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LONDON / WIEN ROH im Kino: PIQUE DAME

23.01.2019 | KRITIKEN, Oper

LONDON / WIEN
ROH Covent Garden im Kino / UCI Kinowelt Millennium City
PIQUE DAME von P.I. Tschaikowsky
(THE QUEEN OF SPADES)
22.
Jänner 2019

Wir haben keine Ahnung, wie sich der Norweger Stefan Herheim bewähren wird, wenn er im Theater an der Wien seine erste Intendanz antritt. Aber eines ist jedenfalls sicher: Mit ihm haben wir uns einen bemerkenswerten Regisseur geholt. Den wir – mit einer einzigen Ausnahme! – „live“ noch gar nicht kennen: Die Volksopern-„Butterfly“ stammte aus dem Jahre 2004, also aus seinen Anfängen. Schon damals aber sah man (die Geschichte spielte bekanntlich im Museum, was aber ziemlich einleuchtend war), dass Herheim gerne einen biographischen Ansatz für seine Inszenierungen wählt, wenn es Sinn macht – sein Bayreuther „Parsifal“ war ja solcherart (wenn man sich in dem Werk gut auskannte) hoch interessant.

In London geht er nun mit „Pique Dame“ (eine Wiederholung seiner Amsterdamer Inszenierung von 2016) ähnlich um – und erreicht ein faszinierendes Ergebnis. Die Frage, wie sehr man sich in dem Werk in dieser Fassung „auskennen“ muss, um sich auszukennen, stellt sich im Grunde nicht, weil Herheim mit einem Schlag allen Realismus beiseite gelassen hat. Wir befinden uns im Arbeitszimmer von P.I.Tschaikowsky, ein verzweifelter Mann, der zu Beginn des Werks an einem anderen Mann herumfummelt (die Homosexualität ist ebenso ein Thema wie der selbst gewählte Tod, vermutlich mit Hilfe eines Glases von cholera-verseuchtem Wasser) – ein Künstler, den nur die Musik retten kann.

Die Geschichte der „Pique Dame“ quillt ihm aus der Feder, stürzt über ihm herein, der (prächtig stilisierte) Chor als stete Bedrohung, die Menschenschicksale als Schemen, die sich genau so mit ihm auseinander setzen wie mit ihrem jeweiligen Gegenüber im Stück – es ist eigentlich eine wunderbare, surreale Gespenstergeschichte in einer Ausstattung des Augsburger Künstlers Philipp Fürhofer, dessen Bühnenbild sich erschreckend bewegen kann (und nur leider – aber das geht an die Lichtregie – zu oft zu dunkel ist).

Tschaikowsky, der auch kurz Fürst Yeletsky ist, dirigiert immer wieder seine Musik, bekritzelt Notenblätter, ist in Gestalt von Vladimir Stoyanov (mit ausgezeichneter Tschaikowsky-Maske) das bemerkenswerteste Schicksal des Abends: Wie er auf das reagiert, was durch seine Phantasie über ihn hereinbricht, zieht immer wieder den Blick des Zuschauers auf ihn – ein einziger Einwand gegen die Inszenierung könnte in der Frage liegen, wie viel „die überzeugenden Leiden des Herrn Tschaikowsky“ dann noch mit der „Pique Dame“ zu tun haben, die gewissermaßen als Stückwerk herüber kommt. Aber die realistische Umsetzung ist oft zu schief gegangen (man denke nur an die schreckliche Staatsoperninszenierung der Vera Nemirova, wo die Geschichte dann im sozialistischen Ambiente gelandet ist) – Herheim hingegeben gibt das, was die Musik Tschaikowskys in so reichem Maße vermittelt, nämlich Magie…

