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LINZ: SPUREN DER VERIRRTEN von Philip Glass. Uraufführung

13.04.2013 | KRITIKEN, Oper

Neues Opernhaus in Linz mit Uraufführung eröffnet: Spuren der Verirrten“ von Philip Glass (Premiere: 12. 4. 2013)


In der Schlussszene spielte das Orchester auf der Bühne (Foto: Reinhard Winkler)

 Das neugebaute Opernhaus in Linz in Bahnhofsnähe beim Volksgarten, das am 12. April mit der Uraufführung der Oper „Spuren der Verirrten“ von Philip Glass ihren Spielbetrieb aufnahm, sorgte schon längere Zeit für Schlagzeilen. Zuerst politisch umstritten, wird es jetzt von vielen als modernstes Opernhaus Europas bezeichnet. Das inklusive Bühnenturm 10-geschoßige Musiktheater wird die Spielformen Oper, Ballett, Operette und Musical beheimaten und gilt in Bezug auf Akustik, Komfort und Bühnentechnik als wegweisend.

 Von Architekt Terry Pawson wurde es städtebaulich so konzipiert, dass der Park wie ein Vorgarten des Opernhauses fungiert und das Gebäude selbst als dramatische Kulisse für den Park zum „Wohnzimmer der Stadt“ macht. Der Große Saal bietet bis zu 1250 Zuschauern Platz, die Studiobühne bis zu 270 und der Orchestersaal bis zu 200. Die Baukosten betrugen inklusive Tiefgarage und Verkehrslösung rund 150 Millionen Euro, wobei sich die Stadt Linz mit 35 Millionen beteiligte. Bisher konnten 5, 5 Millionen Euro von Sponsoren lukriert werden.

 Die mit großer Spannung erwartete erste Premiere im neuen Musiktheater – so sein offizieller Name – bot die Uraufführung der Oper „Spuren der Verirrten“ des als führenden Vertreter der Minimal Music berühmten amerikanischen Komponisten Philip Glass (geb. 1937 in Baltimore), von dem in Linz bereits einige Werke zu sehen waren. International bekannt wurde der Komponist, als er „Lichtgestalten der Menschheit“ – wie Einstein, Gandhi, Echnaton, Kepler – zu den Helden seiner Opern machte. Mit der Wahl des Stücks „Spuren der Verirrten“ nach einer Textvorlage von Peter Handke – das Libretto stellte Rainer Mennicken her – will Philip Glass die kollektive Sinnsuche der Menschheit greifbar machen. Ort und Ziel dieser Suche soll das Theater selbst sein.

 David Pountney nützte die Freiheiten, die ihm der avantgardistische Text des Stücks bot, für eine sehr aufwendige Inszenierung, in der neben Gesang und Schauspiel vor allem der Tanz eine gewichtige Rolle spielt. In einem im informativ gestalteten Programmheft abgedruckten Interview formulierte er: „Es ist schon interessant, wenn man eine Reihe von Figuren hat, die A, B, C und D… heißen, und was sie sprechen, ist natürlich sehr abstrakt. Aber das ist tatsächlich ein Reiz! Und kombiniert mit der besonderen Musik von Philip Glass erkennt man als Regisseur unheimlich viel Freiheit.“ Und die nützte er zu einer raschen Abfolge von Szenen auf der Drehbühne des neuen Hauses, wobei ein Sprecher den Zuschauer simulierte und fortwährend erklärte, was er sieht. Da ich keinen einzigen Blinden im Haus bemerkte, wohl ein Kunstgriff… Einen netten Einfall hatte der Regisseur, in der letzten Szene die Musiker auf der Bühne spielen zu lassen, während ein Teil der Sänger, Schauspieler und Tänzer in den Orchestergraben abtauchten.

