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LINZ/ Landestheater/ „Black-Box“: „CAINO ET ABEL1 – THE BROTHERS2“ – Premiere

Linz: „CAINO ET ABEL1 – THE BROTHERS2 – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Black Box, 24. 04.2022

  1. Oratorium von Bernardo Pasquini, Text von Giovanni Filippo Apolloni; in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
  2. Oper mit Text und Musik von George Antheil; in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Eine Produktion des Oberösterreichischen Opernstudios in Kooperation mit dem Institut für Alte Musik der Anton Bruckner Privatuniversität

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Tina Josephine Jaeger, Grégoire Delamare, Michael Daub. Foto: Petra Moser

Zwei Werke, die den „ersten Mord der Geschichte“ zum Inhalt haben. Einmal als Oratorium des 1637 geborenen Pasquini, der den Großteil seines Lebens in Rom, als Bediensteter der Familie Borghese, verbrachte; es wurde 1671 uraufgeführt. Die zweite Version ist eine einaktige Oper in drei Szenen, die 1954 zum ersten Mal erklang und das Thema in die zeitgenössischen USA versetzt.

Die Produktion (Inszenierung: Opernstudiochef Gregor Horres) setzt zwar deutliche Unterscheidungsmarken zwischen den beiden Stücken, aber es gibt auch verbindende Elemente, so einen gemalten bzw. gedruckten Rundhorizont, der die trompe-l’oeil-„Kuppel“ einer römischen Kirche zeigt, und einige Figuren treten hintergründig im jeweils „falschen“ Stück als motivische Klammer auf. Auch vereinzelte Kleidungsdetails (Yvonne Forster) verbinden die Szenerien. Und der Bühnenaufbau (Elisabeth Pedross) bleibt ebenso gleich, wenn auch unterschiedliche Requisiten verwendet werden.

Das Oratorium wird in sehr stark stilisierten Kostümen, der förmlichen Art der Musik entsprechend, gegeben. Dabei werden die Sängerinnen und Sänger von einigen Darstellern (Adam und Eva in „Nacktkleidung“, Kain und Abel in einer Maske, die an Barockputti erinnern soll) gedoubelt – das aber erfolgt in durchaus eigenständiger Führung, nicht, wie man es so oft sehen (und erleiden) muß, als einfache Doppelung, die doch nur den Verdacht aufkommen läßt, die Regie traue den darstellerischen Fähigkeiten der Sängerinnen und Sänger nicht. Der Text und somit die Handlung sind eng an die Bibel und damals geltende theologische Auffassungen angelehnt. Insgesamt resultiert ein durchaus bewegtes und bewegendes Stück, wozu auch das 6-köpfige Barockensemble „Euridice“ der Anton Bruckner Privatuniversität (u. a. mit Gambe und Theorbe) mit virtuosem, durchaus expressivem Spiel unter Anne Marie Dragosits (von Cembalo und Orgelpositiv aus) verdienten Anteil hat.

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Grégoire Delamare, Antonin Stamm. Foto: Petra Moser

Der Erzähler – eine Rolle, recht ähnlich der eines Evangelisten angelegt – ist der Tenor Grégoire Delamare, hier in schlankem, vibratoarmem Stil, delikat, fein definiert. Wie auch alle anderen, was ja auch der Sinn dieser Einstudierung fürs Opernstudio ist, sich einer Singweise befleißigen, der dem entspricht, was die Musikwissenschaft für das 17. Jahrhundert annimmt. Adam ist der Bariton Michael Daub, auch er mit sehr sauberer, nüchterner, nichtsdestoweniger tragfähiger Stimme. Eva (Tina Josephine Jaeger) „darf“ auch etwas emotioneller werden, ebenso wie der – bei aller stilistischer Disziplin und Achtsamkeit auf die Laustärke druckvolle – Kain von Hanyi Jang. Jana Markovic als Abel vervollständigt das durchwegs exzellente Damentrio.

Gott und Satan ist in ominöser Personalunion der vielversprechende Bass Peter Fabig. Dieses Ensemble übernimmt auch die Chor-Partien.

