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LINZ/Landestheater: PENTHESILEA von Othmar Schoeck

Eine unmögliche Liebe in Zeiten des Krieges

10.04.2019 | KRITIKEN, Oper

Dshamilja Kaiser als Penthesilea und Martin Achrainer als Achilles   Foto Copyright Reinhard Winkler

Eine unmögliche Liebe in Zeiten des Krieges
LINZ: Musiktheater des Landestheaters: PENTHISILEA von Othmar Schoeck

5. Aufführung in der Inszenierung von Peter Konwitschny
Montag, 8. April 2019        Von Manfred A. Schmid

 

1927 in Dresden uraufgeführt, ist die Oper Penthesilea des Schweizer Komponisten Othmar Schoeck in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts weitgehend in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, wie die derzeit noch bis Ende der Saison in Linz auf dem Spielplan stehende szenische Erstaufführung in Österreich nahelegt. Konzertant wurde das Werk hierzulande schon 1982 im Rahmen der Salzburger Festspiele aufgeführt, wovon es auch eine Live-Gesamtaufnahme gibt. Die Oper, für die der Komponist selbst die sperrige und lange für unspielbar gehaltene Vorlage von Heinrich von Kleist als Libretto eingerichtet hat, klingt für einen Spätromantiker, als der Schoeck allgemein gilt, unerwartet modern. Die Partitur ist viel progressiver angelegt als etwa die Musik von Richard Strauss in seiner 1909 uraufgeführten Elektra, mit der sie häufig verglichen wird. Der Einfluss der inzwischen Aufmerksamkeit heischenden Innovationen von Alban Berg und Strawinsky hat hier deutliche Spuren hinterlassen, Schoecks Musik ist nicht ohne spröden Charme, vor allem aber höchst dramatisch, eigenwillig und einzigartig.

 Im Mittelpunkt steht eine komplexe, von Missverständnissen geprägte und schrecklich endende Liebesaffäre, die darin kulminiert, dass die Titelheldin ihren Geliebten Achilles von Hunden zerfleischen lässt – und sich dabei wohl auch selbst in ihn verbeißt. Dies geschieht vor dem Hintergrund der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen dem von der wilden Königin Penthesilea angeführten Amazonenheer und den griechischen Streitkräften unter der Führung von Achilles, dem Helden von Troja. Dissonanzen bis hin zur Atonalität dominieren und sorgen für eine beklemmende, gewaltdurchtränkte Atmosphäre. Zur Erreichung dieses Effekts verwendet Schoeck ein eigenwilliges, bizarr anmutendes Instrumentarium: Im Orchester verzichtet er auf den Einsatz von tutti-Violinen und setzt voll auf die tieferen Streicher, auf erweitertes Schlagwerk (inklusive Peitsche) und starke Holzbläser – mit zehn Klarinetten in verschiedenen Höhenlagen, sowie auf viel Blech und zwei Klaviere, die fast ständig zum Einsatz kommen. Man darf wohl vermuten, dass die erschütternde Thematik und die ihr angemessene musikalische Gewandung mit dem Erleben des 1. Weltkriegs zusammenhängt, vielleicht zugleich auch eine Vorahnung auf den vor der Tür stehenden nächsten Weltenbrand ist. Geht es doch um die Unmöglichkeit der Liebe in Zeiten des Krieges. Einer Liebe, der widrige Vorschriften und Rituale im Wege stehen.

Der Sound dieser Musik ist unvergleichbar. Die Sängerinnen und Sänger haben viele rezitativähnliche Passagen zu singen, dazu kommen gesprochene, stark rhythmisierte Einschübe. Die vorherrschende Wildheit und Grimmigkeit wird nur von einem Liebesduett zwischen Penthesilea und Achilles unterbrochen, etwa zur Halbzeit der einaktigen, eineinhalb Stunden dauernden Oper. Diesen Einschub hat Schoeck erst später hinzugefügt, als eine Art Ruhepol im atemberaubend vorangetriebenen Ablauf des Geschehens. Und das Publikum weiß das zu schätzen! Anzumerken ist, dass dem Komponisten angesichts der kühnen Tonsprache in diesem Werk offenbar selbst bang geworden ist. In seinem folgenden Schaffen hat er sich vom Modernismus jedenfalls abgewendet, und der Max-Reger-Schüler ist zu seinen spätromantischen Anfängen und zu konventioneller Tonalität zurückgekehrt, weshalb er heute wohl auch weit weniger bekannt ist als seine Schweizer Kollegen Arthur Honegger und Frank Martin.

