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Fotos: ROH Covent Garden
LONDON – WIEN / London – Royal Ballet & Opera /
Village Cinema Wien Mitte;
SCHWANENSEE von P.P.Tschaikowski
25.März 2025
Das Ballett der Ballette
Tschaikowskis Meisterwerk „Schwanensee“ ist einfach unwiderstehlich. Zwei „bunte“ Akte am Königshof, zwei „weiße“ Akte am Schwanensee, ein Märchen, das alles hat – den Prinzen und den Bösewicht, die zarte „weiße“ Heldin und die dämonische „schwarze“ Verführerin, noch eine prächtige folkloristische Einlage mit Tänzen aus Spanien, Ungarn, Neapel und Polen (vom Komponisten auch andeutungsweise mit nationalen Klängen unterlegt) – ja, und schließlich das Wunder der Schwanensee-Szenen, die dem weiblichen Corps jedes Hause das Ultimative an Können, Präzision und Logistik abfordern.
„Schwanensee“ ist also die Nagelprobe für jede Ballett-Kompagnie. und das Royal Opera House Covent ist nicht zu Unrecht berühmt für seine Ballett-Truppe. Im Rahmen der Cineplexx-Übertragungen stand nun „Schwanensee“ an, ausnahmsweise nicht live, sondern als Aufzeichnung aus dem Vorjahr, garniert mit sehr informativen Gesprächen mit den „Machern“ und Künstlern des Abends (und von dort nachdrücklicher Erinnerung an Liam Scarlett, der die letzte Produktion revitalisiert hat und im Vorjahr erst 35jährig gestorben ist).
Wien kennt den „Schwanensee“ in- und auswendig. Rudolf Nurejew hat die klassische Petipa-Choreographie auf sich zugeschnitten, selbst genial getanzt, sternstundenartig mit der legendären Margot Fonteyn als Partnerin. Dass sich an diese Vorbilder niemand heranwagen kann, weiß man, Vergleiche wären unfair.
Londons Aufführung basiert auch auf Petipa, man hat allerdings eine Menge spürbar verändert, vor allem dramaturgisch. So ist dem Freund des Prinzen ziemlich großer Raum eingeräumt worden, vor allem aber darf der böse Zauberer Rotbart in doppelter Funktion erscheinen. Er herrscht nicht nur über den Schwanensee, er ist auch als düsterer, aber offensichtlich mächtiger Finsterling am Hof zuhause, an der Seite der verwitweten Königin, und sein Ziel ist es offenbar, den Prinzen zu vernichten… Wobei, wenn man den Inhalt im Programmheft liest, noch immer nicht ganz versteht, wen der Prinz (der hier nämlich entgegen dem Original gerettet wird), am Ende in den Armen hält… Aber von solchen Details muss man sich nicht verwirren lassen.
Die Londoner Aufführung ist in satten, fast düsteren Farben gehalten, in den Szenen bei Hof fällt der Freund des Prinzen (der schlanke, eindrucksvolle Koreaner Joonhyuk Jun) auf, die königliche Mutter (Christina Arestis) und Rotbart, hier ganz in Schwarz, als bedrohlicher Intrigant (Thomas Whitehead) – später, am Schwanensee, erlebt man ihn ganz im klassischen Gewand mit weit ausgebreiteten Flügeln, ein seltsames Zauberwesen. Im dritten Akt ist das brillante, hoch komplizierte, witzige Neapolitanische Tanzduo zu erwähnen, das Frederic Ashton, einer von Londons legendären Choreographen, beigesteuert hat.
Matthew Ball, der viel jünger wirkt als seine 31 Jahre, ist ein schmaler, fast bubenhafter Prinz, Romantik pur, vielleicht kein sensationeller Springer, aber das ihm auferlegte Pirouetten-Furioso bewältigt er großartig. So wie seine Partnerin, Yasmine Naghdi, väterlicherseits iranischer Herkunft und optisch orientalischen Flair vermittelnd. Als weißer Schwan Odette ist sie ganz filigraner Zauber, für die schillernde Odile mag ihr die brillant-dämonische Ausstrahlung fehlen.
Alles in allem ein „Schwanensee“, der die Londoner begeistert hat. Die Wiener sahen ihn gern, auch wenn manche für dieses Werk doch noch ihren Erinnerungen nachhängen. Aber ist das nicht meistens so?
Renate Wagner