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LIVIU HOLENDER: Das Singen mit der „Muttermilch“ mitbekommen

22.03.2022 | INTERVIEWS, Sänger

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(c) Barbara Aumüller

LIVIU HOLENDER
Das Singen mit der „Muttermilch“ mitbekommen

Er trägt einen großen Namen wie mancher Sohn eines berühmten Vaters, er erfüllt sogar den Traum von Vater Ioan Holender, als Bariton auf den Opernbühnen und in den Konzertsälen Karriere zu machen, aber Liviu Holender sucht doch konsequent seinen eigenen Weg.

Renate Wagner hat für den Online Merker die Fragen gestellt.

Herr Holender, räumen wir die Frage, die kommen muss und die jeder erwartet, gleich weg. Ihr Vater ist zwar kein Sänger, aber er war lange Jahre Direktor der Wiener Staatsoper, und auch heute, 12 Jahre danach, kennt noch jeder in der Branche seinen Namen. Ist das eine Last oder ein Gewinn?

Mein Vater war sechs Jahre lange hauptberuflich als Opernsänger tätig, auch im Stadttheater Klagenfurt engagiert, und ist in seinem Herzen (so empfinde ich es) immer ein Sänger geblieben. Besonders durch sein ungemein großes Wissen und heute wahrscheinlich einzigartigen Erfahrungsreichtum mit und über Sänger habe ich enorm viel gelernt und profitiert. Er ist ein sehr ehrlicher Beobachter und auch strenger Kritiker meiner Entwicklung. Sowohl von meinem Vater als ehemaligem Sänger und meiner Mutter, früher Dramaturgin an der Oper Luzern, aber auch durch meinen früh erhaltenen Musikunterricht, habe ich dieses Wissen über Interpretation und die Opernpraxis quasi als „Muttermilch“ mitbekommen. Dies war und ist ein immens wertvoller Gewinn für mich, und bin sehr dankbar für dieses Privileg.

Sie sind gleichsam als kleiner Junge im Dunstkreis der Wiener Staatsoper aufgewachsen, hatten also von Anfang an mit Sicherheit mehr Einblick in all die Schwierigkeiten des Sänger-Berufs als andere. Warum haben Sie ihn gewählt – trotzdem gewählt? Oder wollten Sie, als Sie mit dem Studium der Klarinette begonnen haben, Instrumentalsolist werden?

Die gewonnenen Einblicke waren mehr Inspiration als Abschreckung. Als Kind bei den Premierenfeiern geheim in den Bühnenbildern hinter der Kulisse herumzuspielen, auch die Erfahrungen im Rahmen meiner Tätigkeit als Mitglied der Opernschule, haben meine Leidenschaft und den verführerischen Zauber der Oper und der Bühne entzündet. Ich habe den Vorbereitungslehrgang der Musikuniversität für Klarinette bei Prof. Schmidl absolviert und daneben am Konservatorium auch Klavier studiert, aber nie mit der Intention, Instrumentalsolist zu werden. Schon als Kind im Chor und später, während meines Jus-Studiums nach dem Schulabschluss, habe ich Zuhause immer öfter gesungen. Um dies zu „professionalisieren“ habe ich mich dank der Unterstützung der wunderbaren KS Birgit Steinberger für die Aufnahmeprüfung in die Musikuniversität in Wien vorbereitet. Ich hatte dann das Glück in Herrn Prof. Hansers Gesangsklasse aufgenommen zu werden. Ihm verdanke ich meine gesamte stimmliche Entwicklung; er hat mich quasi „berufsfähig“ ausgebildet. Ich nehme auch weiterhin Unterricht bei ihm.

Sie haben den Beruf ja von der Pike auf gelernt, in der Opernschule für Kinder an der Wiener Staatsoper. Erinnern Sie sich noch, wie das war, als Hirtenknabe in „Tosca“ auf der Bühne zu stehen? Wer waren damals die Hauptdarsteller? Und hat man da schon als Kind „Blut geleckt“?

