Foto: Steven Harris
LISETTE OROPESA
Die Konstanze ist „meine“ Rolle
Sie kam, sah, sang und siegte wie wenige vor ihr. Opernfreunde, die über den Tellerrand schauen, mögen Lisette Oropesa in der Met (im Kino) oder auch im nachbarlichen München oder an anderen großen europäischen Opernhäusern begegnet sein. Ihr Wiener Debut fand erst in der Ära Roscic statt, mit der Konstanze in der alt/neuen Neuenfels-Inszenierung der „Entführung aus dem Serail“.
Mit Lisette Orpoesa, die auch Deutsch, Italienisch, Französisch und Spanisch angeboten hätte, sprach Renate Wagner in englischer Sprache. Und beide Damen mit Mund-Nasen-Schutz.
Frau Oropesa, ihre aus tiefestem Herzen empfundene Konstanze hat das Wiener Publikum auf Anhieb hingerissen. Es ist aber eine sehr schwere Rolle, mit der man gar nicht so leicht reüssiert? Was verlangt sie von Ihnen als Sängerin?
Die Konstanze begleitet mich schon sehr, sehr lange, eigentlich seitdem ich 2005 in das Lindemann Young Artists Development Program der Met eingetreten bin. Es war das Projekt von James Levine, und er hat sich sehr um uns junge Sänger gekümmert. Ich war damals gerade Anfang 20, und er sagte mir damals schon prophetisch, die Konstanze würde „meine“ Rolle werden. Er hat auch mit mir an den Arien gearbeitet, mich etwa auf die Temposchwankungen in jeder einzelnen aufmerksam gemacht, die sehr schwierig sind. Die drei Arien sind überhaupt wie Teile eines Konzerts, das Quartett ist dann eine Steigerung zu einer Art außerkörperlichen Erfahrung, als sei man nicht von dieser Welt. Das ist extrem schwierig im Ausdruck, aber auch in der technischen Anforderung. Wir können uns heute nur wundern, welche Sänger Mozart damals zur Verfügung gehabt haben muss, um ihnen solche Leistungen abzuverlangen! Da kann man nur versuchen, diesen Anforderungen so nahe zu kommen wie möglich.
Und wie steht es um die Frau, um den Menschen Konstanze?
Ich glaube, sie trägt den Namen nicht nur, weil Mozarts Frau so geheißen hat, sondern weil „Constantia“ ja auch Standhaftigkeit bedeutet. Aber einen so starren Menschen kann man nicht spielen, das wäre auch gar nicht interessant, man muss doch immer einen Konflikt spüren, damit etwas echt wird. Also muss Konstanze Zweifel haben. Das bezieht sich auf Belmonte – sie darf der Angst, dass er tot ist und sie ihn nie wiedersieht, nicht nachgeben. Und da ist ja auch noch das Problem des Pascha. Hier sind die europäischen Gefangenen – dort der Orient. Das ist ein „Clash of Culturues“. Bassa kann ein Potentat sein, dessen Edelmut am Ende überrascht, oder er kann von Anfang an ein eleganter, sogar liebenswerter Mann sein, zu dem Konstanze sich hingezogen fühlt, was sie natürlich nicht zugeben will. Ich habe die Rolle in vielen Inszenierungen gespielt, und oft war der Bassa äußerst verführerisch und hübsch, so dass in ihrem Widerstreben auch Bedauern anklingt.
Foto: Wiener Staatsoper / Pöhn
Die Inszenierung, die Sie in Wien mit Hans Neuenfels erarbeitet haben, hat Teile des Publikums durch die Verdoppelung der Figuren einfach nur irritiert. Ist es nicht auch für die Sänger störend, wenn da dauernd jemand herumsteht, der sie kopiert und nachäfft?
Ich habe gelernt, mich jeder Inszenierung einmal ganz offen zu nähern. Zu glauben, man kann auf die Probe gehen und seine eigenen Ideen durchsetzen – da hätte man bald sehr wenige Engagements. Auch glaube ich, dass es die Aufgabe von Sängern ist, die Ideen der Regisseure so überzeugend umzusetzen wie möglich – auch, wenn sie nicht mit den eigenen Vorstellungen überein stimmen. Für mich hatte die Neuenfels-Inszenierung den Aspekt, dass ich nicht so viel Text habe – in anderen Inszenierungen muss man sehr viel sprechen, und das ist nicht leicht, obwohl ich ziemlich gut Deutsch kann. Aber zumindest zur Marternarie gibt es keinerlei Ablenkungen, weder für mich noch für das Publikum.
Frau Oropesa, Sie kommen von der Metropolitan Opera, singen aber schon seit Jahren in London und in Mailand, in Paris, Madrid und Barcelona, in München. Berlin und Brüssel, bei den Festivals in Glyndebourne, Verona und Pesaro,, also an allen führenden Häusern. Wie kommt es, dass man Ihnen an der Wiener Staatsoper erst so spät begegnet?
