LONDON – WIEN / Covent Garden – Royal Ballet & Opera / Village Cinema Wien Mitte;
CINDERELLA
Musik von Sergey Prokofiev
Choreographie: Frederick Ashton
Live-Übertagung: 10. Dezember 2024
Strahlender Märchenzauber
Man kennt das junge Mädchen, das von zwei Stiefschwestern gequält wird und ihnen dann doch den Prinzen wegschnappt (Achtung: die Pantoffel-Geschichte!) unter vielen Namen „Aschenbrödel“ bei den Brüdern Grimm, „Aschenputtel“ bei Ludwig Pechstein, „La Cenerentola“ bei Rossini, „Cendrillon“ bei Massenet, und wie oft diese anmutige Märchenfigur, die den „Prinzessinnen“-Traum erfüllt, gemalt und gezeichnet, verfilmt und ver-musicalisiert oder sonst paraphrasiert wurde, ist gar nicht zu zählen.
Bei Frederick Ashton (1904-1988) heißt sie zur Musik von Sergei Prokofjev „Cinderella“ und ist eines der berühmtesten Handlungsballette der Ballett-Geschichte geworden. Und da Ashton auch der Begründer des Royal Ballet an der Covent Garden Opera in London war, hütet man diese Ikone dort wie einen Schatz, nicht zuletzt, indem man sie über Jahrzehnte hinweg immer wieder belebt.
Die letzte Revitalisierung ging im Vorjahr in Szene und kam nun als Weihnachtsgeschenk für Ballettfreunde aus London auf die Kinoleinwände in aller Welt. Eine Freude für alle, die gerne in Romantik schwelgen – und ein Gustostück für Kenner, die eine so brillante, kluge, ausgefeilte Choreographie zu schätzen wissen. Hier wirkt alles zusammen: eine opulente, aber nie geschmacklose Ausstattung (Tom Pye und Alexandra Byrne), russische Klassik (Petipa lässt immer wieder grüßen) und Humor, vor allem aber ausgefeilte Figuren, die sich in Kongruenz mit der Musik bewegen.
Gerade die Aschenbrödel-Geschichte ist in zahllosen Varianten erzählt worden. Diese geht so: Es beginnt in der Küche mit dem armen Mädchen am Kamin, da ist das Gezänk der Schwestern – und schon kommt die Patentante-Fee (The Fairy Godmother), bringt die Vier Jahreszeiten (vier Soli für bunt gekleidete Tänzerinnen) und gleich ein ganzes Ensemble in Tutus mit. Am Ende hat Cinderella ihr schlichtes Kleidchen ausgezogen und ist ganz in Weiß in der von der Fee spendierten Kutsche aus einem großen Kürbis weggefahren…
Der zweite Akt spielt vor dem Palast des Prinzen, wogende Gesellschaftsszenen, durch die ein Joker hüpft, viel Humor, viel Eleganz, bis Cinderella herbeifahren kommt. Wenn sie aus ihrer Kutsche steigt, von einem weißen Schleier geradezu umweht, ist das wahrlich ein Bild von magischer Schönheit. Viel Liebe, viel brillanter Solotanz, wie es sonst in den großen russischen Balletten üblich ist. Ja, und um Mitternacht ist der Zauber vorbei, Cinderella (ein nicht kenntliches Double in ihrer schlichten Originalkleidung) läuft davon…
Aber keine Angst, im dritten Akt kommt schon der Prinz, der von ihr verlorene Pantoffel (eigentlich der Spitzenschuh…) passt Cinderella, alle tanzen und freuen sich, und dann schreitet das liebende Paar die Treppe der ewigen Liebe hinauf… Was kann man mehr verlangen von einem Märchen, das keine Sekunde etwas anderes sein will.
Allerdings würde man so viel Harmonie und Schönheit schlechtweg nicht aushalten, hätte Ashton in Gestalt der „bösen Schwestern“ nicht Salz in die milde Suppe gewürzt, und da ist nun der brillanteste Humor angesagt, den man sich nur denken kann. Übrigens hat der Choreograph bei der Premiere des Werks (1948!!! Damals was von „Trans“ noch nicht die Rede!) die Schwestern mit Männern besetzt (eine der Rollen tanzte er selbst), und deren „Ungeschlachtheit“ im Vergleich zur zarten Heldin macht den Kontrast noch größer. Wie die beiden Herren in Frauen-Fetzen ihre Positionskämpfe austragen, ist so brüllend komisch, dass eigentlich sie die wahren Helden des Abends sind, auch weil sie im Gegensatz zu den vorgegebenen „klassischen“ Passagen des Abends so ungemein originell daher kommen…
Für die „Klassik“ waren die Japanerin Fumi Kaneko, an deren „Fußarbeit“ man sich gar nicht sattsehen konnte, als Cinderella und der Waliser William Bracewell als Inbegriff eines romantischen Prinzen zuständig.
Alles griff an diesem von dem Chinesen Jonathan Lo geleiteten Abend wunderbar in einander. Märchenglück mit Spitzenschuh auf die Spitze getrieben.
Renate Wagner
P.S. Dass es nicht möglich ist, die anderen Protagonisten zu nennen, liegt daran, dass die Website von Covent Garden nur die Hauptakteure und sonst niemanden namentlich anführt.
P.P.S. Der nächste Royal Ballet-Abend mit „Nußlnacker“ steht schon nächsten Dienstag, 17.12., an.