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LONDON / WIEN / ROH im Kino: DON GIOVANNI

09.10.2019 | KRITIKEN, Oper

LONDON / WIEN / Royal Opera House Covent Garden:
Millennium Kinowelt am Handelskai / ROH im Kino:
DON GIOVANNI von W.A.Mozart
8.
Oktober 2019

Bedenkt man, wie voll die Übertragungen aus der New Yorker Metropolitan Opera sind, dann haben Wiens Opernfreunde den Auftakt der Übertragungen aus der Royal Opera in London weitgehend ausgelassen. Das war schade, kann aber erklärt werden. Denn außer Erwin Schrott kennt man die übrige Besetzung des Abends hierzulande bestenfalls vage, aber in den meisten Fällen gar nicht. Und Schrott hat live erst vor kurzer Zeit mit einem semi-szenischen Don Giovanni im Theater an der Wien Triumphe gefeiert und damit seine Fans offenbar ausreichend beglückt.

Das Fähnlein der Aufrechten, die sich im früheren UCI-Kino am Handelskai, das nun Millennium Kinowelt heißt, eingefunden hat, bekam allerdings einen interessanten, spannenden Abend geboten, den Kasper Holten inszeniert hat, als er noch Direktor des Hauses war. Auffallend ist, wie bis ins Detail geprobt diese Wiederaufnahme war – das ist nicht nur nötig, weil sie für die Sänger darstellerisch-technisch kompliziert ist, sondern weil man auch aus der Interaktion der Darsteller wirklich viel Neues zum Thema „Don Giovanni“ erfahren konnte.

Die Ausstattung von Es Devlin hat viel Bewunderung geerntet – die drehbare, einstöckige, an sich leere, nur aus Räumen, Treppen, Türen, Fenstern bestehende Hausdekoration, die mit Projektionen und Videos so viele verschiedene Stimmungen vermitteln kann, mag zwar als sich geschlossene Giovanni-Welt einsichtig sein (wenn auch den Darstellern ein turbulentes Auf und Ab und „Wo bin ich?“ auferlegt wird). Auch ist interessant, dass bei einer so „gestaffelten“ Dekoration Don Giovanni immer wieder auftauchen kann, auch als Beobachter von Szenen, an denen er eigentlich nicht beteiligt ist. Aber die „trockene“ Szene (belebt von den Kostüme von Anja Vang Kragh, die vor allem für die Attraktivität der Damen sorgte) erlaubt kein Fest bei Giovanni, gibt ihm kein nobles letztes Mahl (was soll Leporello servieren , wenn Giovanni gerade einen Pappteller auf der Treppe abstellt?), kurz, es fehlt dann doch an Flair. Und, um gleich zu erwähnen, wo der Regisseur das Werk total gegen den Strich bürstet – es gibt keine Höllenfahrt. Don Giovanni bleibt vor einer leeren Wand stehen, während das Schlußsextett quasi von hinten kommt, ohne dass man die Sänger sieht. Am Ende blickt der Held erstaunt ins Publikum – er hat überlebt. Warum?

Während Kasper Holten alle Männer außer Giovanni brav am Rande belässt, wertet er die Damen ungemein auf. Er macht alle drei zu Täterinnen in diesem Spiel. Sie wollen Don Giovanni, und sie kriegen ihn auch. Donna Anna wehrt sich zu Beginn rein gar nicht, sondern küsst leidenschaftlich – und nach ihrer ersten Arie, wo Don Ottavio ihr versichert, alles für ihren Frieden tun zu wollen, benützt sie die Gelegenheit, dass er mit Singen beschäftig ist, mit Don Giovanni Hand in Hand davon zu huschen. Ähnlich hält es Donna Elvira – wenn Leporello ihr aufzählt, wie viele Damen ihr Erwählter schon beglückt hat, lässt sie das völlig kalt und küsst den heranschleichenden Don Giovanni leidenschaftlich. Und Zerlina? Die ist ein besonderes Rübensüßchen. Auch sie küsst den „Verführer“ mit großer Begeisterung – aber dann fällt ihr ein, dass sie irgendwie ihre Ehe mit Masetto retten muss. Also reißt sie sich zum blanken Erstaunen von Don Giovanni die Bluse auf und schreit gewissermaßen „Vergewaltigung“… Man könnte sich vorstellen, dass es diese Szene bei der Premiere von 2014 vielleicht noch nicht so ausgesehen hat, denn da gab es ja noch kein „#metoo“, das hier ganz offen angepeilt ist…

Ist Don Giovanni hier der unschuldig Verführte? Sicher nicht, schon gar nicht, wenn Erwin Schrott ihn singt und spielt: in einem lockeren, zeitlosen Look im blauen Anzug mit langer Jacke, in einer Attitüde gänzlicher Unbekümmertheit. Immer wieder wandelt er die Rezitative in plauderndes Parlando um, setzt seine Pointen, ist souverän in dem Spiel der Verführung, ohne dass man je das Gefühl bekäme, dass er selbst innerlich besonders beteiligt ist. Ein Routinier des Liebesspiels, dessen Stimme heute ideal in Form ist (er wird im Dezember 47), der Kraft nicht demonstrieren muss, weil er sie von selbst hat, und sich jede stimmliche Nuance mühelos leisten kann. Heute ist er sicher einer der weltbesten Vertreter dieser Rolle.

Die Schwedin Malin Byström gab die Donna Anna mit der Gewalt einer Brünnhilde, die erste Arie hat man selten mit solch dramatischer Attacke vernommen, bei der zweiten nahm sie sich ein wenig zurück. Darstellerisch zeigte sie, wie ihre Kolleginnen, ein Quentchen Ironie – als wollten die Damen fragen, warum man sie denn immer für Opfer hält?

Die Griechin Myrtò Papatanasiu, die wir schon aus der Staatsoper kennen (bei uns sang sie allerdings u.a. die Donna Anna), machte – mit einer Ähnlichkeit zur Callas, als diese am schönsten war – als Donna Elvira gute und gar nicht lächerliche Figur, bloß die Höhenattacken gerieten ihr immer wieder zu schrill.

Die junge Britin Louise Alder hat eine glockenhelle Stimme für die Zerlina, und wenn sie ihren Masetto umgarnte, war dieser einfach chancenlos: Kurz, ein Damentrio, das gewissermaßen den Spieß umgedreht hat. Keine von ihnen ist mehr ein Opfer.

Bei den übrigen Herren beeindruckte Daniel Behle – egal, wie steif er als Don Ottavio herumstand, so technisch perfekt, mit vollem, warmem Tenor, hat man diese beiden Arien selten gehört. Auch bei dem Italiener Roberto Tagliavini, der den Leporello sang (eigentlich kein Dienertyp), kann man die Qualität der Stimme nur bewundern. Sie geht bis in Basses Tiefen und ist warm und voll und besonders schön timbriert. Auch von Leon Kosavic (Masetto) und Petros Magoulas (der als Komtur am Ende wie ein weißes Gespenst herumwanken muss) ist nur Gutes zu sagen.

Von Hartmut Haenchen am Dirigentenpult war allerdings kein lockerer, spritziger Mozart zu erwarten, da ging es oft klanglich eher dick und bombastisch zu. Aber vielleicht lag das richtig an einem Abend, der ungewöhnlich viel „Power“ ausstrahlte.

Renate Wagner

 

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