Luzern: Lucerne Festival 2019 – Ausgewählte Konzerte
Tristan und Isolde, konzertante Aufführung des 2. Aktes, 4.9.2019
Triumph der Brangäne
Sieht man einmal davon ab, dass eine konzertante Aufführung eines Bühnenwerkes nur eine halbe Sache ist, kann man sich mal ohne störende Inszenierung ganz auf die Musik konzentrieren. Das war sicher auch die Intention der Verantwortlichen, auf die Wirkung der Musik allein zu vertrauen. Nun wissen wir ja, dass gerade Wagners „Tristan“-Partitur allen Grund dafür bietet, nur die Musik zu hören und sich nicht durch äussere Gegebenheiten ablenken zu lassen. Das im Hinterkopf: Dann nimmt man natürlich so oder so alles wahr, was um einen herum so vor sich geht. Aber konzentrieren wir uns mal.
Da ist mal das prächtig aufspielende Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam, das aber – zumal unter der Leitung von Daniel Harding – in jedem Moment spübar macht, dass es kein Opernorchester ist. Zwar spielen die Mitglieder des renommierten Klangkörpers virtuos, aber ein eigentlicher Wagner-Klang will sich nicht einstellen. Zu hell sind die Orchesterakzente, die Mittelstimmen sind so gut wie nicht hörbar, und so ergibt sich ein recht kühles Klangbild. Sehr schön waren die Übergänge, an denen das Werk Wagners so reich ist, und es gab manch magischen Moment. Die Tempowahl des Dirigenten war zeitweise fragwürdig: So liess er Isolde und Brangäne zu Beginn des 2. Aktes stimmlich fast verhungern, zog dann wieder enorm an, sodass Isolde kaum ihre hohen c’s zu Beginn des Liebesduettes platzieren konnte. Erst bei „O sink hernieder“ fand das gross besetzte Orchester in den Hafen ruhigeren Gewässers. Und es kam zur Übereinstimmung zwischen den Stimmen und dem Orchester; sie waren nun richtig in den Klang eingebettet. Leider verlor die ganze Spannung wieder beim Auftritt von König Marke, wo der Sänger in einer ungemeinen Anstrengung die ganze Stimmung selbst aufbauen musste. Daniel Harding hat irgendwie noch nicht den Weg zum Tristan gefunden, sonst hätte man die Wiedergabe wohl nicht so empfunden, wie es oben dargelegt wurde.
Sängerisch war es auch nicht zum Besten bestellt. Die in unsren Graden nahezu unbekannte amerikansiche Sopranistin Christine Goerke, die an der Met schon die Brünnhilde singt, war als Isolde nicht zufriedenstellend. Sicher hat Frau Goerke eine echte Wagnerstimme, diese wird aber ungenau geführt, die Höhe wird irgendwo platziert, und ein manchmal intensiv auftretendes Vibrto lässt keine ruhige Legatolinie zu. Ausserdem lässt die deutsche Aussprache zu wünschen übrig. So konnte sich Christine Goerke an diesem Abend nicht in optimaler Form präsentieren. Als ihr Partner war Stuart Skelton äusserst zuverlässig, sang mit sicherer Technik und baritonalem Timbre einen guten Tristan. Auch die Pianostellen waren schön gesungen – übrigens vermischten sich beide Stimmen, die von Goerke und Skelton, im Gleichgesang optimal – und die berührende Stelle „O König, das kann ich dir nicht sagen“ war einer der Höhepunkte des Abends.
Leider war Matthias Goerne, der sich offenbar in jüngerer Zeit im Bassfach bewegt, als König Marke nicht ganz in seinem Element. Goerne war sehr bemüht um dunkle Tongebung, Intonation und sowohl Diktion als auch Legato waren qualitätvoll. Aber irgendwie passt die Stimme nicht zu der Partie. Mit ein paar Stichworten waren Mark Omlee (als Melot) und Stefan Astakhov (als Kurwenal) gut präsentiert.
Am besten zog sich Claudia Mahnke aus der Affäre, die eine ganz fabelhafte Brangäne sang. Schon zu Beginn des 2. Aktes liess sie mit ihrem klar geführten Mezzo aufhorchen: nichts war übertieben, die Stimme strömte ganz natürlich dahin. Und mit dem Höhepunkt des Abends beschenkte uns Claudia Mahnke, als sie den Wachtgesang der Brangäne von einem der höheren Ränge im Saal sang. Da er-„Klang“ die Stimme, sie wurde getragen von einer perfekten Atemführung und man verstand zudem jedes Wort. Eine grossartige Leistung, die zeigte, was man mit hervorragendem Wagner-Gesang bewirken kann. Die Ergiffenheit im Publikum war förmlich zu spüren. Diesen Augenblick wird man gerne in schönster Erinnerung behalten.
Lucerne Festival 2019: Konzert der Wiener Philharmoniker unter Andrés Orozco-Estrada und dem Geiger Leonidas Kavakos, 5.9.2019
Dvořáks Neue Welt neu gehört!