Diese waltet den ganzen Abend lang, besonders aber wenn Dame Felicity Palmer erscheint. Wir haben mir ihr keine gemeinsame Geschichte, aber dass sie für London eine lebende Legende bedeutet, weiß man, und wenn die schmale alte, weißhaarige Frau (für 75 hat sie noch erstaunliche Stimmreste) auf die Bühne schwebt, ist sie ein seltsames Mittelding aus Fee und Hexe und singt ihre Gretry-Arie mit einer Verhaltenheit und dabei Intensität, dass man atemlos zuhört (nur möglich, weil Dirigent Pappano unter ihr die Musik als Flüsterteppich ausbreitet…)

Hermann ist im eisigen Londoner Wetter untergegangen, Antonenko wurde schon in der vorigen Vorstellung und auch für die Kinoübertragung von Sergey Polyakov ersetzt. Er ist schon an die zehn Jahre im Geschäft, wir kennen ihn noch nicht, aber er wird kommen. Interessant, dass er eine eher „unrussische“ Stimme hat, die Härte und Durchschlagskraft der Kollegen fehlen, dafür gibt es einen schönen, geschmeidigen Tenor, dem nur manchmal die Kraft für den Hermann (der doch eine ziemlich hochdramatische Partie ist) fehlen, jedenfalls in einem so großen Haus wie London. Darstellerisch machte er seine Sache als „Verrückter“, wie er Tschaikowskys Kopf entspringt, sehr gut, und es ist halt für diese Rollen ein ungeheurer Vorteil, Russe zu sein…

Eva-Maria Westbroek ist es nicht, auch keine wirklich junge Lisa mehr, aber eine Sängerin, die – man hat sie ja jetzt oft im Kino oder auf DVDs gesehen – immer eine überzeugend starke Identifikation mit ihrer Rolle erreicht. Hier soll sie ja auch das „Prinzip Frau“ sein, das Tschaikowsky so erschreckt und bedroht (er hat bekanntlich geheiratet, um seiner Homosexualität zu entfliehen, und das ganze Experiment dauerte sechs Wochen, bis man sich wieder trennte), sie ist auch der „Todesengel“, und sie ist eine starke Liebende, der nur bei ihrer letzten Szene (plus Tod nicht in der Wolga, sondern durch das Cholerawasser) die Überforderung dann scharf in die Kehle schnitt.

Bei den Nebenrollen waren John Lundgren ein kraftvoller Tomsky und Anna Goryachova eine wohl klingende Polina – da hat sich Herheim übrigens für die „Menuett“-Szene etwas ganz Hübsches ausgedacht, zwei Vogelfräulein im Stile von Papagena, als Verneigung vor Tschaikowskys übergroßer Liebe zu Mozart. Wenn die beiden Vögelchen dann ausflippen und ein bisschen so tun, als würden sie in Sex machen, dann geht die politische Korrektheit von Covent Garden so weit, dass auf dem Programmzettel gebeten wird zu beachten, „dass ‚Pique Dame’ einige kurze Szenen mit sexuellen Handlungen enthält“. Es scheint, #metoo hat uns in den Kindergarten katapultiert…

Am Pult stand Sir Antonio Pappano, der sich für seine Verdienste um Covent Garden den „Sir“-Titel wahrlich verdient hat. In der Pause hat er am Klavier lange (wie einst Marcel Prawy) Motive vorgespielt und erklärt, und kam zu dem Schluß, diese Musik sei ein Glücksfall für einen Dirigenten. So liebevoll, so reich schattiert, im großen Bogen einheitlich bei gleichzeitigem Auskosten ihrer Vielfalt, hat er sie auch dirigiert, schlechtweg prachtvoll.

Auch Covent Garden hat, wie die Met (nicht immer, aber meist) eine sehr angenehme Moderatorin für den Beginn und die Pause. Glücklicherweise ist man davon abgekommen, die albernen Twitter- und sonstigen Meldungen einzublenden. „We are in Birmingham and enjoy it very much“ – das waren ja nicht unbedingt bereichernde Kommentare. Wie gut, dass auch Opernhäuser lernen… Wenn wir nicht alle ununterbrochen lernten, wo kämen wir schließlich hin? Ja, und ab 2022 lernen wir Stefan Herheim dann als Intendanten kennen.

Renate Wagner

 

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