Luigi Caputo
SALZBURGER FESTSPIELE
HOMMAGE AN EIN GESAMTKUNSTWERK
248 Seiten, Edition Lammerhuber, 2023
Punktgenau zu den Salzburger Festspielen 2023 ist ein Buch erschienen, das einen ungewöhnlichen Blick auf das Ereignis wirft. Wie meist bei dem Verlag Edition Lammerhuber handelt es sich um einen großformatigen Bildband, der Fotos sprechen lässt – in diesem Fall jene von Luigi Caputo, gebürtiger Römer, international anerkannter Fotograf, der in dieser Eigenschaft den Salzburger Festspielen seit 1994 verbunden ist. Es sind also nahezu dreißig Jahre, die er mit seinen Fotos abdecken kann.
Diese haben allerdings nicht den „repräsentativen“ Charakter, Inszenierungen möglichst glanzvoll zu dokumentieren und Stars in wirkungsvollen Posen auszustellen. Caputos Bildansätze sind immer originell, gewissermaßen schräg, interessieren auf Anhieb, zwingen zum genauen Hinsehen. In all den Jahren war er überall – auf der Bühne und vor der Bühne, aber auch in der Kantine, den Werkstätten, im Zuschauerraum. Seine Blickwinkel sind schier unendlich und vielschichtig. Auch die Putzfrau, die im Festspielhaus die Treppen säubert, lässt ihn zu seiner Kamera greifen…
Es gibt ein Foto, das geradezu philosophischen Charakter hat, wenn (auf Seite 223) zwei offenbar ältere Damen (man sieht nur ihre Rückenpartie) in schlichtem Gewand, aber doch Festspielbesucherinnen, im Foyer vor einem ausgestellten exzentrischen Luxuskostüm stehen. Die Diskrepanz zwischen Gebotenem und Publikum könnte – in diesem Einzelfall, der ein kleines Segment der Festspielbesucher trifft – nicht deutlicher ausgedrückt werden.
Die Bildauswahl, die ihrem Untertitel „Hommage an ein Gesamtkunstwerk“ mehr als gerecht wird, verläuft weder chronologisch noch thematisch, wechselt zwischen bunt und schwarzweiß, hat keinerlei Übersichtlichkeit, sondern tatsächlich Diversität im Blick. Luigi Caputo erkennt das Skurrile, auch das Schaurige, das Seltsame und Düstere. Selten verbeugt man sich vor den Mächtigen (etwa die vorige und die derzeitige Festspielpräsidentin), und wenn der Fotograf Schwerpunkte setzt, etwa bei dem „Jedermann“, wo viele der Protagonisten der letzten Jahrzehnte vorkommen, sind es keine „Starfotos“, sondern Bilder, die wie en passant, oft humorvoll aufgenommen sind. Ein Totenkopf ruht einsam auf einer Treppe am Domplatz…
Wenn man Fotos von Inszenierungen sieht, dann geht es immer darum, die Ästhetik der letzten Zeit klar zu machen. Und dass hier gearbeitet wird – Cecilia Bartoli am Tisch mit vielen Mitarbeitern, Regisseure vor ihren Laptops. Einsam hängt das rote, legendär gewordene Traviata-Kostüm der Netrebko auf einer Kleiderpuppe, jemand hat ihr einen Pappkopf aufgesetzt. Schaurig zeigen die Macbeth-Hexen von 2011 ihre faltigen Körper-Bodies. Buhlschaft-Brigitte Hobmeier „radelt“ herbei. Teodor Currentzis raucht 2017 auf einer Steinbank ein Zigarettchen, und Markus Hinterhäuser lugt um die Ecke… man sieht geradezu, wie Luigi Caputo unterwegs ist, schnell und überraschend den Augenblick festzuhalten…
Das ist nicht der repräsentative Bildband über die Salzburger Festspiele. Das ist der alternative für jenes Publikum, das heute nicht mehr das Althergebrachte sehen will.
Renate Wagner