Das war ein besonderes Erlebnis. Leider zwar nur hinter der Bühne, weil der Hirte in der Wiener Inszenierung nicht auftritt. Dirigiert hat Stefan Soltesz und gesungen hat Johan Botha. Dass ich noch so bedeutende Sänger wie Johan Botha auf der Bühne miterleben durfte oder im Kinderchor bei „Carmen“ mit Agnes Balta und Neil Shicoff singen durfte, waren einschneidende Erlebnisse, die meinen Berufswunsch sicher schon früh geweckt haben. Ganz besonders hat mir aber das gemeinsame Singen mit Kollegen gefallen. Bis heute ist für mich die größte Erfüllung im Beruf die Zusammenarbeit mit tollen Kollegen. Gerade bei sehr Ensemble-lastigen Stücken wie „Cosi fan tutte“ oder „Le Nozze di Figaro“ erlebte ich die schönsten Abende auf der Bühne.

Seit Ihrem offiziellen Debut im Jahre 2015 im Schönbrunner Schloßtheater, wo so viele begonnen haben, als Falke in der „Fledermaus“, das war eine Produktion der Wiener Musikuniversität, und gleich darauf in der Volksoper in „My Fair Lady“ ist es für Sie rasant gelaufen. Sie sind noch keine 30 und haben Gastspiele in aller Welt bis Tokio hinter sich. Auch waren Sie fix am Gärterplatztheater engagiert und gehören nun zum Ensemble der Oper Frankfurt. Das bedeutet neben großen Rollen wie Mozarts Graf Almaviva auch kleine – glauben Sie, dass heute, wo die meisten Sänger „frei“ sein wollen, das fixe Engagement für die Entwicklung wichtig ist?

Persönlich halte ich die stimmliche Entwicklung und die Möglichkeit sein Repertoire aufzubauen in einem Ensemble für immens wichtig, fast unumgänglich. Ich hatte großes Glück bereits am Gärtnerplatz mit schönen Rollen wie Guglielmo oder Wildschütz-Graf, und auch, dass ich an der Oper Frankfurt den Conte Almaviva oder die sehr anspruchsvolle Hauptrolle des Henrik in der Neuproduktion von Nielsens „Die Maskarade“ singen durfte. Ohne ein fixes Engagement ist es sehr schwierig Rollen „auszuprobieren“ und das richtige Repertoire in die Stimme zu bekommen und sein genaues Fach zu finden.

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Liviu Holender als Almaviva in Frankfurt   (Foto Oper Frankfurt)

Trotzdem scheinen Sie sich Platz für Gastspiele frei geschaufelt zu haben, Sie werden erstmals an der Scala singen, unter Chailly, und beim Maggio Musicale Ihren ersten Harlekin unter Zubin Mehta. Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit Dirigenten dieser Größenordnung, wobei ich auch Marek Jankowski dazu zähle, mit dem Sie Ihren ersten Wagner, den Heerrufer, gemacht haben? 

Die Zusammenarbeit mit großen Musikern, Sängern und allen voran natürlich Dirigenten gehört zum wichtigsten und bereicherndsten Aspekt des Berufes. Auch wenn ich nur in einer kleineren Rolle an der Scala debütiere, ist dies sicherlich die Krönung meines bisherigen musikalischen Lebens. Auch die Zusammenarbeit mit Sebastian Weigle, GMD der Oper Frankfurt, war sehr erfüllend und inspirierend.

Ihnen stehen wichtige Termine bevor, vor allem am 7. April das „Deutsche Requiem“ in Basel unter Marek Janowski, auch werden Sie im Oktober einen Liederabend bei der Schubertiade geben. An sich wenden sich Sänger dem Konzertrepertoire ja meist erst später zu, Sie sind früh dran damit?

