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LINZ / Landestheater – Stream: DER ZERBROCHNE KRUG

27.03.2021 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Landestheater Linz / Herwig Prammer

LINZ / Landestheater / Kammerspiele – Stream:
DER ZERBROCHNE KRUG von Heinrich von Kleist
Fassung von Bérénice Hebenstreit und mit einem neuen Schlussmonolog von Carolyn Amann
27. März 2021

Vieles ist anders, wenn der „Zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist in den Kammerspielen des Linzer Landestheaters in Szene geht – online, wie derzeit üblich, wenn die Alternative bedeutet, gar nicht zu spielen. Und das wäre schade, wenn man eine so intelligente Inszenierung versäumte wie diese, die Regisseurin Bérénice Hebenstreit hier liefert, Sie hat sich nur leider, mit Hilfe der Co-Autorin Carolyn Amann, am Ende im Ideologie-Netz billiger Protest-Münze verstrickt und nimmt ihrer Arbeit damit einiges von ihrer Wirkung.

Man kennt den „Zerbrochnen Krug“ im allgemeinen gut, meist sieht man es doch als die Geschichte des nicht wirklich „bösen“ Schurken, der seine eigene Sache (der eigenen Untat auf der Spur) verhandeln soll und um dessen Hals sich die Schlinge immer enger zuzieht – was man diesem windschiefen Dorfrichter Adam im allgemeinen auch gönnt.

In der Linzer Fassung ist nicht nur das Ende ganz anders, sondern auch der Beginn, denn Regisseurin und Co-Autorin neigen ein wenig zur Deutlichkeit. Es ist Eve, die Tochter der Dame, die um den „zerbrochenen Krug“ vor Gericht klagt, die da vor den Vorhang kommt und ein wenig von der Vorgeschichte erzählt. Ungeachtet der völlig gesichtslosen heutigen Kleidung (Kostüme Karoline Bierner, die meist leere, mit Spiegeln arbeitende Bühne: Mira König) ist man ja doch in den Spanischen Niederlanden, sonst funktioniert das Geschehen nicht richtig. Eves Verlobter Ruprecht soll einberufen und in die Kolonien verschickt werden. Ja, und Dorfrichter Adam – der ist ja doch, seiner charakterlichen Mängel ungeachtet, eine Respektsperson. Wenn dieser Eve verspricht, Ruprecht mit einem Attest frei zu kaufen, so dass dieser nicht auf Nimmerwiedersehen in Battavia verschwindet, erwartet er von Eve schon Entgegenkommen eindeutiger Art, das man nachts in ihrem Kämmerchen abholen will. Und wir wissen es, das ist ein Thema von heute – Machtmissbrauch und sexuelle Ausbeutung, #metoo, dafür sitzt Weinstein zu Recht im Gefängnis. Ja, das steckt voll und ganz im Stück von Kleist.

Der Dichter hat seinen Dorfrichter allerdings ganz realistisch in eine nicht unkomische Situation gestellt: Man erlebt ihn frühmorgens, lädiert von seinem nächtlichen Ausflug zu Eve, wo Ruprecht (ohne ihn zu erkennen) ihm einiges auf den Kopf gebraten hat, sichtliche Wunde, nicht bedeckt, weil bei der Flucht hat Adam nicht nur den Krug zerbrochen, sondern auch seine Perücke verloren…

Und nun kommt auch noch, wie bei Gogol, der Revisor in Gestalt eines kontrollierenden Gerichtsrates (in dieser so feministisch ausgerichteten Inszenierung, die Eve auf Adams Kosten ins Zentrum rückt, auch mit einer Frau besetzt) – und außerdem rückt Eves Mutter zum Gerichtstermin mit dem zerbrochenen Krug an. Allerdings hält sie Ruprecht für den Täter, der wiederum nicht weiß, was er denken soll, denn schließlich war da ja doch ein fremder Mann im Zimmer seiner geliebten Braut, die mit der Wahrheit nicht herausrücken will (denn, wie sie vermutet, bei allem Unrecht – die Macht ist ja doch bei Adam).