Als die Wiener Philharmoniker mit der „Mittagshexe“, einer symphonischen Dichtung von Antonin Dvořák, den Abend eröffneten, geriet man schon in den Bann des ganz eigenen Klangs der Wiener Philharmoniker. Dieses Schwirren der Streicher bei den Tremoli, die Piano-Einsätze des gesamten Blechbläserkorps, die melancholisch verhangenen Soli der Holzbläser: eine ganze Welt der Imagination tut sich da auf. Die Wiener waren in Höchstform angetreten.
Leonidas Kavakos spielte mit schlankem Geigenton das von Jascha Heifetz uraufgeführte Violinkonzert von Erich Wolfgang Korngold und die Wiener Philharmoniker bereiteten ihm darunter einen Teppich von jugendstiligen Harmonien. Darüber schwebte förmlich der Geigenton, getragen von den Harmonien der obertonreichen Klanggestaltung Korngolds. Der bescheidene Künstler, der so kein Getue um sich macht, spielte einfach und beeindruckte allein dadurch. Dass er eine Meisterleistung vollbrachte, indem er zusammen mit dem Dirigenen Andrés Orozco-Estrada, das Werk Korngolds ohne Drücker und Sentimentalität intepretierte, muss unbedingt hervorgehoben werden.
Nach der Pause gab’s dann Dvořáks „Neue Welt“-Sinfonie. Wer dachte, er würde sie schon kennen, musste sich eines Besseren belehren lassen. Wie die Wiener Philharmoniker unter dem Dirigat von Orozco-Estrada mit einer Sorgfalt und Seriosität ohnegleichen an die vielgespielte populäre Sinfonie herangingen, war eine hinreissende Erfahrung. Orozco-Estrada verwendete Rallentandi und Rubati mit höchstem Geschmack, nie war etwas aufgesetzt, und doch wurden die vielen Einzelheiten zu einem Ganzen geformt. Die Klangwunder des Orchesters manifestierten sich insbesondere bei den Einsätzen der Blechbläser, die wie auf einem Atem den Beginn intonierten. Und die Streicher der Wiener sind wahrlich eine Sonderklasse: Wo hört man noch diesen Klang? – Als Zugabe gab’s einen wunderbar luftig musizierten Strauss!
Lucerne Festival, Konzert mit den Wiener Philharmonikern unter Bernard Haitink und Emmanuel Ax, 6.9.2019
Bernard Haitink und die Wiener Philharmoniker. Copyright: Priska Ketterer/Lucerne-Festival
Der Abschied des Grand-Seigneurs
Es war schon lange bekannt, dass dieses Konzert das letzte öffentliche Auftreten von Bernard Haitink sein würde. Der grosse niederländiche Dirigent, der nie ein Aufheben um sich gemacht hatte, dirigierte in seinem letzten Konzert keine geringere als Bruckners Siebente. Und wie er es tat, versetzte einen nur so in Staunen. Der neunzigjährige Grand-Seigneur dirigiert nicht für das Publikum, sondern für die Musik. Seine Bewegungen sind unspektakulär, sind klein gehalten, geben nur das Nötigste nach aussen bekannt, das Orchester versteht ihn seit Jahren. Es hiesse Eulen nach Athen tragen, wollte man betonen, dass die Wiener Philharmoniker das ideale Bruckner-Orchester sind. Auch bei den grössten Klang-Eruptionen bleibt der Klang der Wiener immer „in Massen“ und wird nie gewalttätig. Das Majestätische ist nun mal Bruckner eigen, aber bei Haitink werden die Klang-Blöcke nie zu pathetischen Klangquadern. Der 2. Satz, das Adagio, den Bruckner ja Wagner gewidmet hat, nachdem er von seinem Tod erfahren hatte, ist schon eine Sinfonie in sich. Was da alles an kompositorischer Qualität, an Klang-Imagination, an Emotion eben in diesem Satz schon drinsteckt, ist ein Wunder. Es wurde übrigens mit dem berühmten Beckenschlag gespielt. Dass die beiden nachfolgenden Sätze nach diesem 2. Satz etwas an Konzentration verlieren mussten, soll hier nicht erstaunen. Es war auch gar nicht anders möglich, ja menschenmöglich. Haitink führte die Siebente Bruckner souverän zum abschliessenden Höhepunkt, wo man glaubt, die Kirchenglocken läuten zu hören. Entsprechend wurde der Alt-Meister mit Standing Ovations, die mehr als gerechtfertigt waren, gefeiert und geehrt. Er nahm es, am Arm seiner Frau Patricia, mit einem milden Lächeln entgegen.
Bernard Haitink und die Wiener Philharmoniker. Copyright: Priska Ketterer/Lucerne-Festival
Zuvor hatte Emmanuel Ax, der für Murray Perahia eingesprungen war, das 4. Klavierkonzert von Beethoven gespielt. Er tat dies unprätentiös, sympathisch, ohne Pathos. Eine hübsche Zugabe war ein Lied aus Schuberts Zyklus „Die schöne Müllerin“ in der Fassung von Franz von Liszt, die in schlichtem Rahmen gehalten ist.
John H. Mueller
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