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LINZ/ Landestheater: WIE IM HIMMEL – Musical von Kay Pollak. Premiere

12.09.2021 | Allgemein, Operette/Musical

Linz: „WIE IM HIMMEL“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 11. 09.2021

(Deutschsprachige Erstaufführung)

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Foto:  Reinhard Winkler für Linzer Landestheater

Musical nach dem Film „Så som i himmelen“ von Kay Pollak (Regie und Drehbuch, mit Carin Pollak und anderen), Bühnenfassung Kay und Carin Pollak,  Gesangstexte von Carin Pollak und Fredrik Kempe, Musik von Fredrik Kempe

Deutsch von Gabriele Haefs und „Roman Hinze“; in deutscher Sprache mit Übertiteln.

Irgendwie scheint die Bevölkerung Skandinaviens am Puritanismus zu leiden – das zieht sich durchs Werk etwa eines Ingmar Berman. Ein weiteres prominentes Beispiel dafür ist Gabriel Axels Film „Babettes gæstebud(Fest)“ (nach Tanja Blixen) von 1987. In diesem geht es um den unvermuteten, aber die Herzen wärmenden „Einbruch“ französischer Hochkulinarik in ein pietistisches dänisches Dorf, dessen Darstellung sogar Papst Franziskus noch 30 Jahre später bemerkenswert fand.

Ähnlich gestrickt ist Kay Pollaks Film, in dem es darum geht, daß ein berühmter Dirigent (und Violinist) nach einer Gesundheitskrise, mit sehr geringer Prognose für seine restliche Lebenszeit, in sein Heimatdorf zurückkehrt und zu innerem Frieden kommen will. Die Musik holt ihn jedoch ein, und er übernimmt, unkonventionell wie erfolgreich, die Leitung des dörflichen Kirchenchores – und das nicht zum uneingeschränkten Vergnügen derer, die im Dorf das Sagen haben und die Moral bestimmen. Auch wenn die Hauptfigur, Daniel Daréus, die Geschichte schlussendlich nicht überlebt, hat sie doch für eine ganz neue soziale und künstlerische Qualität im Chor und im Leben vieler seiner Mitglieder gesorgt.

Leider wirken die Konflikte – Intrige der früheren (ohnedies nur provisorischen) Chorleiterin, ein gewalttätiger Ehemann, der schon als Kind handfest auffällig war, ein emotionell versteinerter Pfarrer, dessen Ehefrau darunter leidet – statt Träger der Handlung zu sein, eher episodenhaft. In dieser dominiert nämlich die Farbe Zuckerlrosa. Und zumindest wir als medizinisch Informierte müssen auch sagen, daß die Grundannahme des nach einem Infarkt an rapide fortschreitender Herzschwäche leidenden ca. 40-Jährigen im Jahre des Erscheinens des Filmes, 2004, schon längst nicht nur kardiologische Maßnahmen nach sich gezogen, sondern den Erkrankten auch mit hoher Dringlichkeit auf die Eurotransplant-Liste gebracht hätte… Will sagen: die Geschichte hängt in der Luft.  Auch weist die Hauptfigur des Dirigenten in der Bühnenfassung deutlich weniger Kanten und Grauzonen auf als im Film, wo Daniel zumindest nach seinem Auftauchen im Dorf einige Zeit durchaus sinister wirkt.

Die Musik ist durchwachsen. Einige, vor allem lyrische, Passagen klingen so, wie moderne Musical-Standardmusik eben klingt, aber es gibt auch ein paar flotte Stücke mit Ohrwurmpotenzial, etwas Rock’n Roll und einen inhaltsschweren Tango.

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Lukas Sandmann, Celina dos Santos. Foto:  Reinhard Winkler für Linzer Landestheater

Ein Routinier wie Matthias Davids kann freilich auch aus dieser zähen Masse eine annehmbare Inszenierung schnitzen, ohne Langeweile aufkommen zu lassen; aber die grundsätzlichen Schwächen kann er naturgemäß nicht beseitigen. Vielleicht hatte er auch die nette Idee, die Einleitung des Abends (samt Handy-Ausschalterinnerung) vom anwesenden Autor sprechen zu lassen. Die Choreografie von Melissa King trägt auch viel zum dramatischen Funktionieren der Produktion bei.