Die Spielfiguren sind Navid Taheri (Adam), Jana Sobotková (Eva) sowie Emil und Antonin Stamm (Kain und Abel).

Großer bis begeisterter Applaus für die spannende Präsentation einer definitiv nur vermeintlich trockenen Angelegenheit!

Pause und Umbau. Die Barockinstrumente werden weggeräumt, und hinter dem Horizont zieht eine Abordnung des Bruckner-Orchesters von geschätzt 30 Personen Stärke – Streicher, Holzbläser, Klavier, Schlagwerk – ein. Dazu wird ein bescheidenes Wohnzimmer der 1950er skizziert.

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Cembalo, Orgelpositiv. Foto: Petra und Helmut Huber

Die Antheil-Oper kann naturgemäß, bei Versetzung in die Jetztzeit der Uraufführung, nicht den „ersten aller Morde“ zum Inhalt haben. Aber auch ein Brudermord an sich ist schlimm genug. Und Antheil war nicht nur ein Musiker, der gerne den „bad boy“ und hingebungsvollen Skandaliker gab, sondern auch Erfinder sowie Krimiautor. Er hatte zudem einige Zeit in Hollywood gearbeitet – gerade, als der „film noir“ in Mode kam, gespeist von den Gangsterlegenden aus New York und Chicago, dem düsteren Aspekt des Atombombenzeitalters und den körperlichen wie seelischen Verwundungen der Heimkehrer aus dem 2. Weltkrieg und dem Koreakrieg. Mit diesen seinen Erfahrungen gab Antheil der biblischen Geschichte in seinem Libretto einen „twist“, gegen den die Schwärze eines Rabenpürzels eine strahlende Lichtquelle ist… Mehr verriet uns Dramaturg Christoph Blitt bei der Einführung nicht, mehr verraten wir hier auch nicht.

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Grégoire Delamare, Michael Daub. Foto: Petra Moser.

Tina Josephine Jaeger ist Mary Adams – nun hochdramatisch, schlicht und einfach begeisternd! Ihr Gatte Abe(l) Adams ist Grégoire Delamare, auch er in gänzlich anderem tenoralem Fach, auch er in diesem anderen Tonfall perfekt. Michael Daub bewältigt die Umstellung auf den dramatischen Ken (= Kain) Adams ebenso großartig. Alle drei überzeugen zudem schauspielerisch. Das Kammerspiel vervollständigen die ehemaligen Soldaten Jim und Ran, erneut kompetent verkörpert von Navid Taheri und Peter Fabig.

Antheils Musik zu dieser Zeit kann man sich in Melodik und Harmonik ähnlich Leonhard Bernsteins „Candide“ vorstellen – also alles andere als spröde-neutönerisch. Neben regelrechten Arien kommen in diesem durchkomponierten Werk auch teils berückend lyrische Ensembles vor – insgesamt eine sehr erfreulich-interessante Bekanntschaft! Trotzdem ist das Publikum nach gut einer Stunde Kurzoper „erschüttert und zerrüttet“ (Antheil zum Effekt seines „Ballet Mécanique“  1924) – aber das liegt nicht an „schwieriger“ Musik, sondern an der abgründigen Geschichte, die uns von dem hervorragenden Ensemble beunruhigend nahe gebracht wird.

Und: am Tag nach der brillanten „Schwanensee“-Leistung ist auch die heute tätige Abordnung des Bruckner Orchesters in bester Verfassung; Claudio Novati serviert uns als Dirigent diese Partitur in all ihrer Dramatik ebenso präzise wie aufwühlend.

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Barockensemble, Jaeger, Delamare, Dragosits, Taheri, Statistin, Sobotková, Emil Stamm, Markovic, Antonin Stamm, Jang, Novati, Fabig, Daub. Foto: Petra und Helmut Huber

Jubel und Begeisterung, besonders für das Trio der Hauptfiguren und davon wiederum am meisten für Frau Jäger, aber auch für Musik und Produktionsteam.

Petra und Helmut Huber

 

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