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LUZERN/ Theater/ Black-Box: LIEDER VON KRIEG UND LIEBE – Szenische Madrigale für Solisten und Chor von Claudio Monteverdi

14.10.2019 | Allgemein, Oper

 


Solisten „Lieder von Krieg und Liebe“ ©Ingo-Hoehn.

 

LUZERN/ Theater/ Black-Box: LIEDER VON KRIEG UND LIEBE Szenische Madrigale für Solisten und Chor von Claudio Monteverdi.

Der Geist von Monteverdi erfüllt die Box des Luzerner Theaters.

Am 13.10.2019

 Mit Madrigali guerreri et amorosi, dem Titel dieses Madrigalvermächtnisses, setzte Claudio Monteverdi Neues in der Musikgeschichte. Neu hieran war nicht die „verliebte“, sondern die „kriegerische“ Art zu singen, deren Erfindung er im Vorwort für sich berühmte. Die Schmerzen der Herzen in klagenden Klängen zu besingen, waren bekannt. Die Farben des Krieges aber, das Blutrot von Angriff und Zorn, das Grün hoffnungsfroher Gegenwehr, das Grau der Ermattung und das Schwarz der einsamen Nächte in Töne zu fassen, war neu.

Die kriegerische Art, die Claudio Monteverdi in diesen Madrigalen einsetzte, gestattete dem Experten für Gesang und Stimme eine Individualisierung der Solostimmen im vielstimmigen Madrigal wie nie zuvor in der Geschichte. Im 8. Buch singen mal drei, mal vier, mal sechs Stimmen in scheinbar traditioneller Madrigalmanier, jedoch schon getragen vom Basso continuo und eingebettet in die Aura des modernen Klangs der Violinen. Plötzlich lösen sich Paare von Stimmen aus dem Ensemble, suchen den Dialog untereinander und mit anderen Paaren. Ein Bass singt Solo, eine Sopranistin klagt vor dem Hintergrund eines Terzetts von Männerstimmen.


Pluto im Dialog-mit Venus, Amor im Hntergrund. Copyright: Ingo Höhn

Die Lieder von Krieg und Liebe hatten am Sonntag in der Box des Luzerner Theaters ihre Premiere. Wer die Box kennt –eine übergroße Holzkiste und demzufolge sehr trocken- weiß, dass es eigentlich an eine Unmöglichkeit grenzt, Musik im trockenen Raum überzeugend zu präsentieren. Doch der in Luzern noch gut bekannte, ehemalige Musikdirektor Howard Arman traut sich an das Werk und setzt sich hierzu noch weitere Hürden, indem er selbst Cembalo und Orgel spielt.

Doch vom ersten Ton an, zeigt er klar, deutlich und transparent, dass er die wunderbare Musik und das Geschehen ganz im Griff hat. Keine Note scheint gleich und Arman unterwirft sie mit großem musikalischem Feingefühl.  Mit „Les Passions de l’Ame“  den Spezialisten für Alte Musik aus Bern hat er Musiker an der Seite, die die Musik von Monteverdi verinnerlicht haben, wie man es kaum für möglich hält. Arman der Stimmenflüsterer verführt die Sänger zu Höchstleistung und Feingefühl, ohne am Pult zu stehen. Es reichen kleinste Geste und Einsätze, um seine Musiker und Sänger zu erreichen. Es entwickelt sich ein Spiel, dass die Sänger scheinbar mit den ersten Silben die Einsätze geben und so ist ein großes Zwiegespräch zwischen Arman und Monteverdi nur zu bewundern. Brillanter geht es nicht!

Wenn ich hier vom Stimmflüsterer spreche, ist dies nicht übertrieben. Arman lässt musikalisch den Sängern den Raum, den sie brauchen, um ihre Stimme frei zu entfalten. Nicht nur den Solisten sondern auch dem Chor verlangt er alles ab und ich habe den Chor noch nie im Luzern so brillant gehört, wie an diesem Abend. Mark Daver hat große Vorarbeit geleistet.

Bei so viel Freude über die Musik, könnte man denken, dass die Lieder von Krieg und Liebe konzertant aufgeführt wurden. Verdient hätte sie es. Monteverdi reicherte die reine Hörkunst mit einer Szene und auch Tanz an. Aber wie will eine szenische Umsetzung auf so kleinen Raum gelingen? Geht es wirklich? Die Antwort gibt uns der ebenfalls in Luzern besten bekannte ehemalige Intendant Dominique Mentha. Als Dramaturgin ist Rebekka Meyer an seiner Seite.


Tancredi duelliert sich mit Clorinda. Copyright: Ingo Höhn

Menhta setzt die Szene nicht in den mittelalterlichen Kreuzkriege oder in eine Szenerie des dreißigjährigen Krieges, also in der Zeit in der Monteverdi das Werk geschrieben hatte. Vielmehr stellt er die Gedanken Monteverdis in den Mittelpunkt. „Es sind die gegensätzlichen Affekte, die unsere Seele heftig rühren“ und es ist auch die Faszination der Gewalt, die Mentha in die Gegenwart transponiert. Überzeugend und metapherhaft führt er uns durch die Aufführung. So sehen wir ein Floß auf der Reus, den Fluss des Lebens oder dem Meer, das die Bühne der Musiker ist. Fast dunkel ist es noch und ein Kind läuft durch die Box, um ein Rolltor zu öffnen, mit weiteren Kindern holt es ein Schlauchboot in die Box und die Sänger folgen ihm in uniformhaften grünen Kostümen und in Gummistiefel und nehmen im abgestellten Schlauchboot Platz. Für die eindrucksvolle und sehr reduzierte Ausstattung zeichnet Hartmut Schörghofer die Verantwortung und er setzt die Szene damit gefühlsvoll in Bilder um.