 Die Figuren (von A bis K) reden über alltägliche Dinge (oft sehr banal, aber des Öfteren auch poesievoll) und verirren sich auf ihrer Suche nach dem Glück. Am Beginn sieht man zwei Gestalten, die den Weg mit Brotkrümeln markieren. Zitate aus „Hänsel und Gretel“ (A: „Dort – ein Licht!“, B: „Ein Haus.“, A: „Mitten im Wald.“) zeigen die Sehnsucht nach Heimat und einem Zuhause. Immer wieder treffen sich Paare auf der Straße, die ziellos über die Bühne schreiten – auf vergeblicher Sinnsuche, die beklemmend wirkt. („Liebe, Freude, Weltraum … alles noch da … wie eh und je. Aber ohne Folge. Nichts, nichts hat mehr Folge.) Das Stück wartet im weiteren Verlauf mit Tätern und Opfern der Religions- und Kulturgeschichte auf (Abraham, Isaak, Christus, Ödipus, Medea, Odysseus etc.), zeigt Kriegsszenen, ein Irrenhaus, einen weißen Hasen (oder war es ein Kaninchen?) – alles eingerahmt von dem Solisten-Trio „Der Dritte“, „Der Zuschauer“ und „Der Protagonist“ – bis der sogenannte „Dritte“ proklamiert: „Die Zeit ist nun vorbei.“ Am Schluss wird die Frage gestellt: „Wo sind wir?“

 Viele Szenen werden von einem Tanzensemble gestaltet und mit ausdrucksstarken Tänzen symbolhaft gedeutet (ausgezeichnet choreographiert von Amir Hosseinpour). Da diese Szenen durch die exzellenten, fast artistischen Tanzeinlagen an Wirkung gewannen, seien auch die Akteure namentlich genannt: Giselle Poncet, Stine Ronne, Emanuele Rosa, Tine Schmidt, Eva Svaneblom und Ilja van den Bosch. Die opulente Ausstattung der großen Bühnenfläche oblag Robert Israel, die phantasievollen Kostüme entwarf Anne Marie Legenstein und für das kreative Lichtdesign zeichnete Fabrice Kebour verantwortlich.


Die Mezzosopranistin Christa Ratzenböck in einer der Hauptrollen (Foto: Ursula Kaufmann)

 Die Rollen „Der Zuschauer“ und „Der Protagonist“ wurden von den Schauspielern Lutz Zeidler (mit wortdeutlicher Stimme) und Peter Pertusini (in einem Raumfahrtanzug und etwas überzogen gespielt), die Figuren „A“ und „B“ von den Tänzern Bram de Beul und Sophy Ribrault gegeben. Die Figuren „C“ bis „K“ (ohne Buchstaben I) sowie „Der Dritte“ wurden durchwegs von einem Sängerensemble, das sich stimmlich als erstklassig erwies, dargestellt: Der südafrikanische lyrische Tenor Jacques le Roux agierte als „C“, die australische Sopranistin Karen Robertson als „D“, alle weiteren Rollen wurden von österreichischen Sängerinnen und Sängern gespielt. „E“ von der Sopranistin Gotho Griesmeier, „F“ vom Bariton Martin Achrainer, „G“ von der Mezzosopranistin Martha Hirschmann, „H“ vom jungen Tenor Matthäus Schmidlechner, „J“ von Dominik Nekel mit eindrucksvoller Bassstimme, „K“ von der Sopranistin Elisabeth Breuer und „Der Dritte“ von der Mezzosopranistin Christa Ratzenböck, die auch darstellerisch zu glänzen wusste.

 Mit mächtigem Stimmvolumen warteten die Chöre (mit Extrachor, Kinder- und Jugendchor) auf (Chorleitung: Georg Leopold, Kinder- und Jugendchor: Ursula Wincor). Das ausgezeichnete Bruckner-Orchester Linz, das zu den besten Klangkörpern Österreichs zählt, wurde von seinem Chefdirigenten Dennis Rusell Davies geleitet, der in Linz bereits die vierte Oper des Komponisten zur Aufführung brachte und als persönlicher Freund von Philip Glass bei mehreren seiner Opern die Uraufführung geleitet hat. Kein Wunder also, dass für eine hohe Qualität bei der Wiedergabe der Partitur, die durch die repetitive Reihung von Klängen mit nur minimalen Änderungen im Rhythmus einen stark meditativen Effekt erreicht, garantiert war.

Das Publikum, das sich in den Pausengesprächen mehr über das neue Haus als über das Werk begeistert zeigte, applaudierte am Schluss des anspruchsvollen Opernabends allen Mitwirkenden und dem Regieteam minutenlang und bejubelte das Sänger- und Tanzensemble.

 Udo Pacolt, Wien – München

 

 

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