich in einer riesigen Felsschlucht eingenistet, von blutroten Furchen durchzogen. Der Boden ist mit einem Blutsee bedeckt, in dem die Zaubermädchen, stimmlich bestens disponiert, in jungfräulichem Weiß mit stählern glänzenden Speeren bewaffnet auf Ritter aus dem Gralsbezirk warten. Ihre Choreografie wird von Carolyn Choa perfekt auf die Musik und Klingsors Anweisungen ausgerichtet. Alejandro Marco-Buhrmester, schon als Amfortas weithin erprobt, gibt ein bestechendes Rollendebüt als Klingsor, mit klar artikulierendem Bariton und einem boshaft markigen Unterton sowie exzellenter Wortdeutlichkeit. Auf ebenso hohem Niveau agiert und singt auch Elena Zhidkova als Kundry, die mit ihrem geschmeidigen Mezzosopran mit guten Höhen und einer klangvoll farbigen Abdunkelung in der Mittellage beeindruckt. Mit ihrem attraktiven Aussehen zeigt sie ein authentisches und souveränes Rollenporträt der Ruhelosen, das in einer intensiven Kuss-Szene auf einem von einigen Zaubermädchen herbeigebrachten Doppelbett gipfelt. Dabei deutet die sich nun öffnende Schlucht in unmissverständlichen tiefroten Videophantasien Peter Flahertys optisch das an, was sich nach Klingsors Vorstellung nun abspielen sollte… Mit ihrer Kundry-Interpretation zählt Zhidkova ebenso wie Zeppenfeld und Marco-Buhrmester sicher zu den großen neuen Talenten für kommende „Parsifal“-Besetzungen. Gegen diese stimmliche Qualität fällt Nikolai Schukoff in der Titelrolle etwas ab. Sein baritonal timbrierter Tenor ist zwar ausdrucksvoll und gerade im Monolog des 2. Aufzugs auch kräftig und wortdeutlich. Es mangelt aber an Resonanz und klanglicher Ausgewogenheit. Dafür ist Schukoff ein glaubwürdiger, die Rolle intensiv auslebender Parsifal, der von seiner Odyssee mit Glatze gealtert wie ein Bettler heimkehrt und im Schlussaufzug eine fast kontemplative Rolleninterpretation zeigt.

 Er trifft hier auf eine Gralsritterschaft, die nur noch damit beschäftigt ist, die Toten zu beerdigen. Eine dunkel düstere Friedhofszene à la Caspar David Friedrich wird sichtbar, von finsteren Gewitterwolken überdeckt. Gerade wird der tote Titurel zu Grabe getragen, als Gurnemanz und Kundry Parsifal kommen sehen und Speer und Gral wieder vereint werden. Großartig wie schon im 1. Aufzug singt der stimmkräftige Chor der Opéra de Lyon, unter der Leitung von Alan Woodbridge. Ein weiterer Höhepunkt ist die Klage Grochowskis als Amfortas am Grab Titurels, sowie die bedeutende Rolle, die das Regieteam Kundry bei der finalen Gralsenthüllung zubilligt. Amfortas wird durch den Speer geheilt, Kundry sinkt entseelt zu Boden – in einem letzten menschlichen Akt schließt ihr Gurnemanz die Augen. Die Ritter huldigen dem vom neuen Gralskönig erhobenen Kelch, und man könnte meinen, alles bleibe wie bisher. Da erhebt sich eine Frau auf der linken Seite und fixiert Parsifal, der den Blick bemerkt –  die Zukunft wird also eine andere sein. Es ist jedem überlassen, sich dazu Gedanken zu machen…

 Diese gelungene Inszenierung hatte in Kazushi Ono, der das Orchester der Opéra de Lyon dirigierte, einen offenbar sehr Wagner-versierten musikalischen Leiter. Schon das Vorspiel bestach durch große Transparenz und die richtigen, getragenen Tempi. Die exzellente Akustik des Hauses bewirkt einen kristallklaren Orchesterklang, der alle Feinheiten der Partitur hörbar macht, und daran lag Ono offenbar viel. Er ließ die kontemplativen Momente fein ausmusizieren und war immer darauf bedacht, größtmögliche musikalische Übereinstimmung mit dem dunklen Geschehen auf der Bühne herzustellen Die Streicher hatten große Momente, die Holzbläser klangen warm, und die Blechbläser spielten fehlerfrei. Lyon verfügt neben einem interessanten Aufführungsstil auch über ein erstklassiges Opernorchester.

 Die Opéra de Lyon hat mit dieser Neuproduktion einmal mehr bewiesen, dass ein Stagione-Theater erstklassige Leitungen erbringen kann, auch weil es weitgehend frei in der Auswahl der zu besetzenden SängerInnen ist und intensive, über Wochen auf ein Werk konzentrierte Probenarbeit auch musikalisch beste Ergebnisse bringt. Dass dieser neue „Parsifal“ bald an die Met geht, kann die Verantwortlichen an Rhône und Saône mit Stolz erfüllen…

(Fotos in der Bildergalerie)

Klaus Billand

 

 

 

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