Weil man mich nicht eingeladen hat. Es gab eine Anfrage, für Diana Damrau als Lucia di Lammermoor einzuspringen, aber da hätte ich innerhalb von zwei Tagen in Wien sein müssen und lag in New York krank im Bett. Das hätte ich auch gesund nicht annehmen wollen, wenn man eine solche Rolle dann auch noch ohne Probe und nach einem Transatlantikflug singen soll. Nein, es hat mich erste Bogdan Roscic nach Wien geholt, ich werde nächste Saison für die Reprisen der „Entführung“ wieder kommen, und wir sprechen auch über andere Rollen.
Sind Sie zum ersten Mal in Wien?
Ja, und ich muss ehrlich sagen, ich liebe es – und wie werde ich es erst lieben, wenn wir alle nicht mehr den Mundschutz tragen müssen und man sich nicht überlegt, ob man ins Kaffeehaus oder ins Restaurant geht oder nicht. Mein Mann und ich durchwandern die Stadt mit möglichst wenigen sozialen Kontakten, wir haben uns Schönbrunn (mit dem schönen Schmetterlingshaus) und das Belvedere angesehen, und wir joggen am Donaukanal entlang. Ich mag die Atmosphäre hier sehr, man spürt eine Lebensqualität, die andere Großstädte, wenn sie zu groß sind, nicht mehr haben. Ja, ich freue mich, wenn ich künftig öfter hier sein kann.
Erzählen Sie uns bitte, wie es kommt, dass ein junges Mädchen aus New Orleans Opernsängerin werden will?
Musikerin zu sein, wurde mir durch die familiären Umstände sozusagen in die Wiege gelegt. Meine Mutter war – und ihre Stimme war schöner als meine! – Opernsängerin, allerdings nur im lokalen Rahmen unserer Heimatstadt, denn erstens hatte sie eine gewisse Scheu, auf die Bühne zu gehen, und zweitens erkrankte mein Vater, und sie musste dann für die Familie – wir waren drei Mädchen – sorgen, also wurde sie Musiklehrerin und eine berühmt gute. Für mich gab es immer nur Musik, mich hat man schon mit drei Jahren vors Publikum gestellt, damit ich singen soll, und ich habe das unbefangen getan. Ich habe dann in der Musikabteilung der Louisiana State University Flöte und Gesang studiert – und dann nur noch Gesang, als sich herausstellte, dass ich das zu meinem Beruf machen wollte. Ich habe 2005 das National Council Grand Finals Concert der Metropolitan Opera gewonnen. So kam ich mit 22 Jahren in das Lindemann Young Artists Development Program, das gewissermaßen zur Met gehört, und das war der große Glücksfall, denn man lernt da so unglaublich viel.
Man hat ja da als Nachwuchs immer einen Fuß in der Met und darf am Ende gar einspringen?
Ja, so wie ich mit 22 als Susanna, Erwin Schrott war mein Figaro. Aber das ist natürlich die Ausnahme, tatsächlich beginnt man mit ganz kleinen Rollen und arbeitet sich hoch – so wie ich vom Taumädchen in “Hänsel und Gretel” dann die Gretel geworden bin, und wie der Weg von der Lisette, sie heißt wirklich so, in “La Rondine” neben Gheorghiu und Alagna dann zehn Jahre später zur Manon und zur Traviata führt, die letzte Rolle, die ich vor dem Lockdown gesungen habe.
Bleiben wir bei der Met, eine persönliche Frage, weil ich ein so großer Fan des Lepage-„Rings” bin. Aber ich habe gehört, dass man am Haus selbst die “Maschine”, mit der er alle vier Teile des Zyklus quasi optisch zusammen gebunden hat, geradezu hasst. Stimmt das?
Es gibt Dinge, die sind so außergewöhnlich, dass die einen sie abgrundtief hassen und die anderen sie grenzenlos bewundern. Ich habe in “Rheingold” und “Götterdämmerung” eine Rheintochter und im “Siegfried” den Waldvogel gesungen, und ich muss sagen, dass ich im “Rheingold” quer auf ein Brett geschnallt und durch die Luft geschleudert wurde, und das war wirklich nicht angenehm. Das sind übrigens außer der Gretel sowie Konstanze und Pamina meine einzigen deutschsprachigen Rollen gewesen, und ich denke, es wird vielleicht dabei bleiben, weil die deutschen Rollen, die mich interessieren, entweder zu hoch oder zu schwer für meine Stimme sind – die Salome zum Beispiel!
Noch einmal zur Met, wo Sie ja all die Jahre zuhause waren: Was sagen die Sänger dazu, dass Peter Gelb eine ganze Saison abgesagt hat?
