LINZ/ Landestheater: Emanuel Gat und TANZ LINZ mit LOVETRAIN 2.0
Eine Woche nach der Österreich-Premiere seines Stückes „Freedom Sonata“ im Festspielhaus St. Pölten zeigt der israelisch-französische Choreograf Emanuel Gat am Landestheater Linz seine für die Kompanie von TANZ LINZ adaptierte Arbeit „LOVETRAIN 2.0“. Dem Motto „Wie will ich leben“, unter das das Landestheater seine jetzige Spielzeit gestellt hat, dient diese Rekonstruktion der im ersten Pandemie-Jahr entstandenen Choreografie Gats „LOVETRAIN2020“ auf das Trefflichste.
Emanuel Gat mit TANZ LINZ: „LOVETRAIN 2.0“ © Philip Brunnader
Von 2020 bis 2022 war Roma Janus am Landestheater Linz als Tanzmanagerin und Dramaturgin tätig, wo sie ab der Spielzeit 2022/2023 die künstlerische Leitung der Tanzsparte übernahm. Sie arbeitet vornehmlich mit GastchoreografInnen, geschickt, mutig und klug gewählt, mit dem vom Haus unterstützten Ziel, damit ihre Kompanie zu einer von europäischem, ja Welt-Format zu entwickeln. Stationen auf diesem Weg waren Chris Harings „schwanensee“, einer ganz eigenen Interpretation des klassischen Stoffes, uraufgeführt am 23.04.2022, „NEUZEIT“ von Johannes Wieland, er erforscht darin die menschliche Psyche (Premiere am 08.10.2022), Andrey Kaydanovskiy mit seinem „DORNRÖSCHEN“, (s)einer Geschichte des Erwachsenwerdens in radikal erneuerter Tanzsprache (uraufgeführt am 23.12.2022), „Romeo und Julia“ von Caroline Finn (erstaufgeführt am 07.10.2023), einem in die Neuzeit gehobenen Klassiker, und Maciej Kuźmiński mit „Memoryhouse“. Er lässt darin Erinnerungen und deren unbewusstes Wirken in unseren Psychen Bühnenrealität werden (Premiere am 09.02.2024).
Nun, mit der Uraufführung von Emanuel Gats „LOVETRAIN 2.0“ im Großen Saal des Musiktheaters am 26.10.2024, markiert Janus einen weiteren Höhepunkt in der Entwicklung der Kompanie. Die Arbeitsweise Gats, der seine TänzerInnen in ihr Innenleben führt und das dort Entdeckte als Bewegung ins Bühnen-Licht zu stellen ermutigt, erzeugt einen Grad an Wahrhaftigkeit im Tanz, der die Mitglieder der Kompanie TANZ LINZ in neue, tiefere und authentischere Dimensionen ihrer selbst und damit ihrer künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten führt.
Emanuel Gat mit TANZ LINZ: „LOVETRAIN 2.0“ © Philip Brunnader
Emanuel Gat, der für Choreografie, Musikauswahl, Bühne und Licht verantwortlich zeichnet, und der australische Kostüm-Designer Thomas Alfred Bradley erzählen mit Tanz, Musik, Licht und Kostümen vier parallel laufende, sich zu einer komplexen Ganzheit vereinigende Geschichten.
Die musikalisch eh schon von großer Kreativität und Dynamik geprägten Songs des 80er-Jahre-Duos „Tears for Fears“, ihre geistreichen, zuweilen weisen Texte choreografiert Gat regelrecht, bricht er mit Stille, in der das Atmen der TänzerInnen und ihre Schritte zu hören sind. Die Musik ist wesentlich beeinflusst von der so genannten Primärtherapie des amerikanischen Psychologen Arthur Janov, der auch die bekanntere (und wie seine Primärtherapie wissenschaftlich umstrittene) Urschrei-Therapie entwickelte, um, zurück gegangen in traumatisierende Erlebnisse, diese neu und anders zu erleben und vor allem zu bewerten und somit ihre destruktive Kraft zu brechen.
Das äußerst atmosphärische Lichtdesign von Emanuel Gat stellt die TänzerInnen zuweilen in eine Kathedrale. Als feierten sie das Göttliche im Menschen. Die Kostüme, zwischen barocker Opulenz und heutiger Eleganz angelegt, wurden für jedes einzelne Ensemblemitglied individuell gefertigt. Gemeinsam jedoch ist ihnen das Aufgebrochene, Imperfekte. Sinnbild für die Narben auf den Seelen eines jeden Einzelnen.
