Tertia Botha, William Mason, Daniela Dett. Foto: Barbara Palffy/ Landestheater
Linz: „SISTER ACT“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 07. 09.2019
Musical nach der gleichnamigen Filmvorlage (Drehbuchautor Joseph Howard) von Cheri und Bill Steinkellner mit Douglas Carter, Gesangstexte von Glenn Slater, Musik von Alan Menken
Deutsche Dialoge von Werner Sobotka und Michaela Ronzoni, deutsche Gesangstexte von Kevin Schröder und Heiko Wohlgemuth.
Der von der Kritik als Familienunterhaltung eingestufte, finanziell höchst erfolgreiche Film gleichen Namens aus dem Jahre 1992 stand Pate, als 2006 dieses Musical in Pasadena, Kalifornien, uraufgeführt wurde. Die deutschsprachige Erstaufführung erfolgte 2010 in Hamburg, die österreichische 2011 bei den VBW (Ronacher).
Diese Premiere eröffnet die neue Landestheater-Saison, die heuer unter dem Motto „Bekenntnisse“ steht; man könnte durchaus boshaft-verkürzend sagen, „Dialogues des Carmélites“ ultralight… Immerhin: es geht auch hier um die Ordensgemeinschaft, gedacht als Schutz, welche schließlich aber diesen nicht mehr gewähren kann; die im Musical gegenständliche Bedrohung durch einen Mafiaboss ist natürlich auch, sogar gegenüber der blutrünstigen französischen Revolution, nicht gerade ein Lercherl.
Musicals zu inszenieren ist nicht immer sehr kreative Arbeit, denn zumindest bei neueren bestehen die Rechteinhaber auf Übernahme des Original-„Produktdesigns“; das gilt auch für die meisten Aufführungen dieses Werkes. Für Linz hat man aber eine „Non-Replica-Lizenz“ erworben – und kann mit Berechtigung stolz auf das Ergebnis sein. Verantwortlich zeichnet Andreas Gergen, der schon über 80 Open, Operetten und Musicals, u. a. in Wien („Besuch der alten Dame“) und Mörbisch („Viktoria und ihr Husar“), inszeniert hat. Die Broadway-erfahrene Kim Duddy besorgte die choreographische Einrichtung, unterstützt von Eleonora Talamini. Dramaturgie und Produktionsleitung: Arne Beeker.
Lukas Sandmann, Christian Fröhlich, Karsten Kenzel, David Arnsperger. Foto: Barbara Palffy/ Landestheater
Die Raumgestaltung (Walter Vogelweider) verläßt sich auf die Drehbühne, die eine filigrane Stahlkonstruktion trägt – sehr gut als vielfältig zu begehende, zu betanzende und zu deutende Landschaft zwischen Kirche und Nachtclub, wobei die unter solchen Umständen nicht ganz triviale Herstellung einer Raumwirkung dem Lichtdesign anvertraut war; Michael Grundner leistete mit dieser Abteilung wunderbare Arbeit, für die man neben den Scheinwerfern auch auf Neonröhren und eine größere Zahl an „Discokugeln“ (die es freilich schon lange vor dem Zeitalter der Diskotheken gab) einsetzte. Die variable Bühnenumgebung des Musiktheaters ermöglicht auch etliche szenische gags, nicht zuletzt mittels der Passarelle vor dem Orchestergraben.
Zeitlich und örtlich ist der Beginn der Handlung punktgenau definiert: Philadelphia, 23. Dezember 1977. Neben vielen Gestaltungselementen (nicht zuletzt eines zeitlich und vom Stil her passenden Autos für den Gangsterboss) vermitteln auch die Kostüme (Conny Lüders) den richtigen, teils auch satirisch überhöhten Zeitkolorit. Und wenn die Nonnen die Showbühne erklimmen, könnte man durchaus eine Sonnenbrille brauchen, so viel Glitzerstoff wird eingesetzt.
Um den Zeitkolorit hat sich auch die Komposition erfolgreich bemüht, und Funk und Philly-sound feiern fröhliche Urständ (wenns lyrisch wird, ist es musikalisch meist etwas weniger spannend). Um richtigen Klang, Rhythmus und vor allem „feeling“ kümmert sich, vom keyboard aus, Tom Bitterlich. Er leitet die „Sixtinische Kapelle“ (!), im Prinzip eine um Bläser erweiterte Rockband; auch diese Besetzung technisch wie seitens des Könnens der Musiker paßgenau für den angestrebten sound – schlußendlich sogar sichtbar teuflisch gut!
