LINZ / Musiktheater: Gershwin-Musical STRIKE UP THE BAND
2. Juni 2024 (Österreichische Erstaufführung 25.5.24)
Von Manfred A. Schmid
Mehr als 70 Jahre hat das 1927 uraufgeführte Musical von George Gershwin (Musik), Liedtexte Ira Gershwin, gebraucht, um auch diesseits des Atlantiks gesehen und gehört zu werden. Die deutschsprachige Erstaufführung kam 1999 in Basel heraus, Gelsenkirchen folgte 2007, und die exzellente, wagemutige Musicalsparte des Linzer Landestheaters bringt das Werk, das es erst in einer Neubearbeitung 1930 an den Broadway geschafft hat, nun im Linzer Musiktheater erstmals zur Aufführung in Österreich.
Im Mittelpunkt der grotesken Handlung steht ein ebenso lächerlicher wie lachhafter „Käsekrieg“, so auch der Untertitel des Musicals, zu den der ehrgeizige amerikanische Käsefabrikant Horace J. Fletcher die amerikanische Regierung überreden konnte, nachdem die Schweiz sich gegen einen jüngst verhängten fünfzigprozentigen Zoll auf Käseimporte vehement zur Wehr gesetzt hatte. Als die Soldaten in der Schweiz einmarschieren – in der Linzer Inszenierung geht es dabei um Österreich – halten sich die Gegner in den Alpen versteckt und sehen in den fremden Truppen eher eine willkommene Belebung des Tourismus. Der Krieg nimmt ein unblutiges Ende, die freie Welt ist wieder einmal gerettet. Diese beißende Kritik am Hurra-Patriotismus der Amerikaner sowie die parodistisch-satirische Entlarvung, dass hinter Kriegen immer wirtschaftliche Interessen stehen und mit Käse in Wahrheit natürlich Produkte wie etwa Erdöl gemeint sind, hat den Amerikanern offensichtlich schon Ende der 20-er Jahre knapp vor der Weltwirtschaftskrise nicht geschmeckt, ist aber gerade heute aktueller denn je. Das hehre kapitalistische Prinzip des freien globalen Handels wurde zuletzt von Trump mit horrenden Aufschlägen auf Importe aus China ausgehebelt und wird derzeit auch von Biden wieder zum Wahlkampfthema gemacht. Die ernüchterndste Erkenntnis dieses verrückten Musicals liefert jedoch der Schluss: Wie nach jedem Krieg geloben alle Beteiligten im vereinten Chor, dass es nie mehr wieder zu einem Krieg kommen dürfe und werde. Doch es dauert nur wenige Momente, dann erhält Colonel Holmes die alarmierende Eilnachricht, das Frankreichs Winzer gegen Restriktionen ihres Rotweinexports in die USA protestieren, ausgerechnet nachdem der Käseproduzent Fletcher eine beträchtliche Summe in kalifornische Weinberge investiert hat …
So bitter die in diesem Musical geäußerte Kritik auch sein mag, dem Musical ist seine Zeitgebundenheit doch anzumerken. Die Story von George S. Kaufman, der die Drehbücher für viele Filme der Marx Brothers geschrieben hat, entspricht eben nicht mehr so ganz den Kriterien heutiger Komik, was letztlich ja auch für Groucho Marx und seine schrägen Brüder gilt. Regisseur Matthias Davids, bewährter Leiter der Linzer Musicalsparte und in Wien zuletzt für seine Inszenierungen von König Karotte und Lady in the Dark an der Volksoper geschätzt, verzichtet auf eine detailgetreue Umsetzung der absurden, himmelschreiend komischen Handlung und setzt stattdessen lieber auf eine semiszenische Herangehensweise, mit Akzentuierung der wichtigsten Interaktionen, während Daniela Dett als Erzählerin mit feinem Humor und leisem Sarkasmus den rote Faden durch das Geschehen spinnt.
