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Lotte Tobisch: ALTER IST NICHTS FÜR PHANTASIELOSE

29.05.2016 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

BuchCover  Tobisch  Altern ist nichts

Lotte Tobisch:
ALTER IST NICHTS FÜR PHANTASIELOSE
Aufgezeichnet von Michael Fritthum
256 Seiten,
Amalthea Verlag, 2016

Sie sagt es selbst, also ist der Rezensent nicht unhöflich, wenn er es feststellt: Hätte Lotte Tobisch in ihrem Leben nichts weiter getan, als in ihrer Eigenschaft als „schöne blonde Wienerin“ Nebenrollen am Burgtheater zu spielen, sie wäre gänzlich vergessen wie so viele ihrer Kolleginnen aus der zweiten Reihe.

Aber sie war zwar nicht die erste, aber die alle (vor und nach ihr) überstrahlende „Opernball-Lady“ und als solche eine Dame öffentlichen Interesses bis heute – und wenn sie angesichts ihres „Neunzigers“ nun ein Buch schreibt, kann sie der allgemeinen Neugierde darauf sicher sein (Ewige Neugierde ist übrigens auch eine ihrer besten Eigenschaften!). Lotte Tobisch hat schließlich viel erlebt und viele bedeutende Menschen getroffen, in deren Kreis sie sich als geistig Gleichberechtigte bewegte.

Lotte Tobisch, von Adel, wenn auch nicht von fürstlichem, geboren 1926 in Wien, wuchs nach alten Werten auf, die sie auch heute noch pflegt – und nicht einsehen will, dass sie in unserer Welt nichts mehr wert sein sollten. Viele Kapitel ihres Buches, das sie zusammen mit Michael Fritthum verfasst hat, behandeln grundsätzliche Fragen, wo sie gar keine Angst davor zeigt, mit ihrer Meinung gänzlich gegen den Mainstream zu stehen: Man kann ihr weder mit (oft so verlogener) „politischer Korrektheit“ kommen noch mit dem humorlosen Feminismus von heute (das „Binnen-I“ braucht sie wirklich nicht). Gutes Benehmen im Alltag vermisst sie sehr, ein bisschen Schamgefühl hielte sie für angebracht, die Mutation vom Bürger zum Konsumenten macht ihr Angst, und beim „Fremdschämen“ schickt sie dem Ex-Bundeskanzler eine Rüge nach, „der die deutsche Bundeskanzler im Regen hat stehen lassen, nachdem er sich ihr zuvor in der Flüchtlingsfrage bis zur Peinlichkeit angebiedert hat.“ Man sieht, mit 90 muss man sich kein Blatt vor den Mund nehmen – aber Lotte Tobisch hat das ohnedies nie getan.

Dabei steht sie der Gegenwart, bei aller kritischen Distanz, doch mit so viel Neugier gegenüber wie der Zukunft – es wäre schön, noch 200 Jahre zu leben, sinniert sie, um zu sehen, wie sich alles entwickelt…

Aber Lotte Tobisch berichtet auch aus ihrem Leben, von den beiden langjährigen Gefährten, zuerst Erhard Buschbeck, der „Seele“ des Burgtheaters über Jahrzehnte hinweg, dann mit Michael Simon, dem israelischen Botschaften in Wien. Das Burgtheater, von dem sie spricht, ist allerdings ein anderes als jenes, das man heute erlebt, sie gehörte noch zu legendären Zeiten und Kollegen. Darum wundert es auch nicht, dass sie auch heute noch, Jahrzehnte später, auf Claus Peymann, der „ihr“ Burgtheater zu zerstören begann, schlecht zu sprechen ist… Begegnungen mit wirklich Großen gab es, Bruno Kreisky oder Egon Hilbert, Fritz Hochwälder oder Elias Canetti, mit Theodor W. Adorno war sie befreundet… da wirken die gegenwärtigen „Größen“ wie Zwerge.

Natürlich ist auch ausführlich von ihrer Opernballzeit die Rede und offen davon, dass es mit Ioan Holender wirklich nicht leicht war. Ihr Geheimnis? Rechtzeitig gegangen zu sein, meint sie, bevor es auf gut Wienerisch zweifellos geheißen hätte: „Die Alte ist immer noch da und pickt auf ihrem Sessel…“

Übrigens erfährt man in dem Buch auch Dinge, die man nicht für möglich halten sollte – etwa, dass Lotte Tobisch Gummibärchen kaut und das Walzertanzen nie erlernt haben will… Und wie beurteilt sie selbstironisch das, was sie besonders gut kann? „Wenn ich als Schauspielerin solche Erfolge gefeiert hätte wie als Schinkenfleckerl-Königin, wäre aus mir eine zweite Paula Wessely geworden…“

Renate Wagner

 

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