In Summe ergibt sich, nach etwas verhaltenem Beginn, eine schwungvolle und unterhaltsame show, gespickt mit optischen und darstellerischen gags wie z. B. einem kurzen Auftritt der Studio-54-Habitués Elton John, Freddie Mercury, Andy Warhol und Nico. Das musikalische Idiom ist authentisch, mit dem satirischen Höhepunkt eines Machotrios (TJ, Joey und Pablo) im Barry-White-Stil. Ansonsten wird die Szene meist von den sämtlich irgendwie Mary heißenden „Pinguinen“ (nicht die einzige vergnügliche Respektlosigkeit des Abends) dominiert, deren Darstellerinnen sängerisch, mimisch und mitunter auch mit akrobatischen Einlagen glänzen.
Die Hauptperson, die sich als Nachtclubsängerin vor ihrem kriminellen Anhang im Kloster (als Mary Clarence) verstecken muß, ist Deloris Van Cartier. Die gebürtige Südafrikanerin Tertia Botha verleiht ihr quirlige Bühnenpräsenz und ebenso bewegliche stimmliche Gestaltung; sie stellt auch den inneren Wandel dieser Figur sehr überzeugend dar. Anfänglich rührend naiv Mary Robert, Postulantin; Hanna Kastner verleiht ihr im Laufe der Handlung dann ebenso wachsende Persönlichkeit und Selbstbewußtsein.
Mary Lazarus, Leiterin eines verzweifelt unstimmigen Nonnenchores mit dunkler Vergangenheit, die irgendwas mit Woodstock zu tun hatte, wird von Viktoria Schubert als köstliche Charakterstudie gegeben; schließlich hat sie sogar ein coming out als wilde Rapperin, sozusagen Grandmother Flash and her Furious Ten. Die übersprudelnd optimistisch-fröhliche Mary Patrick spielt, entzückend entwaffnend, Sanne Mieloo. Von den weiteren sämtlich vorzüglichen Marys (Olympia, Honorata, Curata, Theresa, Passionata, Pieta, vom göttlichen Herzen Jesu) sticht noch „Mary Nirvana“ Lynsey Thurgar als konzentrierte Studie einer Persönlichkeit hervor, die mit einigen Nachteilen auf die Welt kam, aber verdeckt tolle Fähigkeiten aufweist.
Unter all diesen – durchaus rollenentsprechend! – fröhlich outrierenden Charakteren hat es Daniela Dett als nüchterne Mutter Oberin, die nicht zum Selbstzweck, sondern als Schutz und soziale Klammer Zucht und Ordnung im Kloster halten muß, nicht so leicht. Freilich verschafft sie mit ihren darstellerischen und gesanglichen Fähigkeiten ihrer Figur die nötige Geltung und ist schließlich der ordnende Leuchtturm in Chaos und Sturm, der das happy end weist.
Karsten Kenzel könnte als Curtis Jackson, Unterweltboss, bedrohlicher und dominanter wirken zumal seine Unterläufel TJ (Lukas Sandmann), Joey (David Arnsperger) und Pablo (Christian Fröhlich) à priori – sehr gut gelungen – als Slapstickfiguren angelegt sind, die aber auch sehr anständig singen können.
Ein weiterer Charakter, der im Stück eine beträchtliche Wandlung durchmacht, ist der einst wenig geschätzte Schulkamerad von Deloris, der Polizist Eddie Fritzinger; eine schöne und facettenreiche Rolle für den erstklassigen Schauspieler, Tänzer und Sänger Gernot Romic.
Carlo Schiavone, William Mason, Lukas Sandmann. Foto: Barbara Palffy/ Landestheater
Monsignore O’Hara, der in seiner Begeisterung für den auf einmal Funk und Soul verfallenen Nonnenchor auch schon einmal den „cornuto“ = hardrock-Gruß zeigt, wird von William Mason mit Witz und Weisheit verkörpert.
Die weiteren Nonnen sind Silke Braas-Wolter, Dawn Bullock, Susanna Hirschler, Anja Karmanski, Isabella Prühs, Celina dos Santos, Nina Weiß; einige der weiter oben Genannten und Carlo Schiavone sowie Cedric Lee Bradley übernehmen mit Lust und ansteckender Freude mehrere Rollen und Chorusfunktionen.
Ein himmlisches Vergnügen? Jedenfalls eines, das weder Tiefgläubigen noch Agnostikern weh tut und von einer in allen Punkten erstklassigen Besetzung, garniert mit exzellenten Produktionswerten, serviert wird. Große Begeisterung des Publikums.
Petra und Helmut Huber
Premierenfeier:
Hanna Kastner, Daniela Dett, Tertia Botha, Kim Duddy. Foto: Petra und Helmut Huber