Die Regisseurin holt das Stück nun aus dem saftigen Kleist’schen Realismus. Oft hört man nur Stimmen, die den unsicheren Adam immer wieder bedrängen, langsam nur finden sich die realen Figuren ein, Menschen von heute in einer Welt, die keinerlei Milieu bietet: gewissermaßen eine abstrakte Situation, die eine Sache verhandelt. Und die an diesem Abend nicht eine Sekunde komisch ist.

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Bemerkenswert die exzellente Besetzung: Klaus Müller-Beck als Adam, kein Schelm, den man doch vielleicht ein bisschen gern haben könnte, aber auch kein Tragöde, der gewaltig gegen seinen Untergang kämpft (am Ende geht er der Inszenierung gewissermaßen verloren, verschwindet, ohne dass man sich weiter um ihn bekümmert). Es ist eine ausgewogene Leistung, aber der Mann soll ja programmatisch nicht so sehr im Zentrum stehen (was natürlich schade ist, bedenkt man, dass es sich um eine der ganz großen Rollen der deutschen Theaterliteratur handelt).

Die Gerichtsrätin, die da kommt, sieht in Gestalt von Katharina Hofmann aus wie eine höflich-milde Ursula von der Leyen, sie könnte schärfere Töne anschlagen, tut es aber nicht. Auch der Schreiber Licht, mit Markus Ransmayr so jung besetzt wie selten und kein hintergründiger Intrigant, tritt nicht besonders in den Vordergrund.
Dafür sind die Marthe Rull (Gunda Schanderer) ebenso wie die alte Frau Brigitte (Eva-Maria Aichne), die des öfteren komische Chargen erster Ordnung liefern durften, zwei durchaus ernsthafte Damen, mit denen zu rechnen ist. Und der Ruprecht des Jakob Kajetan Hofbauer ist als Charakter wirklich stark. Kurz, eines der berühmtesten Lustspiele der Literatur wird nicht gerade schwer tragisch, aber es geht schon um echte Probleme von echten Menschen, nicht Lustspielfiguren.

Man kennt das originale Ende, zu dem Kleist sich entschlossen hat (und das stark und theaterwirksam ist) – der Gerichtsrat ist milde zu Adam, lässt ihn zurückholen, und Frau Marthe Rull will, selbst ein kleiner Kohlhaas, zum nächst höheren Gericht ziehen, um wegen ihres Kruges Rechts zu bekommen. Ein milder Komödienschluß für ein scharfes Stück, das doch im allgemeinen als Lustspiel verstanden wird.

Nicht so in Linz, nicht so bei entschlossenen Damen, die hier die ausschließliche Crew des Stücks bilden. Es gibt, was wenig bekannt ist, bei Kleist eine Alternative des Stückendes, wo Eve und der Gerichtsrat noch darüber verhandeln, Ruprecht frei zu kaufen. Daraus macht die Autorin, die hinter Kleist herdichtet, eine wilde Anklage auf den Kapitalismus, die Konsumgesellschaft, die Korruption – wogegen man eben wohlfeil, auf der Hand liegend und im Grunde opportunistisch protestiert (weil man dafür ja nur Lob ernten kann=. Es geschieht überdies leider gedanklich nicht sehr klar und nur durch die Kraft von Theresa Palfi als Eve halbwegs überzeugend.

Aber es gibt dem Stück im Grunde die falsche Richtung. Es hätte gereicht, wenn man Adam nicht als kleinen Schurken in Nöten, sondern als den rücksichtslosen Herrenmenschen dargestellt hätte, der seine Macht sträflich missbraucht. Man wäre Kleist näher geblieben – und auch dem, was uns das Stück konkret sagen kann.

Hätte es Publikum gegeben, die trotz des verwackelten Endes dichten eineinhalb Theaterstunden hätten sicher viel Beifall gefunden.

Renate Wagner

 

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