London/Dresden / Ufa-Kristallpalast: „DON GIOVANNI“ – ALS GROSSES SEELENDRAMA – 12.2.2014
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„Ein Lieblingskino ist ein Ort, an dem man sich wohlfühlt und den man immer wieder gerne aufsucht“ – als Opernliebhaber vor allem zu Live-Übertragungen aus dem Royal Opera House London. Der Ufa-Kristallpalast in Dresden wurde kürzlich mit großem Abstand von Deutschlands größter Film-Community zum beliebtesten Kino der Stadt gewählt.
Während in London sehr starker Wind herrschte, konnte man bei fast frühlingshaftem Wetter in Dresden in den Ufa-Kristallpalast schlendern, um „live“ die Neuproduktion von W. A. Mozarts, immer wieder faszinierender Oper „Don Giovanni“ ohne großen Reiseaufwand mitzuerleben.
Bild- und Tonqualität der Live-Übertragung waren trotz Ankündigung, dass die Live-Übertragung wegen der Londoner Witterungsverhältnisse evtl. gestört werden könnte (was glücklicherweise nicht eintrat, lediglich die deutschen Untertitel fehlten) so gut, dass man sich bald mitten im Opernhaus wähnte und an sich halten musste, um nicht bei den grandiosen Leistungen der Solisten in den enthusiastischen Szenen-Applaus der Opernbesucher mit einzustimmen.
Obwohl die Rolle des Commendatore „nur“ eine gewichtige Nebenpartie ist, hinterließ sie doch dank Alexander Tsymbalyuk mit seiner voluminösen, würdevollen, wie aus dem Jenseits mahnenden Stimme, makellos in allen Höhen und Tiefen und mit idealem Timbre – trotz Glanzleistungen in den eigentlichen Hauptpartien – den allerstärksten Eindruck. Seine Interpretation ging tief unter die Haut.
Sein Gegenspieler Don Giovanni wurde von Mariusz Kwiecien, gegenwärtig einem der führenden Don Giovanni-Interpreten, als gut aussehender, jugendlich unbekümmerter Frauenliebling verkörpert, der laut Regie augenfällig vor allem unter Gewissensqualen wegen des getöteten Commendatore leidet. Da breitet sich immer wieder rotes Scheinwerferlicht wie das Blut des Vaters der Donna Annas aus und überschwemmt die Bühne. Hier ist Don Giovanni nicht der draufgängerische, gewissenlose Frauenverführer wie üblich, der sich kraft seiner favorisierten gesellschaftlichen Position alles erlauben und leisten kann – auch die Frauen -, sondern eher zurückhaltend, ein schöner Mann, dem die Frauen im wahrsten Sinne des Wortes „nachlaufen“ und sich gleich hingeben wollen, weshalb er dann wenig interessiert reagiert. Man hat den Eindruck, dass er sich eher als „Opfer“ fühlt und sich damit begnügt, Chancen bei den Frauen zu haben, um seine Bluttat vorübergehend zu vergessen. Am Ende wird er wahnsinnig (statt zur Hölle zu fahren) und erholt sich bald wieder, um den begeisterten Applaus des Publikums für seine mit viel Mimik und Gestik und vor allem großer Stimme und sehr gutem, ausdrucksvollem Gesang gestalteten Rolle entgegen zu nehmen, denn diese gilt als eine der schwersten im Opernfach, ist doch der Titelheld ständig auf der Bühne präsent und hat ausgesprochen viel zu agieren und zu singen.
Malin Byström sang als Donna Anna, ebenfalls mit großer Stimme gesegnet, schöne ausgeglichene und vor allem perfekte Koloraturen. Mit sehr guten, lyrischen und sehr sauberen Koloraturen ließ auch Antonio Poli als Don Ottavo vor allem in den Arien aufhorchen. Sein gemessenes Verhalten gehört schließlich zur Rolle. Véronique Gens beeindruckte als Donna Elvira mit Schmelz und viel Leidenschaft in der Stimme, und Elizabeth Watts beeindruckte als Zerlina mit exakt und sehr sicher sitzender Stimme und gewissenhafter Ausführung aller Details. Sie war ein unbekümmertes Bauernmädchen voller Temperament und Witz. Als ihren frisch angetrauten Ehemann Massetto brachte Dawid Kimberg vor allem mimisch und darstellerisch einen einfältigen Bauerntölpel auf die Bühne, der dank seiner „Bauernschläue“ doch so manches „mitkriegt“ und reagiert. In der Lieblingsrolle des Publikums verkörperte Alex Esposito einen schon etwas älteren, aber dynamischen, dienstbereiten und nicht übertrieben beflissenen Leporello, der seine eigene Philosophie zu haben scheint. In dieser Inszenierung liebt Don Giovanni nur seinen (sonst abfällig behandelten) Diener Leporello, was mitunter direkt angedeutet wird. Deshalb lässt sich dieser wahrscheinlich auch so viel gefallen.