Dazu muss man die amerikanischen Verhältnisse kennen, da gibt es keine Subventionen, die einen Operndirektor auffangen wie hier. Die Met muss ihr Geld aus dem Kartenverkauf und aus den Sponsorengeldern einspielen, zumal gibt es in den USA mächtige Gewerkschaften mit hohen Forderungen… es wäre einfach nicht zu finanzieren gewesen, weiter zu spielen. Das muss man auch als betroffener Sänger einsehen. Ich kann sagen, ja, die Met war tatsächlich “mein” Haus, ich habe zehn Jahre lang in New York gelebt. Aber ich habe bald begonnen, größere Rollen an kleineren amerikanischen Häusern zu singen, und mittlerweile habe ich in Europa Fuß gefasst. So sehr, dass ich jetzt auch eine doppelte Staatsbürgerschaft, nämlich auch die spanische, habe – meine Familie stammt aus Cuba, die Verbindungen zu Spanien sind also sehr eng. Und in Amerika bin ich mit meinem Mann nach Baton Rouge zurückgekehrt, wo ich aufgewachsen bin.
Die Rollen, die Sie quasi „überall“ singen, die „Signatur-Rollen“, sind neben der Konstanze die Traviata, die Gilda und immer wieder die Lucia di Lammermoor. Aber Sie singen auch Rossini und Donizetti oder Händel und französisches Repertoire? Also keine Spezialistin?
Nein, es ist eine wundervoll „gemischte“ Karriere, und ich bin sehr froh darüber. Abgesehen davon, dass es einem selbst nicht langweilig wird, gibt es immer neue Herausforderungen. Ich möchte in meinem Fach die Bellini-Heldinnen singen, was ich in den nächsten Jahren an italienischen Häusern tun werde, aber auch Rossini, Belcanto mit Koloratur auf breiter Ebene. Ebenso eines Tages Juliette und Marguerite, und vor allem Händel, den liebe ich sehr, der war ein Genie! Da sollen zu Romilda, Cleopatra und Rodelinda noch einige Damen dazu kommen. Und Mozart, vielleicht einmal die Gräfin statt der Susanne und die Donna Anna. Da liegt noch vieles vor mir.
Wie lernen Sie neue Rollen?
Viele Monate lang und am liebsten mit mir allein, das ist ein sehr individueller, persönlicher Prozeß, da bin ich und der Klavierauszug – da zu Korrepetitoren laufen und in eine Stunde dann alles hineinpressen, so will ich nicht arbeiten. Ich lese ganz lang den Text, beschäftige mich mit einzelnen Szenen, sitze selbst am Klavier. Und ich höre mir auch die großen Sängerinnen der Vergangenheit an – natürlich die Callas für das Kernrepertoire, das ich mir gewählt habe, aber auch sehr gern die Caballé, und wenn ich Joan Sutherland höre, atme ich durch und denke, das, was sie konnte, möchte ich auch können! Man muss natürlich aufpassen, dass man niemanden nachahmt, aber man kann sehr viel von den großen Sängerinnen lernen… Wir hatten ja auch im Lindemann Programm das Glück, von großen Sängerinnen unterrichtet zu werden, Kiri Te Kanawa kam, mit Renata Scotto – sie ist einfach die Beste! – habe ich an Lucia, Gilda und Traviata gearbeitet. Auch Mirella Freni gab bei uns Unterricht: Die war als Lehrerin wirklich hart. Wenn sie etwas nicht gut fand, sagte sie ganz entschlossen „No, no, no!“ und ließ es einen immer wieder wiederholen. Aber so lebt man als junge Sängerin auch in der großen Tradition der Vorgängerinnen.
Erzählen Sie uns noch ein bisschen, wie Sie leben?
Ich bin sehr privilegiert, weil mein Mann das Reiseleben, das viele Sänger so einsam macht, völlig mit mir teilt. Er ist Computerfachmann, kann also überall arbeiten. Und es ist so erholend, nicht mit einem Musiker verheiratet zu sein! Der Beruf erfüllt sich oft schon bei den Proben und immer auf der Bühne – aber nachher kann ich total abschalten. Wir machen alles gemeinsam, auch das Kochen: Wir haben in unserer New Yorker Zeit das Vegane entdeckt, zuerst eigentlich nur, um Geld zu sparen, weil Fleisch dort so teuer war. Wir wurden Vegetarier, haben uns auch viel mit Umweltfragen beschäftigt und dann gefunden, man könne ja auch vegan leben, zumal ohne Milch, die für Sängermägen nicht gut ist, und ohne Fett. Und man kann wunderbar kochen, wenn man frisches Gemüse kauft. Und Wein und Bier und Kaffee und Tee sind ja nicht verboten, und Süßigkeiten auch nicht. Außerdem gibt es mittlerweile schon überall vegane Lokale, auch in Wien ganz exzellente… Im übrigen betreiben wir Sport, freuen uns an Kulturangeboten, und der einzige Anteil meines Mannes an der Musik besteht darin, dass er in absolut jeder Vorstellung drinnen sitzt, in der ich singe…
Frau Oropesa, wohin geht es, wenn Sie die Wiener „Entführungs“-Serie hinter sich gebracht haben?
Nach Mailand, denn an sich sollen Juan Diego Florez und ich die Saison der Scala mit „Lucia di Lammermoor“ eröffnen. Halten Sie uns bitte die Daumen, dass es dazu kommt.
Und wir werden gegebenenfalls vor dem Fernsehapparat sitzen und die arte-Übertragung verfolgen, neugierig auf Ihre Lucia! All the best für die Zukunft!