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LUDWIGSBURG/ Forum Schlosspark: MINNA VON BARNHELM – Gastspiel Theater an der Ruhr Mülheim

01.03.2014 | KRITIKEN, Theater

RAFFINIERTES SPIEL UM LIEBE UND EIGENLIEBE

Lessings „Minna von Barnhelm“ mit dem Theater an der Ruhr Mülheim am 28. Februar 2014 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG

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Copyright: Andreas Köhring

Karin Neuhäuser hat als Kulisse den Hinterhof eines Kaufhauszentrums gewählt, in dem sich Pakete und Paletten stapeln und die Akteure in einer grünen Gitterwand eingesperrt sind. Europa versinkt hier tatsächlich im Wirtschaftschaos, der verwahrloste Kontrollstaat zeigte seine scheußlichen Zähne. Der zum Krüppel geschossene Offizier Major von Tellheim wird von Klaus Herzog sehr wandlungsfähig verkörpert. Dem Geschädigten werden auch noch Korruption und Unterschlagung vorgeworfen, worauf sich der in seiner Ehre tief Verletzte zurückzieht und sich sogar vor seiner Verlobten Minna verbirgt, die von Simone Thoma durchaus emotional dargestellt wird. Sie möchte ihn nun aus seinem Verharren in der Kränkung herausholen. Ein Spiel unter Vortäuschung falscher Tatsachen wird angezettelt, wobei die Inszenierung an plastischer Qualität gewinnt. Minna mimt plötzlich selbst die Verarmte, um Tellheim gleichgestellt zu sein. Gut deutlich wird bei dieser Inszenierung trotz aller dramaturgischer und stilistischer Brüche, dass einer Wiedervereinigung zwischen Tellheim und Minna dessen komplizierte Ehrenhaftigkeit im Wege steht: „Der hat Sie nie geliebt, der eine andere nach ihnen lieben könnte!“ Er will das Fräulein von Barnhelm eben nicht mit seiner heruntergekommenen Existenz belasten. Klaus Herzog verdeutlicht diesen heftigen psychischen Zwiespalt recht überzeugend. Erst als sich Minna als eine von ihrem Onkel Verstoßene und Enterbte hinstellt, ändert sich die Einstellung Tellheims, was die Inszenierung gut verdeutlicht. Bevor sich die Handlung wirklich tragisch zuspitzen kann, klärt sich der fromme Betrug Minna von Barnhelms aber auf und das Paar findet schließlich zusammen. Die stilistischen Brüche zwischen Rokoko-Traditionen und moderner Welt werden von Karin Neuhäuser hier bewusst aufgebrochen, was dramaturgisch allerdings nicht immer gelingt. Da spielen auch die Kostüme von Alexander Schulz eine große Rolle. Das Bühnenbild von Gralf Edzard Habben sieht stellenweise wie ein großes Gefängnis aus, das sich erst zuletzt für das Paar wieder zu öffnen scheint. Die Rolle von Minnas „Oheim“, Graf von Bruchsall, ist von der Regisseurin komplett gestrichen worden. Er kann dabei also gar nicht als Deus ex machina erscheinen und den „Betrug“ von Minna von Barnhelm aufklären. Das „Soldatenglück“ löst sich also in anderer Weise auf.

Als redlicher und gutmütig-patziger Just überzeugt ferner Volker Roos, als edelmütiger und wie sein Herr handelnder Wachtmeister Paul Werner gefällt Fabio Menendez, listig, neu- und raffgierig ist Steffen Reuber als Wirt und Petra von der Beek kann man in einer satirischen Glanzrolle als Glücksritter und Falschspieler Riccaut de la Marliniere erleben. Sie verwandelt sich dann auch geschickt in eine Dame in Trauer. Die Durchformung der Charaktere und der zugespitzte Dialog könnte dabei sogar noch steigerungsfähig sein. Das gleiche gilt für den poetischen Reiz dieser Liebesgeschichte, der zuweilen etwas blass bleibt. Thomas Hoppensack spielt weiterhin durchaus ironisch einen Requisiteur.

Gleich zu Beginn wird sogar das Datum der Uraufführung des Lustspiels „Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück“ erwähnt. Das Schauspiel im Schauspiel kann also beginnen. „Ein glänzendes Meteor“ nannte übrigens Goethe Gotthold Ephraim Lessings Stück. Etwas mehr von diesem Glanz hätte noch auf das gesamte Geschehen ausstrahlen können. Die Zeitlosigkeit der Handlung wird von Karin Neuhäuser jedenfalls facettenreich betont. Sie hat jedoch auch die Rolle der zungenfertigen und munteren Zofe Franziska leider wegfallen lassen. Die Musik von Matthias Flake schafft sogar Bezüge zum zweiten Weltkrieg: Es erklingt „Lili Marleen“ von Lale Andersen. Das „Soldatenglück“ ist hierbei also sehr vieldeutig (Dramaturgie: Sven Schlötcke).

 Alexander Walther

 

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