LUDWIG van BEETHOVEN: LIEDER – ANDRÉ SCHUEN Bariton, CAvi Music CD
Ein junger Südtiroler namens André Schuen ist drauf und dran, im Liedgesang die Weltspitze zu erklettern. Ausgebildet am Mozarteum Salzburg, war Schuen 2010 bis 2014 Ensemblemitglied der Oper Graz. Dieses Basis-Rüstzeug ist auch seinen Liedaufnahmen anzuhören, wo er mit einem kernig geschmeidigen, in allen Lagen gleich gut ansprechenden Kavaliersbariton aufhorchen lässt. Auf dem spannenden Programm der CD stehen ausschließlich Lieder von Beethoven, der mit seinen innovativen Schöpfungen eine goldenen Brücke zwischen Mozart, Haydn und den Frühromantikern Schubert und Schumann spannte.
Schuens Vortrag ist von keines Gedankens Blässe angekränkelt. Da wird nicht überinterpretiert oder gesäuselt, keine Gefühligkeit lässt den Sänger von seinem klaren Pfad abtriften. Ob schwärmerisch verträumt wie in der unverwüstlichen „Adelaide“, opernhaft kraftvoll wie „In questa tomba obscura“ oder erdig derb polternd wie in dem schottischen Lied „Come fill, fill my good fellow“ bzw. dem irischen Lied „The deserter“, Schuen setzt in der Natürlichkeit seines Vortrags, der idealtypischen Verbindung von Wort und die sie ausdrückende melodische Linie neue Maßstäbe. Besonders im durchkomponierten Liederkreis „An die ferne Geliebte“ fasziniert das dreidimensional Plastische im Erzählton, suggestiv und zupackend zugleich.
Wie Haydn oder Hummel, schuf auch Beethoven im Auftrag des Verlegers George Thomson aus Edinburgh Bearbeitungen von schottischen, irischen und walisischen Volksliedern, insgesamt stattliche 200 an der Zahl. Aus den 25 Schottischen Lieder für Bariton und Klaviertrio bzw. den Irischen Liedern, ebenfalls begleitet von einem Klaviertrio, stellt André Schuen auf seinem neuen Album eine repräsentative Auswahl vor. Formal handelt es sich um Klavierwerke mit Streicherbegleitung, die nachträglich mit Texten versehen worden sind. Beethoven kannte beim Verfassen der Lieder weder Texte noch Inhalte.
Schuen erweist sich hier als ein kraftvoll die volksliedhaften teils schaurig wilden bis dem Alltag der Entstehungszeit entnommenen Schöpfungen zu prallem Leben erweckender Interpret. Wer die Haydn‘schen Varianten dieser Bearbeitungen mit Fritz Wunderlich kennt und schätzt, wird auch die Aufnahmen mit André Schuen und dem Trio Boulanger lieben. Dem höhenlastigen, bestens fokussierten und in der Höhe angenehm metallisch schimmernden Bariton geht Ausdruck über alles, ohne die Gesangslinie opfern zu müssen. Das Trio Boulanger (Karla Haltenwanger Klavier, Birgit Erz Violine, Ilona Kindt Cello) liefert zum konkret deklamatorischen Duktus des Sängers den lyrischen Unterton, einen geheimnisvollen Schleier auch über das „Massaker von Glencoe“ werfend. Das Spiel der drei Musikerinnen ist voller Raffinement im Wechselspiel von Klavier und Streichern, der romantische Ton bleibt stets gewahrt.
Fazit: Eine der schönsten Lied-CDs der letzten Monate, vorbehaltslos zu empfehlen.
Dr. Ingobert Waltenberger