Es war ein Fest der großen und schönen Stimmen und des sehr gewissenhaften, ausgefeilten Gesanges, der keine Wünsche offen ließ, unterstützt und ergänzt vom Royal Opera Chorus (Chorleiter: Renato Balsadonna) und Orchestra of the Royal Opera House unter Nicola Luisotti. Bei ihrem angestrengten, auf höchste Qualität und Genauigkeit orientierten Gesang und auf „Fernwirkung“ im Opernhaus bedachten Mimik boten allerdings die Gesichter der Damen verständlicherweise nicht immer den schönsten Anblick (bei den Herren nimmt man das nicht so genau), weshalb man sich manchmal die Kamera nicht ganz so nahe gewünscht hätte (Leinwandadaption: Jonathan Haswell). Andernfalls konnte man sehen, dass es doch nicht so einfach ist, so großartige sängerische Leistungen zu vollbringen. Im Opernhaus hatten die Besucher da erfahrungsgemäß einen anderen Eindruck.
Bei Mozart enthält die als „Dramma giocoso“ (lustiges Drama) ursprünglich gedachte Oper bereits sehr ernste Züge. Er fühlte sich nach dem Tod seines Vaters schuldig wegen seines vom Vater oft gerügten „Lebenswandels“ und sah sich beinahe selbst in der Rolle des Don Giovanni. Kasper Holten konzentrierte sich bei seiner Inszenierung offenbar auf diesen Aspekt und baute die Oper als großangelegtes Psychodrama aus, bei dem weniger Don Giovanni die Frauen verführt, sie laufen ihm immer wieder nach, sobald er nur die geringsten Avancen macht. Selbst Donna Anna steigt die Treppe zu ihm hinauf, obwohl sie ihn als Mörder ihres geliebten Vaters erkannt hat, und beginnt sofort, sich mehr oder weniger andeutungsweise auszuziehen, offenbar, um den tatenlosen Liebesschwüren ihres Don Ottavio zu entfliehen.
Noch viel drastischer war Donna Elviras Zofe, die nur selten in einer „Don-Giovanni„-Inszenierung erscheint, und wenn, dann höchstens als „Staffage“. Hier war sie als stumme Rolle hinzugefügt (Josephine Arden) und ließ „selbstredend“ gleich alle Hüllen fallen, aber sie zeigte sich – sehr ästhetisch – nur Don Giovanni und dem Publikum (nur) ihre ausgesucht schöne Kehrseite. Donna Elvira, die eigentlich vehementeste „Freundin“ Don Giovannis, umgarnt ihn „nur“ gemäß Libretto von Lorenzo da Ponte.
Die Handlung spielt sich in einem aufwendig erstellten, je nach Situation und Regieabsicht drehbaren Bühnenaufbau, ein „Gebäude“ mit vielen Treppen, ab, halb wie im Bau befindlich, halb wie schon zerfallende großbürgerliche Wohnungen aus der 1. Hälfte des 20. Jhs., manchmal auch wie ein gesunkenes, auf dem Meeresgrund korrodiertes und bemoostes und wieder gehobenes Luxusschiff a la Titanic, „arrangiert“ durch multimediale Projektionen, ein raffiniertes Video Design von Luke Halls.
Es können auch einzelne kleine Räume gebildet werden, „Schubladen“, pardon Zimmer oder Aktionsräume bzw. Seelen-Umgebungen, in die auch schon mal alle Figuren eingeordnet werden. Zu Beginn erscheinen wie die Flammenschrift des Menetekel die ersten Namen der „Hauptheldinnen“ auf der Wand des multifunktionalen Bühnenaufbaus, dann fallen die anderen „1000“ wie Sternschnuppen vom Himmel dazu, dicht gedrängt.
Die Statue des Commendatore ist auf eine (Gips-)Büste, nein nur den Kopf mit Bodenplatte, reduziert, damit Don Giovanni das gute Stück am Boden zerschmettern und damit Annas Erinnerungen auslöschen kann, aber sie klaubt die Scherben wieder auf, hat sie doch schon vorher das Gipsmodell liebevoll im Arm getragen. Der Commendatore kommt nicht etwa – wie sonst – als Standbild zum Fest, das bei diesem Don Giovanni sehr bescheiden ausfällt (er ist offenbar pleite), sondern wartet, auf einer der Treppen sitzend, auf seinen großen Auftritt.
Leistungsfähige, moderne Bühnentechnik (die auch andernorts oft vorhanden ist) und entsprechende Theater-Effekte wurden hier (im Vergleich zu anderen Inszenierungen anderer Bühnen) endlich einmal wieder ausgiebig genutzt, um durch immer wieder neue Situationen und Sichtweisen für viel Abwechslung, Vielseitigkeit und Spannung auf der Bühne zu sorgen (Ausstattung: Es Devlin).
Die sehr aufwendig gestalteten Kostüme der Damen pendeln zwischen Mitte und Ende 19. Jh. und bilden einen immer wieder schönen Blickfang. Die Herren tragen „schlichtere Eleganz“ und Leporello einen typisch englischen Sportanzug (Kostüme: Anja Vang Kragh).
Es war wieder einmal große Oper mit einer interessante Sicht auf das Stück, das schon in seiner „Urfassung“ sehr viel „Zündstoff“ bietet.
Ingrid Gerk