Les Ballets Jazz de Montreal im Forum am Schlosspark Ludwigsburg
Les Ballets Jazz de Montreal. Copyright: Benjamin von Wong
Ausverkauft war das Forum am Schlosspark beim bejubelten Gastspiel des renommierten und seit 1972 bestehenden „Les Ballets Jazz de Montreal“, das sich neue Inspirationen aus der Jazz-Musik holt. Wie spannend das ist, davon konnte man sich beim Gastspiel der Kompanie jetzt in Ludwigsburg überzeugen. Gleich die erste Choreografie „Fuel“ von Cayetano Soto fesselte das Publikum mit der subtilen Musik von Julia Wolfe, die den Sound des Industriezeitalters höchst geschickt auf Streichinstrumente überträgt. „Fuel“ bedeutet dabei Treibstoff, der die Welt stark in Bewegung hält. Und die Tänzerinnen und Tänzer setzten diese Intention im Forum ungemein ausdrucksstark und bewegungssicher um. So wurde mit den dynamischen, technisch virtuosen Begegnungen von zwei bis drei Tänzern und statischen Momenten in eindringlicher Weise gespielt. Trotz Ruhe war hier keiner fähig, innezuhalten. Mit nervös-zuckenden Bewegungen luden die Tänzer dabei ihre „Akkus“ auf. Dann brachen sie wieder auf und verbrannten ihre Energie, bis der Tank leer war. Bei der zweiten Choreografie „Closer“ von Benjamin Millepied (neuer Direktor des Pariser Opernballetts) stand Philip Glass‘ Musik „Mad Rush“ mit monotonen minimalistischen Effekten im Mittelpunkt. Millepied zeichnet sehr geschickt die Nähe eines Paares nach. Mit klaren Linien bestach der reizvolle Pas de deux „Closer“ durch facettenreiche Artistik und zarte Momente. So entstand eine vibrierende Spannungskraft zwischen den beiden Körpern, die sich immer wieder neu anzogen. In erstaunlichen Hebungen gelang Vertrauen zwischen den Protagonisten Celine Cassone und Alexander Hille. Das Klavierstück von Philip Glass war übrigens schon bei einer Rede des Dalai-Lama in New York zu hören.
Höhepunkt dieses Gastspiels war aber im Forum am Schlosspark in jedem Fall die hervorragende Choreografie „Harry“ des israelisch-amerikanischen Künstlers Barak Marshall. Erzählt wird hier von den inneren und äusseren Schlachten, die jeder Mensch täglich aushalten muss. „Harry“ fragt nach den Kompromissen, die das Zusammenleben von Mann und Frau erforderlich machen. Harry ist als Hauptperson körperlichen und existenziellen Angriffen ausgesetzt. Eine bunte Truppe suchte zwischen Jazz und Folklore auch in Ludwigsburg nach Antworten auf diese wichtige Frage, wie man unterschwellige Energien im Zwischenmenschlichen kontrolliert. Dabei erklang unter anderem Musik von Franz Schubert („Der Tod und das Mädchen“ mit dem Hungarian Quartet) sowie die Arie „O mio babbino caro“ aus Giacomo Puccinis Oper „Gianni Schicchi“ mit Maria Callas. „Harry“, der von den Frauen als vermeintliche Leiche immer wieder beweint wurde, stand aber ständig neu auf und schickte sein „Aschenputtel“ so komisch in den Geschlechterkampf, bis ihm Topfdeckel, Herzen und Luftballons unter lauten Donnergeräuschen zuflogen. Diese Szene erfüllte das Forum mit geradezu elektrisierender Energie, die sich steigerte. Zu neoklassischen Tanzvisionen ließ „Harry“ hier die Puppen tanzen. Die Frauen lagen ihm zuletzt jedenfalls zu Füßen. Und die Tänzerinnen und Tänzer reagierten auf die Musik mit präziser Ausdruckstechnik. Zu diesem überwältigenden Gesamteindruck trugen auch die raffinierten Lichteffekte von Daniel Ranger bei.
Ovationen.
Alexander Walther