Emanuel Gat mit TANZ LINZ: „LOVETRAIN 2.0“ © Philip Brunnader
Im Verlauf des Stückes mehrfach gewechselt und verändert, entledigen sich die TänzerInnen in der vor-finalen Phase all dieser textilen, multiple Persönlichkeitsaspekte einerseits und die reflexiv intendierte Darbietung von Identitätskonstrukten andererseits repräsentierenden Pracht und erscheinen nur noch spärlich, aber immer noch individuell verschieden bedeckt. Sie sind bei sich angekommen. Bar jeden Zierrates. Authentisch. Für das Finale wieder bunt und üppig bekleidet, leben sie nun selbstbewusst und voller Freude ihren inneren Reichtum. Jede(r) den seinen/ihren und alle gemeinsam. Diese auf die Bühne gestellte Utopie einer Gesellschaft funktioniert. Wenigstens hier.
Dynamische und ausladende Gruppen-Szenen und ungemein intime Soli, Duette und Kleingruppen-Szenen prägen den Tanz der 16 TänzerInnen von TANZ LINZ. Das Ensemble agiert wie ein pulsierender, seine Mitglieder aus- und wieder einatmender Organismus. Dadurch entsteht, neben der für Gat typischen Gruppendynamik, eine einzigartige Spannung zwischen Gruppe und Individuum, die beide beeinflusst und nährt.
Das Konstruktive dieser Beziehung herauszuarbeiten ist Gat ein zentrales, ja Herzens-Anliegen. Eben dieses Herz zündet die in diesem Stück final gezeigte Lebensfreude in der Kompanie. Und die wiederum enthusiasmiert das Publikum. Das Ausmaß an Ehrlichkeit, Authentizität und künstlerischer Integrität erreicht insbesondere in den eingestreuten Soli und Duetten, die jedem Einzelnen Raum für individuelle Gestaltung geben, Dimensionen, die dem Publikum unwiderstehlich nahe gehen.
Emanuel Gat mit TANZ LINZ: „LOVETRAIN 2.0“ © Philip Brunnader
Ob „Was bedeutet es, ein Mann zu sein?“ oder feministische Attitüde, ob selbstbewusst und selbstermächtigt oder zweifelnd und das Selbstbild und seinen eigenen Bezug zur Welt hinterfragend, ob forsche, beinahe herausfordernde Extravertiertheit oder feinnervige Innenschau, ob Rebellion oder Annahme des Seienden, die TänzerInnen zeigen, wenn sie heraustreten aus der Gruppe, eine große Bandbreite an Momentaufnahmen von individuellen Befindlichkeiten und Entwicklungs-Stati. Großartig! Ebenso die mit ihren rasch wechselnden Synchronizitäten äußerst anspruchsvollen, den Bühnen-Raum dynamisch strukturierenden Gruppen-Tänze.
Ich bin gut, wie ich bin! Diese mentale Erkenntnis und in Folge ins Herz eingeschriebene Überzeugung feiern sie am Ende in einem wundervoll lebendigen Gruppentanz, der die Freude, ich selbst, am Leben und in einer Gemeinschaft Ebenbürtiger zu sein, in den Saal sprüht. Sie lösen damit im vollbesetzten Haus einen Sturm der Begeisterung aus, der beim ersten Anzeichen des nahenden Endes losbricht. Das ausverkaufte Musiktheater dankte stehend und lang anhaltend einer ob dieses Erfolges überwältigten Kompanie.
Emanuel Gat mit TANZ LINZ: „LOVETRAIN 2.0“ © Philip Brunnader 5
Weitere tänzerische Highlights mit TANZ LINZ sind programmiert: Sidi Larbi Cherkaoui mit „FALL / ORBO NOVO“ (Österreich-Premiere am 01.03.2025, bis 01.07.2025) und „LIVING ROOM“ (Uraufführung am 18.05.2025, bis 28.06.2025).
Emanuel Gat und TANZ LINZ mit „LOVETRAIN 2.0“ am 26.10.2024 im Landestheater Linz. Weitere elf Aufführungen bis 25.04.2025.
Rando Hannemann