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LONDON/ Royal Opera House: NABUCCO

28.04.2013 | KRITIKEN, Oper

London: “NABUCCO” – Royal Opera House, 23. u. 26. 4. 2013

 Wieder einmal eine Produktion (Koproduktion mit dem Teatro alla Scala), die am Papier wahrscheinlich besser aussah, als sie sich in der Praxis erwies. Dass sich, den Kostümen und Frisuren nach zu schließen, alles irgendwo in den 40-er Jahren des 20. Jahrhunderts abspielt, ist ja nicht wirklich eine Überraschung. Wenn es dadurch für uns verständlicher oder eindringlicher wird, ist nichts dagegen einzuwenden. Hier auf alle Fälle waren sowohl das Einheitsbühnenbild als auch die Einheitskostüme von Alison Chitty wenig hilfreich, sich in der Handlung (sofern unbekannt) wirklich zurecht zu finden. An sich bot die Szene optisch starke Bilder, auch die Video-Einspielungen (Luca Scarcella) auf der rückwärtigen Wand trugen dazu bei. Hervorzuheben ist die Beleuchtung (Alessandro Carletti), die besonders während der Ouvertüre sehr eindrucksvolle Stimmungen schuf. Aber im Verlauf des Abends wirkte dieser Einheitsraum eher eintönig, es war dadurch nie eindeutig, wo man sich wirklich befand. Der Zuseher wurde ein wenig im Regen stehen gelassen. Den wünschte man sich allerdings, wenn man den aufgewirbelten Staub im riesigen “Sandkasten” auf der Bühne sah: So gut wie der gesamte Bühnenboden wurde bis auf einen relativ schmalen Rand an allen Seiten von einem quadratischen Riesensandkasten eingenommen. Feinster Sand, wie am Strand (oder in der Wüste) bot jede Menge Staub, der sicherlich “genussvoll” von den Solisten und dem Chor eingeatmet wurde. Auf diesem unebenen Boden zu gehen – mit Schuhen natürlich – schien sichtlich schwierig und unangenehm. Hier mangelte es seitens der Verantwortlichen am gesunden Menschenverstand und am Respekt für die Künstler. Schlichtweg eine Zumutung für die Ausführenden!

In dieser Sandkiste befanden sich senkrecht stehende Blöcke, die sofort an das Holocaust-Mahnmal in Berlin erinnerten, aber eher den jüdischen Gräbern auf dem Ölberg nachempfunden sein dürften. Ein Foto im Programm lässt darauf schließen. Nach Tempel sah es eigentlich nicht aus, dieselben Blöcke blieben auch in den anderen Akten. Ein Teil wurde umgeworfen, als Jerusalem eingenommen wurde, natürlich wieder mit viel Staubproduktion! Später wurden die gefangenen oder getöteten Juden mit den Füßen durch den Sand geschleift ….! Die Regie von Daniele Abbado (Boris Stetka: associate director) konzentrierte sich mehr auf den Chor als auf die Solisten. Ein Name im Programm erwähnt “movement”, ich nehme an, Simona Bucci hat sich hier besonders auf die Bewegung der Massen konzentriert und dies auch recht eindrucksvoll bewerkstelligt. Verstärkt wurde der Eindruck durch die Videos im Hintergrund, die teilweise die Bewegungen auf der Bühne zu spiegeln schienen. Die Kostüme verrieten wenig Einfallsreichtum: Alltagskleidung der Kriegsjahre für den Chor. Ich konnte keinen Unterschied zwischen Hebräern und Babyloniern erkennen, man konnte sich bestenfalls an der Kippa orientieren, sofern Männer auf der Bühne waren oder Zaccaria und die Leviten mit Gebetsschal auftraten. Die Gewänder der Hauptpersonen waren etwas weniger heruntergekommen, also gute Anzüge mit Hemd und Krawatte für die Herren, glatte, nachthemdähnliche Kleider mit Mantel darüber für Abigaille und Fenena. Nabucco musste allein durch seine Persönlichkeit den “König” darstellen, das Kostüm half in keiner Weise. Die Krone war ein billig wirkender, schmaler Reif. Er trug auch keinerlei Waffe. Als er nach seinem Schwert verlangte, geschah natürlich nichts, Abdallo half ihm dafür, seinen Mantel anzuziehen! Alles nicht sehr hilfreich, die Handlung zu verstehen. Eine Armee oder Soldaten waren auch nicht erkennbar.

Musikalisch war dieser “Nabucco” allerdings ein Genuss. Der hervorragende Chor (Einstudierung Renato Balsadonna) warf sich mit Energie und Selbstverachtung in die (Sand-)Schlacht. Sehr eindrucksvoll stand er zu einem Menschenknäuel mitten auf der leeren Bühne zusammengedrängt und sang ein wunderbar ergreifendes “Va pensiero” mit einem geradezu atemberaubenden Pianissimo am Schluss. Nicola Luisotti leitete das Orchester mit Feinfühligkeit und Hingabe, perfekt im Einklang mit Solisten und Chor. Er trieb das Geschehen mit Spannung voran, dosierte die Lautstärke immer richtig und deckte die Sänger nie zu.