Penthelisea – Dshamilja Kaiser – in den Armen ihrer Schwester Prothoe – Julia Borchert    Foto Copyright Reinhard Winkler

Schoecks überaus fesselnde, starke Oper positioniert sich aber eindeutig außerhalb der musikdramatischen Traditionen der 20er Jahre. Umso mehr Anerkennung verdient das Linzer Landestheater, dass es diesen Monolith nun – in Kooperation mit der Oper Bonn, wo das Werk schon im Herbst 2017 zur Aufführung gebracht worden ist – nach Österreich gebracht hat. Premiere war am 2. März. Eine Fahrt nach Linz lohnt sich für den Opernliebhaber, der auch an der Moderne Interesse hat und Neues, lange Verschollenes entdecken will, auf alle Fälle. Es lohnt sich vor allem deshalb, weil musikalisch eine tolle Ensembleleistung geboten wird, und weil die Inszenierung des Theatermagiers Peter Konwitschny Anlass zum Staunen gibt – und dabei noch überaus gut funktioniert: Die Spielfläche ist eine Art Boxring auf dem überbauten Orchestergraben, der rechts und links sowie hinten von einigen Publikumsreihen umgeben ist, in denen auch manche Protagonisten Platz finden. So wirkt das Ganze wie eine antike Arena, in der das Publikum mit einbezogen ist. Der weiße Bühnenraum von Johannes Leiacker ist leer, als einzige Requisiten dienen zwei Konzertflügel, auf denen nicht nur Musik gemacht wird (von Andrea Szewieczek und Elias Gillesberger), sondern die auch von den Hauptakteuren bespielt werden. Sie klettern darauf, die Flügel sind nämlich u.a. auch die Berge Ida und Ossa, Achilles macht darunter einige Klimmaufzüge, und in den Kriegshandlungen dienen sie als Schutzräume. Der für diese Aufführung stark erweiterte Chor ist in den Parterrelogen rechts und links positioniert (Surround-Effekt!), von wo aus auch die Oberpriesterin (Vlada Raginskyté) das Geschehen auf der Bühne kritisch beobachtet und mit wachsender Verärgerung kommentiert. Wo aber bleibt das Orchester? – Es ist im Hintergrund der Bühne angesiedelt. Der musikalische Leiter der Aufführung, Leslie Suganandarajah, dirigiert die meiste Zeit mit dem Rücken zum Ensemble, was minutiöse und lange Probenarbeit voraussetzt. Das Ergebnis ist jedenfalls eine respektgebietend gute Leistung.

Die Titelpartie ist mit der Mezzosopranistin Dshamilja Kaiser besetzt, die diese Rolle auch schon bei der Bonner Premiere in der letzten Saison innegehabt hat. Ihre Stimme hat enorme Ausdruckskraft, Kaiser ist aber auch eine bemerkenswerte Darstellerin, die bis an ihre Grenzen geht und körperlich ständig in Totaleinsatz ist. In starken Kontrast dazu steht ihr letzter Auftritt: Als Konzertsängerin bei einem Liederabend, in elegantem Kleid und mit hochgestecktem Haar singt sie, wie aus der Geschichte herausgetreten. Ausdruck des Wahnsinns? Für die Schilderung des fatalen, unvorstellbar grausamen letzten Aufeinandertreffens der beiden Hauptakteure hat Konwitschny ebenfalls eine originelle Lösung – in Form eine sensationslüsternen Live-Reportage – parat.

Ihr Gegner und schließlich brutal zurückgestoßener Angebeteter ist Martin Achrainer als Achilles. Seinem Bariton wird ein enormes Spektrum abverlangt. In der Tiefe ist er sehr gefordert, in der Mittellage sicher und stark. Er gibt zunächst einen überlegen wirkenden Mann, nicht ohne machohafte Allüren, der alles nicht so ernst nimmt und sich extra cool gibt, dann aber doch in echter Zuneigung zu Penthesilea entbrannt Da er sie unbedingt gewinnen will, nimmt er dafür ein großes, tödlich endendes Risiko auf sich. Aus dem hochmotivierten Ensemble zu nennen sind noch Julia Borchert als Prothoe, Schwester Penthesileas, Matthäus Schmidlechner als Diomedes, König der Griechen, sowie Katherine Lerner als Meroe, Fürstin der Amazonen.

Die temporeiche Inszenierung und exzellente Personenführung und die spannungsvolle, aufpeitschende Musik sorgen dafür, dass man von der ersten Minute an wie elektrisiert das Geschehen auf der Bühne verfolgt. Ein fesselnder, erfreulich gut besuchter Opernabend, wie man ihn nicht alle Tage erleben kann. Auf nach Linz! Und da die Vorstellung schon um 21 Uhr endet, erreicht man noch bequem den Zug nach Wien!

Manfred A. Schmid

 

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