Juheon Han hat die musikalische Leitung (vom ersten keyboard aus) inne und läßt das elfköpfige Ensemble „Die Zimtschnecken“ mit Präzision, Verve, Emotion und bei Bedarf auch Wucht aufspielen. Der Name des Ensembles bezieht sich auf den liebsten Imbiß der Chormitglieder zu den Kaffeepausen.

Auch die Bühnengestaltung (Mathias Fischer-Dieskau, Lichtdesign Guido Petzold) gehört zu den Positiva der Produktion; mit vielfältig wandelbaren Stellwänden werden die rasch wechselnden (filmische Herkunft!) Schauplätze bestens definiert, und der titelgebende Himmel darf entsprechend Stimmung machen. Die Kostüme (Susanne Hubrich) sind realistisch und glaubwürdig.

Dramaturgie/Mitübersetzung Arne Beeker: manche Liedtexte wirken doch etwas einfältig. Vieles hält sich genau an den deutschen Film(Synchron)Text. Immerhin legt er einer Figur (dem Pastor) ein Wotan-Zitat in den Mund „Geh!!“…

Mathias Edenborn ist die Zentralfigur Daniel Daréus; wie schon dargelegt, keine Rolle, die große Möglichkeiten zur darstellerischen Gestaltung gibt. Jedenfalls überzeugt er mit einem kräftigen Tenor. Die sozial anfänglich eher umtriebige Lena, die endlich – schicksalsbedingt aber nur kurz – in Daniels Armen landet: Celina dos Santos mit guter Stimme und durchaus charmanter Ausstrahlung.

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Matthias Edenborn, Karsten Kenzel. Foto:  Reinhard Winkler für Linzer Landestheater

Die mißhandelte Gabriella, die sich schließlich mit ihren Kindern in den Schutz des Chores retten kann: Judith Jandl, intensiv im Spiel und fast schon etwas zu intensiv bei Stimme. Der zugehörige ungute Conny: Sebastian von Malfèr, wie im Film ein eher eindimensionaler Bösewicht.

Der umtriebige und etwas manipulative Dorfladenbesitzer Arne wird von Gernot Romic facettenreich und mit hintergründigem Humor präsentiert, der das zähe Gesamtprodukt mitunter auflockert.

Pastor Stig Berggren, der nur so lange freundlich ist, solange er meint, jemanden für sich einspannen zu können, ansonsten aber … siehe Einleitung: Karsten Kenzel, der alle Facetten dieser Figur überzeugend abdeckt. Seine Gattin Inger ist Daniela Dett, die ihre große Szene mit einem religions- und glaubenskritischen Tango zu recht und zur Begeisterung des Publikums auskostet.

Die „terrische“, aber mit großem Herzen ausgestattete Olga wird von Birgit Zamulo entzückend dargestellt. Ein eher gegenteiliger Charakter ist die Gemeindehelferin (und zeitweise Chorleiterin) Siv, von Hanna Kastner ebenso rückhaltlos und präzise gegeben.

Holmfrid, einer der Hauptvernichter von Zimtschnecken und bis zu einem klärenden Streit mit Arne Ziel dessen Spottes: Robert G. Neumayr, menschlich überzeugend.  Der geistig zurückgebliebene Tore, der durch die Chormusik soziale Aufnahme findet, wird von Lukas Sandmann feinfühlig und sympathisch, ohne Parodie oder gar Spott verkörpert.

Weitere Chor- und Ensemblemitglieder sind William Mason, Nina Weiß, Tina Schöltzke, Joel Parnis, Peter-Andreas Landerl, Hannah Moana Paul sowie Mitglieder des Extrachores (Leitung Extrachor Martin Zeller). Kinder- und Jugendrollen wurden kompetent von Gabriel Federspieler, Stefan Deinhammer (beide auch mit Violine), Luca Zavatti, Tim Jamie Kroiss und Sophia Gruber wahrgenommen.

Begeisterter Applaus für Darstellerschaft, Musik und Produktionsteam, sowie auch die zu diesem Anlaß angereisten Kay und Carin Pollak.

 

Petra und Helmut Huber

 

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