Die Kinder entschwinden und wir sehen Bilder von Flüchtlingen im Mittelmeer. Direkter und emotionaler kann man die Fragen nach dem Leben heute nicht stellen.

Zunächst sitzend und dann stehend beginnen die Sänger ihren Dialog und den Dialog mit dem Orchester. Sie singen über Liebe, Zankereien und dem ersehnten Frieden. Timotheus Maas als Pluto löst sich aus der Gruppe und gibt mit seinem Bass ein erstes Solo. Überbordend seiner Emotionen bringt er das Schlauchboot fast zum Kentern. Nur schwer lässt er sich beruhigen und den Frieden im Boot wieder herstellen. Die Kraft seiner Emotionen nimmt man ihm ab und er überzeugt hiermit.

Die Fahrt geht weiter auf dem Fluss des Lebens. Das Rolltor öffnet sich und die Kinder tragen weitere Schlauchboote in die Box gefolgt von den Chorsängern. Auch sie sind uniformiert in grau mit angedeuteten Schwimmwesten. Sie nehmen ebenfalls Platz in den Booten und beherrschen  die Szene. Zum ersten Mal flammt der Kampf zwischen den Geschlechtern auf. Die Frauen treiben die Männer aus der Box.

Das ruft Amor (Olivia Doutney) auf dem Plan. Verärgert und besorgt über das Verhalten der Frauen, Gemeinsam mit seiner Mutter Venus (Diana Schnürpel), begibt er sich in die Unterwelt. Venus zieht sich schwarze Lackschuhe an und balanciert über die Boote. Pluto erscheint und es wird Tee serviert von Amor. Venus klagt über den Verlust der Kraft von Amors Liebespfeilen. Pluto wendet sich zu Amor und Venus: „Kehrt doch zur hellen Welt zurück“  und enteilt.

Aus der Unterwelt betreten die Undankbaren Seelen, szenisch  vom Chor faszinierend als Blinde dargestellt, die ihren Weg in die Boote sich ertasten. Entsetzt entziehen sich Amor und Venus. Pluto vertreibt die Undankbaren Seelen und lässt seinem mittelpunktstreben freien Raum. In der Enge der Box ist das Publikum so nahe am Geschehen, dass die Suggestion des „Mittendrinn“ seine volle Kraft der Verschmelzung entfaltet. Nachdem er sich ausgiebig verwöhnen ließ, entschwindet er wieder.

Die Damen des Chores besteigen die Boote und putzen diese zum Gesang über Klagen des Lebens. Nach einem kurzen Zwischenspiel erscheinen Tancredi (Alexandre Beuchat), der seine Geliebte Clorinda (Diana Schnürpel) für einen Mann hält und beide duellieren sich. In ihrem Rücken setzt sich auch  Testo (Emanuel Heitz) in ein Boot und kommentiert zunächst in der Manier eines Minnesängers den sich entbrennenden Kampf. Mit zunehmender Intensität des Kampfes wird Testo zum frenetischen Sportkommentator des Geschehens.

Clorinda singt: „Krieg und Tod sollst du von mir haben“. Das Publikum bekommt es nun auch. Durch die Nähe in der Box erleben sie wie an einem Boxring die Heftigkeit des Kampfes, wie man es wohl nicht erwarten durfte. Mit ganzer Inbrunst und großer Leidenschaft geben sich beide Kämpfer wirklich alles. Mehr Faszination kann das Publikum nicht erwarten und man sieht den Schweiß aus den Gesichtern rinnen. Schwerer Atem und die Qualen des Kampfes sind die Tribute ihrer Leidenschaft. Tancredi ersticht Clorinda und erkennt er danach völlig entsetzt, dass er über seine Geliebte gesiegt hat.


Testo besingt das Sterben vob Clorinda. Copyright: Ingo Höhn

Kommen wir zum Stimmenflüsterer Arman zurück, selbst  in dieser überragend dargestellte Szene verdanken wir ihn, dass die Sänger ebenso brillant singen wie spielen.

Das Stück endet beklommen und nachdenklich mit den Ausruf des letzten Atemzugs von Clorinda, der sich in die Ewigkeit hinzuziehen scheint: „Der Himmel tut sich auf, ich geh‘ in Frieden.“

Das Licht entzieht sich der Bühne und die Dunkelheit entlässt das Publikum mit der Überzeugung von Mentha:  „Diese Musik ist nicht sentimental – sie tröstet uns.“

Nach kurzen Innehalten und völliger Stille bedankt sich das Premierenpublikum mit langanhaltendem, starkem Applaus für die geschlossene fulminante Leistung der Protagonisten und mit vielen Bravos für die Solisten.

Olaf Schnürpel, 14. Oktober 2019

 

 

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