Musiktheater in London:
„CHARLIE AND THE CHOCOLATE FACTORY” – Theatre Royal Drury Lane
12.2. 2014 nachm.
Ein neues Musical von Marc Shaiman, das im Sommer des Vorjahres Premiere hatte und infolge seiner Märchenhandlung v. a. Kinder sehr ansprechen dürfte. Märchen haben es aber an sich, dass sie oft düster und gespenstisch, ja sogar grausam sind, und wenn die Geschichte von Roald Dahl stammt, dann ist rund um den seine Abenteuer erlebenden kleinen Charlie viel Mystisches garantiert. Die Aufführung bestach allerdings nicht wegen der künstlerischen Qualität des Werkes, in dessen Musik gefühlvoller, fast möchte man sagen altmodischer, parfümierter Sound mit – zuletzt überwiegenden – rockigen Rhythmen wechselte, sondern dank der tollen, alle technischen Tricks auskostenden Inszenierung von Oscar-Preisträger Sam Mendes (Ausstattung: Mark Thompson, Choreografie: Peter Darling) sowie eines tollen Ensembles. Aus diesem seien der fabelhafte, alle Seiten einer großen und souveränen Schauspielerkarriere beherrschende Douglas Hodge als Willy Wonka, Zauberer-Chef der „Chocolate Factory“ (mit u. a. Erfindungs- und Fantasie-Räumen), sowie der hinreißende Oliver Finnegan in der stücktragenden Rolle des Charlie Bucket namentlich genannt. Es dirigierte Nigel Lilley.
„STEPHEN WARD” – Aldwych Theatre 12.2. 2014 abds.
1963 gab es in England einen politischen Skandal, als der Kriegsminister im Kabinett Harold Macmillan, John Profumo, eine Affäre mit der jungen Christine Keeler hatte, und im Zuge von Vorwürfen der indirekten Geheimnisweitergabe an die Russen demissionieren musste. Drahtzieher hinter den Kulissen war der im Gesellschaftsleben omnipräsente Arzt Stephen Ward, welchen Andrew Lloyd Webber 50 Jahre nach den Vorkommnissen zur Hauptfigur seines neuesten, Ende des Vorjahres uraufgeführten Werkes machte. Der Komponist wollte damit die Pfade früherer großer Erfolge, wie „Phantom of the Opera“, verlassen und neue Wege gehen, doch ist ihm leider kein großer Wurf geglückt. Er setzt hier mehr Schlagzeug ein, manches ist auch schmissig – wie z. B. eine Sex-Party im 1. Akt –, es gibt sogar einige komische Momente, allerdings klingt vieles – wie etwa die Songs der Hauptfigur – nur gleichförmig. Im 2. Akt gibt es allerdings – neben gekonnt Belanglosem – 2 Songs, welche die „Pranke“ Lloyd Webbers aus einer großen Zeit demonstrieren, zumal er sich da seines „Phantom“-Stiles besinnt. Zunächst eine gefühlvolle Nummer der Gattin Profumos, welche im Stück allerdings nur eine kleine Nebenfigur ist. Wahrscheinlich hat sie der Komponist für Joanna Riding geschrieben, die in gar nicht so lange zurückliegender Zeit ein echter Stern am Londoner Musicalhimmel war. Und das letzte Solo der Titelfigur (vor deren Selbstmord) war ebenfalls Lloyd Webber vom Allerbesten. Für ein ganzes Stück aber doch zu wenig!
Alexander Hanson, auch einer jener Schauspieler, welche in modernen und klassischen Stücken ebenso überzeugen wie im Musical, verkörperte einen fabelhaften Stephen Ward. Ian Conningham war, wie viele andere, in mehreren Rollen eingesetzt, gefiel aber v. a. als Yevgeny Ivanov, und von den beiden, in der Society-Szene tätigen Callgirls wirkte Charlotte Blackledge als Mandy Rice-Davies stärker als Charlotte Spencer in der Rolle der Christine Keeler. Die lebendige Inszenierung stammt von Richard Eyre (Ausstattung: Bob Howell. Choreografie: Stephen Mear). Es dirigierte Graham Hurman.
Abseits der beiden Musicals konnte ich auf Bühnen verschiedener Größe ein kleines Shakespeare-Festival erleben. Zunächst im Noel Coward Theatre (879 Sitzplätze) in einer gelungenen Inszenierung von Michael Grandage „Henry V“ mit dem charismatischen Jude Law, dann im Donmar Watehouse (240 Sitzplätze) einen von der Theaterdirektorin Josie Rourke nach Maßgabe der sparsamen Bühnenmöglichkeiten zeitgemäß, wenngleich der englischen Tradition entsprechend inszenierten „Coriolanus“ mit dem jungen Tom Hiddleston, einem möglicherweise neuen Stern am britischen Shakespeare-Himmel, und zuletzt im Olivier Theatre des Royal National Theatre (1.160 Sitzplätze) „King Lear“ in einer modernen, ungemein starken und fast filmisch aufgelösten Inszenierung von Sam Mendes mit dem überwältigenden Simon Russell Beale.
Nicht vergessen sei auf dem Theatersektor auch eine im Garrick Theatre vom ersten bis zum letzten Moment bezwingende und spannende Aufführung von „Twelve Angry Men“ (nach dem Film „Die 12 Geschworenen“) mit u. a. Martin Shaw und Robert Vaughn, nach welcher sich sofort nach Fallen des Vorhangs das Publikum spontan zu einer “Standing Ovation“ erhob; so etwas hatte ich in London bisher noch nie zuvor erlebt.
Gerhard Ottinger