Ich singe sehr gerne Lieder und in Zukunft auch hoffentlich vermehrt Liederabend und Konzertrepertoire. Als Teilnehmer der von Thomas Hampson geführten Heidelberger Liedakademie und auch der französischen Liedakademie Royaumont/Orsay habe ich wertvolle Impulse gewonnen. Ich hatte auch die Möglichkeit, dadurch in der Philharmonie de Paris, dem Musee d’Orsay und dem Pierre Boulez Saal in Berlin aufzutreten. Besonders nahe liegt mir das Liedschaffen Mahlers. Vielleicht ist es das „theatralische“ an seinen Liedern, jedes Lied ist eine kleine Miniaturoper. Ganz besonders froh und stolz bin ich auf die Einladung bei der Schubertiade im Rahmen eines Ensemble -Liederabends mitzuwirken. Sehr freue ich mich auch auf die Zusammenarbeit mit dem Sinfonieorchester Basel und Marek Janowski für mein Debüt als Bariton-Solist im monumentalen Brahms Requiem.

Und was bedeutet die Auseinandersetzung mit einem genialen Monsterwerk wie dem „Deutschen Requiem“, wo man für die Baritonpartie eine schier unendliche Reihe großer Vorgänger hat. Hören Sie sich die berühmten Kollegen da auf CD an?

Gerade in diesen weltpolitisch schwierigen Zeiten mit so viel schrecklichem Leid ist das Brahms Requiem aktueller denn je. Ich denke Brahms hat das Requiem nicht so sehr als Requiem an die Verstorbenen, sondern als Seelentrost an die Zurückgebliebenen komponiert. Ich hoffe, ein Werk wie dieses kann Menschen helfen, Trauer zu verarbeiten und Trost zu finden. Durch meine Stimme und meine künstlerische Gestaltung etwas dazu beitragen zu dürfen, ist zwar nur ein kleiner Teil, aber ich bin sehr glücklich darüber. Natürlich kenne ich auch die meisten Aufnahmen, vor allem von den großen verstorbenen Sängern. Dies ist eine große Inspiration. Aber man muss sich auch davon lösen und seinen eigenen persönlichen Zugang finden und sich fragen, was einem dieses Werk ganz individuell bedeutet und was man damit ausdrücken möchte.

Das Bariton-Fach hat ja eine Fülle großartiger Rollen – haben Sie sich schon überlegt, wohin Ihr Weg Sie da führen soll?

Ich bin sehr offen und freue mich eine möglichst große Zahl an Rollen zu entdecken, auch ausgefallene Partien wie z.B. der Henrik in Nielsens „Maskarade“ oder der Wildschütz-Graf haben mir großen Spaß gemacht. Mein Wunschziel wären Rollen des größeren sogenannten Kavalierbaritonfaches wie den Don Giovanni, Wolfram, Enrico (Lucia), Onegin oder Posa zu singen.

Letzte Frage: In einem Interview vor zwei Jahren haben Sie erzählt, dass Sie an Ihrer Doktorarbeit für Ihr Jura-Studium arbeiten. Haben Sie das im Lockdown mittlerweile geschafft? 

Meine Entscheidung Sänger zu werden stand lange in Konkurrenz mit der des Juristenberufes. Ich habe auch als juristischer Mitarbeiter beim Anwalt (und auch ehemaligen Opernsänger) Dr. Martin Schuppich gearbeitet, aber schlussendlich hat die Liebe und Leidenschaft zur Oper, der Bühne und dem Singen gewonnen. Es war aber ausschließlich mein eigener Wunsch und dringendes Bedürfnis Sänger zu werden. Dennoch ist das Jus-Studium aktiv, die Dissertation habe ich leider noch nicht fertig geschafft, aber ich arbeite weiter an einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema Urheberrecht in Bezug auf die Theaterpraxis, beispielweise die genaue Abgrenzung des geistigen Eigentums einer Inszenierung usw. Dies ist ein sehr aktuelles und noch eher spärlich ausjudiziertes Gebiet, das sicherlich noch spannende Fragen aufwerfen wird insbesondere im Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung und Globalisierung.

Lieber Herr Holender, vielen Dank für Ihre Antworten und viel Erfolg in der Zukunft.

 

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