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LONDON/ Royal Opera House: EUGEN ONEGIN

25.02.2013 | KRITIKEN, Oper

Pjotr Iljitsch Tschaikowsky: EUGEN ONEGIN. Royal Opera House Covent Garden London Aufführungsserie Februar 2013


Krassimira Stoyanova, Simon Keenlyside. Foto: Royal Opera House

Eugen Onegin, dieses grandiose Meisterwerk Tschaikowsky‘s über verpasste Chancen im Leben sorgte im Royal Opera House mit einer unübertrefflichen Besetzung für einen ganz großen Abend.

Die neue Inszenierung, die der Direktor der Royal Opera, Kasper Holten, zu verantworten hat, zeigt ein Einheitsbühnenbild, eine große Wand, in der mehrere große Flügeltüren zu sehen sind, die entweder als Zugang für Gäste in die herrschaftlichen Räume dienen, aber beim Öffnen auch schon mal einen Blick auf überdimensionale Getreideähren preisgeben und das Landleben verdeutlichen.

Die Ausstattung von Mia Stensgaard entspricht der Zeit des Stückes und auch die Kostüme von Katrina Lindsay sind von konventionellem Stil.

Holten lässt in seiner Inszenierung nicht nur Onegin und Tatjana als Sänger auftreten, in einigen Szenen setzt er auch zwei junge Balletttänzer in diesen Rollen ein, sodass man zeitgleich zwei Tatjanas und zwei Onegins sehen kann. Die getanzten Hauptfiguren leben visuell die unterdrückten Gefühle und Sehnsüchte aus, die sich die „singenden“ Figuren nicht zugestehen dürfen. Doch so richtig will dieses Konzept nicht überzeugen. Nur einmal gelingt es Holten dieses Mittel sinnvoll einzusetzen, als in der finalen Szene Tatjana darüber sinniert, wie schön es mit ihr und Onegin hätte werden können. Dazu erscheinen die tanzenden Onegin und Tatjana und fallen einander verliebt und glücklich in die Arme. Doch wenn man von dieser Tanzidee absieht, muß man auch konstatieren, dass Holten eine ausgefeilte Personenregie erschaffen hat, denn die Figuren stehen in ständiger Interaktion miteinander und die Beziehungen der einzelnen Charaktere zueinander werden treffend und nachvollziehbar dargestellt.

Bei der Besetzung hat Holten, der als Chef der Royal Opera natürlich auch für die Verpflichtung der Sänger verantwortlich ist, ein gutes Händchen bewiesen.

In der Titelrolle begeistert Simon Keenlyside, der Liebling des Londoner Publikums, der nicht nur rein optisch einen attraktiven Onegin wie aus dem Bilderbuch darstellt, sondern der die Wandlung vom dandyhaften, leichtlebigen und zynischen Onegin zum sich vollständig öffnenden, verzweifelten und frustrierten Mann auf faszinierende Weise darzustellen vermag. Stimmlich ist er genauso beeindruckend, auch dank seiner ausgezeichneten Gesangstechnik. Wenn er in seiner Arie Tatjana’s Brief und sie selbst zurückweist, macht er das auf fast entschuldigende Art und Weise. Dazu singt er in geschmeidigem Legato und der finale Ton im zarten Pianissimo zeigt, wie rücksichtsvoll dieser Onegin doch ist. In den letzten beiden Bildern demonstriert der britische Bariton aber auch über welche Kraft sein schöner, klangvoller Bariton verfügt.

Eine ebenbürtige Partnerin hat Keenlyside in Krassimira Stoyanova als Tatjana. Ihr leuchtender, klarer Sopran macht das junge Mädchen genauso glaubhaft wie später die kräftige stimmliche Dramatik die gereifte Tatjana. Mühelos und vor allem wunderbar klangschön singt sich Stoyanova durch die Briefszene. Das hat man schon lange von keiner Sängerin mehr so technisch sicher und gleichzeitig leidenschaftlich gehört.

Auch darstellerisch weiß sie nicht nur die erwachsen gewordene Tatjana überzeugend zu gestalten. Wenn Holten sie lässt und auf ihr Tanzdouble verzichtet, kann die Sängerin auch wirklich mädchenhaft agieren. Stoyanova spielt so gut wie noch nie, wahrscheinlich wird sie da vom so beeindruckend agierenden Sängerdarsteller Simon Keenlyside mitgerissen.