 Die Titelrolle gestaltete Plácido Domingo mit starker Persönlichkeit und einer enormen gestalterischen Kraft. Es war die dritte neue Partie seit September 2012! Auf Francesco Foscari (LA Opera und Palau des les Arts in Valencia) folgte im März Giorgio Germont an der Met und im Abstand von nur etwa einem Monat debütierte er nun als Nabucco. Allein das wird ihm so schnell niemand nachmachen. Mag zu Beginn der Serie die Textsicherheit angeblich noch nicht ganz gegeben gewesen sein – einige Kritiker zumindest bemängelten den laut hörbaren Souffleur – , diese letzten beiden Aufführungen zeigten ihn in jeder Beziehung in Hochform. Am 29. 4. wurde die Vorstellung vom 26. 4. in einige Kinos (auch in Wien) übertragen, was die Hoffnung auf eine DVD weckt. Bariton oder nicht, die Partie liegt ihm wunderbar in der Kehle! Nabucco hat natürlich großartige Möglichkeiten, als Darsteller und Sänger zu reüssieren und Domingo nützt sie alle. Sein Gespür für Verdi-Kantilenen, für das perfekte Timing, seine Textgestaltung, nicht zuletzt das wunderbar individuelle Timbre fesseln immer wieder. Trotz der Widrigkeiten der Produktion, die ihm keinerlei Requisiten gönnt und ihn auch vom Kostüm her wenig abhebt, IST er der König. Kleinste Gesten werden genützt, um seine Gedanken zu illustrieren: Als er zu Beginn seinen Zorn vor Zaccaria verbergen will, steckt er die linke Hand in die Hosentasche, um besonders “locker” zu wirken, während er seine Rachegedanken für sich formuliert. Ein minimaler, aber genialer Trick. Geradezu unheimlich ist seine plötzliche Verwandlung nach dem Blitzschlag: Irrer Blick, auch in Körperhaltung und Gestik drückt sich der verwirrte Zustand aus. Er fällt buchstäblich in sich zusammen. Erschütternd später das “Deh perdona”, das er flehentlich an Abigaille richtet. Auf allen Vieren kriecht er durch den Sand zu ihren Füßen. Kein Erbarmen! Beim letzten “perdona” bricht die Stimme fast – und lässt Abigailles Verhalten noch grausamer erscheinen. Nabuccos verzweifeltes Gebet an Jehova, “Dio di Giuda” kommt aus tiefstem Herzen. Echte Emotion ohne falsches Pathos läßt den Zuhörer den Atem anhalten. Auch der Schluss, als er die sterbende Abigaille liebevoll in den Arm nimmt, berührt zutiefst.

“Nabucco” ist ohne gute Abigaille nicht aufführbar. Hier wurde sie von Liudmyla Monastyrska mit starker Bühnenpräsenz dargestellt. Sie konnte die technisch äußerst anspruchsvollen und kraftraubenden Stellen mit Überzeugung bewältigen, ohne je schrill oder schneidend zu klingen. Ihre Stimme besitzt metallischen Glanz, jedoch auch ein schönes, tragfähiges Piano. Sehr berührend und mit großer Intensität gestaltete sie “Anch’io dischiuso un giorno”, einfühlsam begleitet von Luisotti. Hier wurde klar, dass diese Abigaille im innersten Kern eine zarte Seele hatte, die durch Eifersucht und Machthunger irregeleitet wurde. Ihre Konfrontationen mit Nabucco waren höchst energiegeladen, sie ließ keinen Zweifel daran, wer hier die Macht hatte. Gesichtsausdruck und Körperhaltung drückten Stolz und Entschlossenheit aus.

Nicht ganz auf diesem Niveau war die Darstellerin der Fenena, Marianna Pizzolato. Körperlich leider recht unbeweglich, blieb sie auch stimmlich wie darstellerisch zu blass, war nicht wirklich ein Gegenpol zur machthungrigen, rachsüchtigen Abigaille.

Als Ismaele gab der junge Italiener Andrea Carè der Figur Profil. Sein Tenor ist robust und durchschlagskräftig, feinere Töne waren nicht verlangt. Er war auch als Typ gut gewählt und spielte sehr glaubhaft.

Auf der Seite der Hebräer ließ Vitalij Kowaljow einen stimmlich eher lyrischen Zaccaria hören. Die Tiefe war zwar vorhanden, hätte aber etwas durchschlagskräftiger sein können. Er war leider eindeutig zu jung geschminkt (bzw. gar nicht!), was die Anrede als “Greis” etwas komisch wirken ließ, vor allem in direkter Konfrontation mit Nabucco/Domingo – auf der Kinoleinwand war das noch deutlicher sichtbar.

Seine Schwester Anna fand in Dušica Bijelić eine attraktive Rollenvertreterin, die auch mit sehr hübscher Stimme aufwarten konnte. Der Hohepriester des Baal wurde von Robert Lloyd würdevoll verkörpert. Ein nicht besonders schönstimmiger Abdallo war David Butt Philip.

Lautstarker Applaus und Bravi brandeten am Schluss auf, während der Oper gab es kaum Szenenapplaus, außer für Domingo und Monastyrska. Luisotti schien dies aber auch gar nicht zuzulassen und das Publikum im ROH ist ja ohnehin dafür bekannt, zwischendurch wenig zu klatschen, da sie es als Störung empfinden. Leider wurde unbarmherzig nach relativ kurzer Zeit beim Schlussapplaus das Licht gedimmt und der Vorhang heruntergelassen. Ich empfinde es auch als eine Unsitte, dass die Künstler an vielen Bühnen nur mehr EINEN Einzelvorhang bekommen und nachher immer alle gemeinsam auf der Bühne stehen. Es ist so gut wie unmöglich, wirklich – und mehrmals – beim Applaus zu differenzieren.

 Margit Rihl

 

 

 

 

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