VIEL SCHRÄGER HUMOR – 29. Dezember 2013 – Aufführungen im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG
Phantom der Oper. Foto: Agentur
Die schönsten Tanzszenen im Stil von „Riverdance“, „Lord of the Dance“, „Celtic Tiger“ und „Feet of Flames“ wurden hier erstmals in einer deutschen Bühnenfassung kombiniert mit schwindelerregenden Akrobatikeinlagen der südamerikanischen Artisten von „Pura Vida„. Das war wirklich mitreissend.
Bei den Songs von Michael Jackson ging dann in einer rasanten Bühnenperformance richtig fetzig die Post ab. Da konnten sich die Zuschauer kaum noch auf ihren Sitzen halten. Die Truppe aus 20 der weltbesten Profitänzer (Irland, England, Mexico, USA) der Broadway Dance Company brillierte mit großer tänzerischer Perfektion und ging bis an die Grenzen der physischen Belastbarkeit. Hier wurde dann auch der Bühnenraum zur Tribüne für einen großen Auftritt. In diesem bemerkenswerten Duell der Giganten trafen die „Princess of Ireland“ und „The Wrestler“ auf den derzeit schnellsten Stepptänzer der Welt, den feurigen Italiener Liam C. Man begriff aufgrund der grandiosen tänzerischen Einlagen, wie sich der irische Stepptanz über Nacht durch „Riverdance“ zum weltweiten Publikumsmagneten entwickeln konnte. Man gewann auch intensive Eindrücke von „Lord of the Dance“ – die spektakuläre Show des abtrünnigen „Riverdance“-Darstellers und besten Tänzers der Welt in diesem Genre, Michael Flatley.
Höhepunkt war dann das atemlose Duell der Giganten im großen Finale. Irischer Stepptanz und südamerikanische Akrobatik führten zu einem furiosen Abschluss. Dazwischen begeisterten noch Hip-Hop-Ausschnitte, ein Wiedersehen mit „Celtic Woman„, Zirkuskunst a la „Cirque du Soleil“ und vor allem Sequenzen aus dem bekannten Streifen „Dirty Dancing“. Da wurde wieder ein absoluter Tanz-Boom ausgelöst. 1987 sorgte der weltbekannte Film mit Jennifer Grey und Patrick Swayze für Furore. Zunächst glaubt die idealistische 17jährige „Baby“, dass kein Junge so toll sein kann wie ihr Dad. Ihre heile Welt wird aber völlig auf den Kopf gestellt, als sie sich in den trotzigen Tanzlehrer Johnny Castle verliebt. Freundschaft, Romantik, Treue und Rebellion werden bei dieser Produktion tänzerisch ausgezeichnet umgesetzt. „Celtic Woman“ ist übrigens eine Musikgruppe, die aus vier irischen Künstlerinnen besteht. Keltische Tradition und europäische klassische Musik dominieren hier.
Viel schrägen Humor und kompositorische Querverbindungen zu Giuseppe Verdi („Aida“, „La Traviata“) sowie Gustav Mahlers 8. Sinfonie und Leonard Bernstein liefert die Sopranistin Deborah Sasson bei ihrer Eigenkomposition von „Das Phantom der Oper“. Diese Fassung kommt ganz ohne die harmonischen Querverbindungen zu Andrew Lloyd Webber aus und klingt deswegen auch völlig anders. Neben „Dies irae“-Sequenzen kann man immer wieder Marsch- und Revue-Einlagen vernehmen. Das von Deborah Sasson mit dunklem Timbre gesungene Chormädchen Christine mausert sich zur Diva, als sie für die Primadonna „La Carlotta“ (furios: Annette Kuhn) einspringen muss, die zuletzt auch noch ihre Stimme verliert und einen Nervenzusammenbruch bekommt. Dazu geht wiederholt das Licht in der Pariser Oper aus, die Regie von Jochen Sautter spielt virtuos mit Gruseleffekten. Trotz mancher Schwachstellen steigert sich die dramaturgische Spannung beträchtlich. Große Bestürzung löst auch der Tod des Bühnenmeisters Bouquet aus, wobei der umsichtige Dirigent Piotr Oleksiak sein Ensemble fest im Griff hat. Die Bühnenausstattung von Michael Scott spielt viel mit wallenden Tüchern, die sich erst allmählich heben und den Blick auf eine riesige Bühne freigeben, in deren Mittelpunkt die vom Phantom gespielte Orgel steht. Für sein Spiel stellt das von Axel Olzinger undurchsichtig gemimte Phantom absurde finanzielle Forderungen. Christine macht große gesangliche Fortschritte und wird zum „Engel der Musik“, ihr Herz gehört jedoch dem von Jochen Sautter emotional gespielten Raoul. Schließlich wird Christine vom Phantom entführt und in dessen Gemächer in der Oper verschleppt. Diese Szenen wirken bei der Inszenierung am überzeugendsten. Dann haben die beiden Direktoren (facettenreich: Nils Schwarzenberg und Thomas Hartkopf) genug und schalten die Polizei ein (als gewiefter Kommissar: Tadeusz Kopec).
Neben dem „Perser“ Alexander Voss gefallen ferner Renee Knapp als Madame Sorelli sowie die virtuos dargestellten drei Ballettmädchen (Anna Ciolek, Anna Friederike Wolf und Corina Zurbuchen). Nur Raoul gelingt es mit seinem Helfer, bis in die Gemächer des Phantoms vorzudringen, wobei sie in einen Hinterhalt geraten und vom Phantom in Folterblöcke gesperrt werden. Im Moment des Glaubens an die Liebe besinnt sich das Phantom und will die beiden nicht töten. Der ganz große dramatische Höhepunkt bleibt also aus.
Deborah Sasson hat musikalische Zitate wie die veristische Arie „O mio babbino caro“ aus Puccinis Einakter „Gianni Schicchi“, die Arie des „Faust“ aus der von französischer Sprachmelodik beherrschten Oper „Margarete“ von Charles Gounod sowie den weichen Parlando-Ton aus Verdis „La Traviata“ geschickt in ihr kompositorisches Konzept eingebaut, wobei nicht jedes Arrangement gleich gut geglückt ist. Gelegentlich werden auch Elektro-Passagen zu drastisch eingesetzt. Ein weiterer Pluspunkt dieser durchaus bejubelten Aufführung sind die raffinierten Tricktechnik-Effekte sowie die moderne 3D-Videotechnik. So kommt es zur Bühnenillusion und einem scheinbar bruchlosen Szenenwechsel in den unergründlichen Räumen der Oper bis hin zu den gespenstischen Katakomben.
Insgesamt ist es jedoch eine Produktion, die beim Publikum in Ludwigsburg sehr gut ankam.
Alexander Walther