Keenlyside und Stoyanova verfügen auch über eine fantastische Chemie. Da knistert es schon beim ersten Zusammentreffen, auch wenn Onegin Tatjana zuerst natürlich nicht wirklich als begehrenswerte Frau wahrnimmt. Vom packenden und intensiv gestalteten letzten Bild gar nicht erst zu reden. Das wäre doch mal eine reizvolle Besetzung für die Wiener Produktion des Eugen Onegin. Denn wer Keenlyside und Stoyanova in der alten Figaro-Inszenierung vor ein paar Jahren an der Staatsoper als Grafenpaar gesehen hat, weiß von welcher Chemie die Rede ist.


Pavol Breslik. Foto: Royal Opera House

Wenn man dann auch noch einen guten Lenski auf der Bühne hat, ist die Sache geritzt. Und die Royal Opera hatte solch einen Lenski. Pavol Breslik ist als schwärmerischer Poet schon fast auf Augenhöhe mit den beiden Hauptrollensängern. Sein lyrischer Tenor bringt dieses slawische Timbre schon von Natur aus mit, ein Timbre das so passend für den Lenski ist und welches seine berühmte Arie gar so berührend macht. Dieser Lenski ist so sehr Poet, dass er die Liebeserklärung an Olga mit Notizen in der Hand glaubt machen zu müssen. Doch wenn er im vierten Bild Streit mit Onegin sucht, darf er auch anders sein und diesem sogar einen Stuhl nachwerfen. Zum Glück ist Keenlyside ein wendiger Mann und kann gekonnt ausweichen.

Die Olga singt Elena Maximova mit eher leichtem Mezzo. Sie passt in ihrem noch kindlichen Benehmen so gar nicht zu Lenski. Vielleicht versteht sie sich mit Onegin deshalb so gut und scherzt gar so beherzt mit diesem auf dem Fest. Hier kommt Lenski’s Eifersucht wirklich nicht ohne Grund. Diana Montague überzeugt als Larina auch noch nach langer Karriere mit einem gut geführten Sopran. Peter Rose ist ein „Lackl“ von einem Mann und sein Gremin kommt deshalb nicht nur stimmlich etwas grober daher als man sich das wünschen würde. Dass Gremin am Ende die Szene zwischen Onegin und Tatjana beobachten darf ist ein unnötiger Einfall des Regisseurs, aber in letzter Zeit nichts Neues. Im Wiener Werther darf Albert ja auch seine Charlotte und den Titelhelden in der Schlußszene observieren.

Zwei nachhaltig großartige Einfälle hat Holten in seiner Inszenierung noch. Zu den Klängen der Polonaise tanzen nacheinander Balletttänzerinnen auf die Bühne und umgarnen Eugen Onegin auf eindeutig erotische Weise und symbolisieren damit den in Sachen Frauen ausschweifenden Lebensstil, den Onegin in den Jahren nach dem Duell anhängt. Wohl um diesen tragischen Aspekt zu vergessen. Dabei beeindruckt Simon Keenlyside mit geschmeidigen, tänzerischen Bewegungen und im Zusammenspiel mit den Tänzerinnen mit einer optisch sehr ausdrucksstarken Choreographie. Fantastisch!

Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Tatsache, dass der erschossene Lenski für den Rest des Abends auf der Bühne liegen bleibt und somit Onegin in jeder Situation dieses unnütze Duell und den sinnlosen Tod seines Freundes für immer vergegenwärtigt. Auch für den Zuschauer ein bedrückendes Bild.

Als am Ende Tatjana sich vom flehenden Onegin losreißt, stürzt sie nicht davon, sondern sie schnappt sich ein Buch und fällt verzweifelt auf ihre Knie und macht das was sie immer getan hat. Sie versucht in ihrem Buch zu lesen und sich in ihre Geschichten zu vertiefen, was ihre Tränen allerdings verhindern. Hinter ihr der verzweifelte Onegin. Vor ihr der am Boden liegende Lenski. Somit sieht Onegin auf einem Blick die Tragödien seines Lebens. Den toten Freund und die verlorene Liebe zu Tatjana. Ein starkes Schlußbild.

Neben dem ausgezeichnet singenden Chor der Royal Opera bleibt noch das Dirigat des jungen Robin Ticciati zu erwähnen, der mit Gespür die herrliche Musik Tschaikowsky’s zu leiten weiß. Da schimmert es in den lyrischen Momenten tatsächlich zärtlich aus dem Orchestergraben während die flotten und dramatischen Stellen der Partitur auch wirklich packend und „russisch“ klingen.


Krassimira Stoyanova, Simon Keenlyside. Foto: Royal Opera House

Am Ende gibt es natürlich viel Jubel. Besonders für Keenlyside und Stoyanova, aber auch für Breslik.

Diese Sänger demonstrieren gesanglich und vom engagierten Spiel her, dass man diese Oper derzeit wohl kaum besser besetzen kann.

Lukas Link

 

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