Im Mittelpunkt steht in Linz eindeutig die Musik. Das Bruckner Orchester Linz, von Tom Bitterlich schwungvoll die manchmal operettenhaften, dann wieder jazzigen Klänge von Gershwin auslotend, geleitet und zu Höchstleistungen angespornt, dominiert die Bühne: Im erhöhten Orchestergraben sitzen sichtbar die Streicher, auf der Bühne, etwas zurückgesetzt, sind rechts und links die Bläser auf dreistufigen Treppen positioniert. Dazwischen, davor und dahinter sowie rund um den Orchestergraben spielt sich die Handlung ab, wobei dem exzellenten und spielfreudigen Chor, einstudiert von Elena Pierini und in fantasiereich bunten Kostümen von Richard Stockinger, eine wichtige Rolle zukommt. Die von Aleksander Kaplun gestalteten Bühne wird vor allem durch grafisch von ihm gestaltete, sparsam animierte Bühnenbilder satirisches Leben eingehaucht. Besonders gelungen ist das Bühnenbild nach der Pause, das den alpinen „Kriegsschauplatz“ Österreich, ein bis zum Kriegsausbruch für die Amerikaner unbekanntes Land „in der Nähe von Liechtenstein“ darstellt. Man sieht zwei unablässig wiederkauende Kühe auf einer Alm, dahinter eine Almhütte mit rauchendem Schornstein. Dazu passt haargenau das zu vernehmende Geläut unverzichtbarer, lautstark tönender Kuhglocken sowie das treffliches Jodeln des mysteriösen George Spelvin (Enrico Treuse), der sich in verschiedenen Verkleidungen einschleicht und sich letztlich als Mitarbeiter des Secret Service zu erkennen gibt.
Einen ersten musikalische Höhepunkt liefert schon die vom Orchester animiert vorgetragene, fein instrumentierte Ouvertüre. Zu hören sind weiters einige Standardnummern wie der Song „Der Mann für mich“ („The Man I Love“) oder auch „Ich bin verknallt in dich („I’ve Got a Crush on You“ ). Es wird aber auch weniger Bekanntes aus der Feder der kongenialen Gershwin-Brüder dargeboten. Stücke aus der Frühzeit ihrer Zusammenarbeit, als ihr Stil noch deutliche Spuren des Einflusses von Gilbert & Sullivan und Irving Berlin zeigt.
Die gesanglichen und darstellerischen Leistungen sind, wie in Linz gewohnt, von hoher Qualität. Karsten Kenzel in der Rolle des Käsemagnaten Horace J. Fletcher entspricht ganz dem Klischee der von diesem selbst verkündeten Beschreibung als „Der typische ehrliche Selfmademan“. Weiters in Erscheinung treten Max Niemeyer als Colonel Holmes, Berater des Präsidenten, und Lynsey Thurgar als nicht mehr ganz so junge, heiratslustige Dame der Gesellschaft.
Als romantisches Liebespaar präsentieren sich Valerie Luksch als Fletchers Tochter sowie Gernot Romic als rebellischer Journalist Townsend, der in Wahrheit, als Initiator des Kriegs, der Mann ist, der die Fäden zieht. Als Mrs. Drapers Tochter Anne (Cornelia Mooswalder) und als Käsefabrikarbeiter Timothy (Lukas Sandmann) belebt ein weiteres verliebtes, junges Paar das Geschehen auf der Bühne. C. Edgar Sloane, der Manager der Fabrik (Christian Fröhlich), wird am Schluss als Hermann Hacklhuber-Hinterhofer, Chef des österreichischen Heeres und Nachrichtenamtes entlarvt, der subversiv den Käse mit minderwertiger Milch verpantscht hat, um den Konkurrenten österreichischer Käseerzeuger zu schaden.
Fletcher versichert seiner Truppe: „Ich kann Österreich für die Kosten dieses Krieges bezahlen lassen.“ Das erinnert doch frappierend an die Meinung eines amerikanischen Politikers, der gerade wieder an die Macht zu kommen hofft! Da sind einem Lachen und Grauen schon verdammt nahe gekommen. Mag sein, dass dieses Unbehagen dazu führt, dass der Applaus im nicht ganz auf den letzten Platz gefüllten Haus zwar freundlich, aber nicht überschwänglich und bald zu Ende ist.